Kolumne: Meine Leidenschaft:"Das Tolle am Segeln ist, dass du Warten lernst"

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Schauspieler und Umweltaktivist Hannes Jaenicke beim Segeln auf dem Starnberger See. (Foto: Stephan Rumpf)

Im und auf dem Wasser fühlt sich Schauspieler Hannes Jaenicke pudelwohl. Segeln? Kein Problem, kann er. Wäre da nicht das Wetter.

Von Fabrice Braun

Wind. Endlich ist der Wind da. Der Himmel hängt voller dunkelgrauer, regenschwerer Wolken, und die ersten Tropfen fallen herunter, aber wen kümmert das schon, wenn es endlich richtig weht. Auf dem Starnberger See kräuselt sich die Wasseroberfläche, es gibt sogar fast so etwas wie Wellen. Jetzt bloß keine Zeit verlieren.

"Dann mal los!", sagt Hannes Jaenicke. Der Schauspieler lässt seinen Kaffee stehen und hastet zum Steg des Münchner Yacht-Clubs, wo das Boot liegt, mit dem wir segeln wollen. Es ist eine J70, ein schnelles Sportboot, das vor allem für Regatten genutzt wird. Die J benötigt nur wenig Wind, um ins Gleiten zu kommen, bei Windstärke drei bis vier wie heute sollte sie richtig fliegen. Das ideale Boot für so einen Tag.

Es gibt nur ein kleines Problem: Hannes Jaenicke hat noch nie eine J gesteuert. Und draußen sieht man schon die ersten Boote kentern. Über den Starnberger See fegen immer wieder tückische Böen; wer da eine Sekunde nicht aufpasst, landet schnell im Wasser.

Aber für eine Einführung ist keine Zeit, es muss jetzt sofort losgehen. Wenn Jaenicke angespannt sein sollte, sieht man es ihm jedenfalls nicht an. Der 62-Jährige springt aufs Deck und fängt sofort an, das Boot aufzutakeln. Dabei hilft ihm Florian Grosser aus Starnberg, der erst kürzlich Amateur-Weltmeister in der Drachenboot-Klasse geworden ist. Es kann schließlich nie schaden, einen Könner mit an Bord zu haben. Vor allem nicht bei so einem Wetter.

In Los Angeles hatte Jaenicke mal ein großes Segelboot

Eigentlich wollte Jaenicke schon vor zwei Wochen mit Reporter und Fotograf segeln gehen, in Utting am Ammersee. Dort lebt der Schauspieler, der mit Filmen wie "Abwärts" und "Rosa Luxemburg" bekannt wurde, den Grimme-Preis gewonnen und in Hollywood gedreht hat. Seit mehreren Jahren spielt er in der ARD-Serie "Der Amsterdam-Krimi" die männliche Hauptrolle. "Ich kann mir nicht mehr vorstellen, in einer Großstadt wie München zu wohnen", sagt er. "Das hab ich lange genug gemacht." Mehrere Jahre hat er in Köln und Berlin gelebt - und in Los Angeles, wo er immer noch ein Haus hat. Aber das hat er an eine Freundin vermietet. "Hier auf dem Land hat jeder Zeit. Jeder grüßt jeden."

Außerdem ist ihm die Nähe zur Natur wichtig. Schon als Jugendlicher ist er Mitglied bei Greenpeace geworden, inzwischen dreht er fast jedes Jahr eine TV-Dokumentation, in der er sich für Orang-Utans, Wölfe und andere bedrohte Tierarten einsetzt. In mehreren Büchern hat er die Umweltzerstörung heftig kritisiert. Gerade schreibt er wieder an einem, das im November erscheinen soll, diesmal geht es um die Lügen der Agrarlobby ("Große Sauerei!"). Das Manuskript müsste Jaenicke eigentlich in vier Tagen abgeben, er ist noch lange nicht fertig, trotzdem will er jetzt in Utting aufs Boot.

