Dem Geheimnis auf der Spur:Das fabelhafte Poyais

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Frechheit siegt: Gregor MacGregor (1786 bis 1845). (Foto: Mauritius Images)

Wie der Hochstapler Gregor MacGregor ein Land erfand und auch noch gewaltig Geld damit verdiente.

Von Florian Welle

Schon der Kupferstich dürfte Sehnsucht nach Poyais geweckt haben. Er zeigt den Hafen des fernen Landes am Black River als exotische Ideallandschaft mit Palmen. Gemächlich gleiten Boote über das silbrig glänzende Wasser oder liegen friedlich vor Anker. Am Horizont wachsen aus der Ebene mächtige Berge empor.

Dieses Bild auf den ersten Seiten des 1822 erschienenen Buches "Sketch of the Mosquito Shore, Including the Territory of Poyais" stimmt auf eine Lektüre ein, die auf über dreihundert Seiten die atemberaubende Schönheit und den überbordenden Reichtum des Landes preist, das größer ist als Wales und heute in Honduras und Nicaragua liegen würde. Doch das Werk will nicht nur die Tier- und Pflanzenwelt von Poyais vorstellen und Fernweh schüren. Es will die Leser tatsächlich zum Auswandern bewegen, ist Reiseführer und Werbebroschüre in einem.

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"Chiefly intended for the Use of Settlers" ist auf dem Titelblatt weiter zu lesen. Darunter der Verfasser Thomas Strangeways. Er ist Aide-de-Camp, also persönlicher Assistent "to His Highness Gregor, Cazique of Poyais". Der Name Strangeways klingt extravagant. Die Stellenbeschreibung suggeriert Autorität. Und Cazique, der Titel seines Vorgesetzten Gregor, bedeutet nichts weniger als Fürst. Dies und die märchenhaft klingenden Schilderungen hätten die Zeitgenossen stutzig machen können.

Das Gegenteil war der Fall. Rund 250 auswanderungswillige Engländer und Schotten gaben ihr Hab und Gut auf und folgten, mit einem One-Way-Ticket in der Tasche, dem Lockruf in die Karibik. Eine kleine Gruppe stach im September 1822 mit der Honduras Packet in See, die weit größere kam im Januar 1823 an Bord der Kennersley Castle nach. Höchstens 60 von ihnen, die ihren Traum von einem neuen Leben in der prächtigen Hauptstadt St. Joseph oder auf einem der Landgüter verwirklichen wollten, sollten überleben.

Der raffinierte Betrüger ließ sogar eigene Geldnoten drucken

Denn Poyais, eine Mischung aus El Dorado und Schlaraffenland, hat es nie gegeben. Es existierte nur im Kopf des ebenso phantasiereichen wie skrupellosen Betrügers Gregor MacGregor, der höchstwahrscheinlich auch der Verfasser des Buches ist, das ihn als "Seine Hoheit" ehrt. MacGregor hatte zuvor den Auswanderern Grundstücke verkauft, die das Papier nicht wert waren, das man als Besitzurkunde erhielt. Genauso wenig wie der Poyais Dollar, den er eigens drucken ließ.

Finanziell weit lukrativer für den Hochstapler waren indes die Staatsanleihen, die er den zu Hause gebliebenen Briten andrehte. Sechs Prozent Zinsen würden sie erhalten, wenn sie die Papiere des erfundenen Landes, dessen Flagge ein grünes Sankt-Georgs-Kreuz auf weißem Grund zierte und das sogar eine Botschaft in London hatte, kaufen würden. Das Wirtschaftsmagazin Capital errechnete einmal, dass MacGregor alles in allem Anleihebetrügereien in Höhe von 1,5 Millionen Pfund Sterling ersann, was heute einem Wert von mehr als 110 Millionen Euro entspricht.

Monetärer Schaden ist das eine. Mit dem Leben zu bezahlen das andere. Die europamüden Auswanderer fanden statt fruchtbarer Ackerböden, reicher Goldvorkommen und einer indigenen Bevölkerung, die angeblich "extremely attached to the British" sei und nur darauf warte, für wenig Lohn zu arbeiten, Hitze, Dschungel und Insekten vor. Man richtete sich notdürftig ein, lebte von dem mitgeführten Proviant. Danach schlugen Hunger und Krankheit zu. Wohl auch deshalb, weil viele es nicht gewohnt waren, selbst anzupacken. Unter den Neuankömmlingen waren nämlich nicht nur einfache Farmer. Ein Bankier sollte als Generaldirektor die Nationalbank führen, ein Regisseur Intendant des Opernhauses werden.

Zumindest sieht er gut aus: der Ein-Dollar-Schein von der angeblichen Bank of Poyais. (Foto: Mauritius Images)

Gregor McGregor wurde 1786 in Schottland geboren. Mit 16 Jahren tritt er in die britische Armee ein, wo sich bald sein Hang zur Aufschneiderei, die Vorliebe für Titel, Orden, Uniformen und der Wunsch, auf großem Fuß zu leben, zeigen. Nach seiner unehrenhaften Entlassung prahlt er mit Schlachten gegen Napoleon, an denen er nie teilgenommen hat. Als das Geld seiner früh verstorbenen ersten Frau, einer Admiralstochter, ausgegeben ist, schifft er sich 1812 nach Südamerika ein, wo man sich gerade überall gegen die spanischen Kolonialherren erhebt.

In Venezuela schließt er sich Simón Bolívar an und schafft es bis zum General. Er heiratet eine Cousine des Unabhängigkeitskämpfers, was ihn jedoch nicht vor dessen Zorn bewahrt. Weil er seine Soldaten im Kampf im Stich lässt, droht ihm die Todesstrafe. Er kann jedoch fliehen und sich zur Moskitoküste durchschlagen, wo er dem einheimischen König George Frederic Augustus begegnet. Der überlässt ihm nach einem Trinkgelage wirklich ein Stück Land. Was der Herrscher jedoch nicht ahnt: Nach seiner Rückkehr in die Heimat maßt sich MacGregor darüber die Hoheitsrechte an und lässt sich mit "Fürst von Poyais" anreden. Es ist der Beginn einer bis heute einzigartigen Hochstaplergeschichte.

MacGregor wusste, wie man Begehrlichkeiten weckt, und er hatte Charisma

Wie aber ist zu erklären, dass so viele ihr Geld in einen Staat investieren, von dem sie nie zuvor gehört haben? Es dürfte mehrere Gründe geben. McGregor besitzt Charisma. Zudem rührt er gerissen die Werbetrommel, weiß Begehrlichkeiten zu wecken. Schließlich trifft er auf eine durch die Industrialisierung reich gewordene Bürgerschaft, die ihre Gewinne bereits in anderen unabhängig gewordenen Ländern Südamerikas angelegt hat. Warum also nicht auch in Poyais?

Als sich Ende 1823 dann doch herausstellt, dass es sich bei McGregor um einen schamlosen Lügner handelt, flieht er kurzerhand nach Paris. Um dort seine Betrugsmasche einfach weiterzuführen. In Frankreich wird er aber bald angeklagt, jedoch nach acht Monaten U-Haft freigesprochen. Er schifft sich 1839 ein letztes Mal nach Venezuela ein, wo er als verdienter Freiheitskämpfer in allen Ehren und mit Pensionsanspruch bis zu seinem Tod sechs Jahre später leben wird.

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