Das Örtchen wirkt an diesem milden Frühherbst-Tag so beschaulich wie die Kulisse einer ZDF-Vorabendserie. Einige Prominente wohnen hier, vor Kurzem ist Helene Fischer in die Nähe gezogen, was nicht allen gefällt, sie fürchten um ihre Ruhe. Vorne am Steg liegt das Boot, das wir gemietet haben. Fliederfarben meinte der Verleiher, aber es ist eher rosa. Ein ziemlich runtergerockter Kahn, der wahrscheinlich noch nie gute Tage gesehen hat, aber einen anderen gab es nicht. Jaenicke besitzt eine Einhand-Jolle, die er sich mit einem Freund teilt, aber sie ist zu klein für alle Mitsegler. "Ich hatte mal ein größeres Boot in Los Angeles, aber wenn du nicht regelmäßig segelst, ist das ein enormer Aufwand. Du bist ständig am Reparieren oder Instandsetzen. Ich war einfach zu viel unterwegs."

Die J70 ist ein schnelles und leichtes Boot, das vor allem bei Regatten zum Einsatz kommt. (Foto: Stephan Rumpf)

Jaenicke schaut skeptisch. Erst auf das rosafarbene Boot, dann auf den Ammersee, der so glatt ist wie ein Spiegel. Draußen versuchen mühsam ein paar Segelboote voranzukommen. "Lasst uns erst mal einen Kaffee trinken", sagt Jaenicke. Ein paar Minuten später erzählt er in einem nahen Café, wie er sich schon als Kind zum Wasser hingezogen fühlte. "Wenn wir am Meer waren, haben meine Geschwister im Sand gebuddelt, ich dagegen war immer nur im Wasser. Meine Mutter musste mich mehrfach herausziehen, weil ich schon im Krabbel-Alter immer ins Meer wollte. Gefroren hab ich auch nie. Wenn meine Mutter gesagt hat: ,Du musst jetzt raus, du hast blaue Lippen!', hab ich nur den Kopf geschüttelt."

Später hat er so ziemlich jeden Sport gemacht, den man auf und im Wasser ausüben kann: Schwimmen, Rudern, Surfen, Tauchen, seit ein paar Jahren auch Stand-up-Paddling und vor allem Kitesurfen. Zum Segeln ist er erst relativ spät gekommen, mit 37 Jahren hat er in Los Angeles seinen Segelschein gemacht. "Über mir wohnten Tom und Susan, ein lustiges Hippie-Paar, sie hatten sich bei den Anonymen Alkoholikern kennengelernt. Die hatten ein wunderschönes altes Segelboot, eine Gulfstar, fast zwanzig Meter lang, und sie luden mich regelmäßig zum Segeln ein."

Aber schon nach ein paar Minuten geht es nicht mehr ums Segeln. Jaenicke ist bei seinen Lieblingsthemen gelandet, mit denen er auch regelmäßig in Talkshows und auf den Bestsellerlisten zu Gast ist: Politik und Umweltzerstörung. Er regt sich über die "Querdenker" auf ("Die Vokabel wurde von Arschlöchern gekapert, dabei ist Querdenken eigentlich eine Bürgerpflicht."), schimpft über die AfD und die Zerstörung des brasilianischen Regenwaldes unter Präsident Bolsonaro ("völlig irrsinnig"). Jaenicke kann einfach nicht anders. Dass er mit seinem lautstarken Engagement einigen auch auf die Nerven geht, ist ihm egal: "Das höre ich, seit ich das mache. Die fortschreitende Umweltzerstörung gibt aber allen Umweltaktivisten leider recht."

"Sieht nicht gut aus", der Wind ist weg

Aber wollten wir eigentlich nicht segeln gehen? Jaenicke blickt noch einmal prüfend auf den Ammersee und verzieht das Gesicht. "Es tut mir leid, aber das sieht nicht gut aus." Und er hat recht: Inzwischen ist der Wind völlig abgeflaut. Auf dem Wasser packen die ersten Segler die Paddel aus. Der rosafarbene Kahn wirkt gleich noch etwas trauriger.

Jaenicke aber scheint das alles nicht sonderlich zu stören: "Das Tolle am Surfen und Segeln ist, dass du Warten lernst. Letztendlich bestimmt eben das Wetter, ob du diese Sportarten ausübst oder nicht." Und heute geht es eben nicht. Wir verabreden deshalb ein Treffen in zwei Wochen, dann will Jaenicke bei einer Prominenten-Regatta des Münchner Yacht-Clubs auf dem Starnberger See antreten.

Für unsere Segeltour in Starnberg haben wir nicht viel Zeit, bevor das offizielle Rennen beginnt. Während einer vorne am Bug noch einen Pfahl am Steg umklammert, damit sich das Boot nicht losreißt, hissen Jaenicke und Florian Grosser, der Amateur-Weltmeister, schnell die Segel. Mit jedem Zentimeter mehr Tuch spürt man die Kraft, die der Wind heute hat. Bis es der Mann vorne nicht mehr aushält und loslassen muss.

Segelcrew: Amateur-Weltmeister Florian Grosser (li.) und Hannes Jaenicke. (Foto: Stephan Rumpf)

Jaenicke stößt die Pinne von sich weg, die J dreht sich in den Wind und schießt los. Sie kommt sofort ins Gleiten. Wasser spritzt hoch, und im Boot rutscht allen ein Grinsen ins Gesicht. Es fühlt sich an, als hätte jemand bei einem Sportwagen das Gaspedal durchgedrückt.

"Vorsicht, da vorne kommt eine Böe!", ruft Grosser. Man hat keine Ahnung, woher er das weiß, vielleicht hat der Mann eine telepathische Verbindung zum See. Jaenicke lässt geistesgegenwärtig die J etwas vom Wind abfallen und lockert die Schot, die Leine, die das Segel steuert, um Tempo rauszunehmen. Hundert Meter entfernt hat jemand nicht so gut aufgepasst, sein Boot liegt mit dem Kiel oben im Wasser.

Doch die J nimmt schon wieder Fahrt auf, sie neigt sich jetzt so stark, dass eine Seite fast im Wasser liegt, und genau so muss es auch sein. Trotzdem strecken alle unwillkürlich ihren Hintern über die Reling und klammern sich unauffällig an einem Seil fest, man weiß ja nie. Jaenicke wirkt hochkonzentriert, aber auch zufrieden: "Das ist mega. Wie Kitesurfen, aber mit Sitzgelegenheit."

Jaenicke kreuzt ein paar Mal, dann ist die J schon fast auf der Mitte des Sees, wo ziemlich viel los ist. Ein anderes Boot fährt mit hoher Geschwindigkeit genau auf uns zu, für einen Moment ist unklar, wer weichen muss. "Jetzt müssen wir aufpassen", sagt er ruhig und leitet ein Ausweichmanöver ein. Mit jeder Minute scheint er sicherer zu werden - und entspannter: "Irgendjemand hat mal gesagt: Nirgendwo ist man so bei sich wie auf See."

Es ist zwar nur der Starnberger See, aber jetzt wirkt er wie ein Mann, der seinen inneren Frieden gefunden hat. Zumindest für einen Moment.

Keine Leidenschaft ohne Zubehör. Diese Gegenstände benötigt Hannes Jaenicke fürs Segeln:

Die Uhr

Überblick beim Segeln: Jaenickes Armbanduhr. (Foto: Stephan Rumpf)

"Ich mag es, dass Segeln ein analoger Sport ist. Du brauchst kein Handy und keine Smart Watch. Ich mag Uhren, die mir per Sekundenzeiger ganz analog zeigen, wie das Leben an mir vorbeirauscht."

Die Segeljacke

Lieblingsjacke: Dieses Kleidungsstück bedeutet Hannes Jaenicke viel. (Foto: Stephan Rumpf)

"Das ist meine Lieblingsklamotte. Seit einem Jahr gibt es die Pelorus Jack Ocean Trophy, eine Regatta zugunsten der ,Pelorus Jack Foundation'. Diese Stiftung habe ich gegründet, um Einzelkämpfer und kleine Gruppen, die an vorderster Front Umweltschutz betreiben, zu unterstützen. Um Spenden zu sammeln, veranstalten wir jedes Jahr eine Regatta mit Prominenten. Pelorus Jack war ein Delphin, der um 1900 Schiffe durch eine gefährliche Wasserstraße in Neuseeland gelotst hat. Er war das erste Tier, das jemals unter Schutz gestellt wurde."

Die Rettungsweste

Für brenzlige Situationen: die Rettungsweste. (Foto: Stephan Rumpf)

"Auf einem See braucht man sie nicht unbedingt, bei einer Hochseeregatta bei starkem Wind ziehe ich aber eine Weste an. Ich war vergangenes Jahr in Kroatien segeln. Da hat es richtig geknattert, die berüchtigte Bora machte innerhalb von zwanzig Minuten aus herrlichem Segelwetter einen brachialen Sturm. Wir mussten die Segel streichen und mit dem Motor in den nächsten Hafen."

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