Dem Geheimnis auf der Spur:Tod im Nil

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Kaiser Hadrians junger Liebhaber Antinoos starb früh. Über sein Ableben gibt es bis heute abenteuerliche Spekulationen.

Von Niccolò Schmitter

An einem klaren Oktobermorgen des Jahres 130 nach Christus gab das sich zurückziehende Flutwasser des Nils die Leiche eines jungen Mannes frei. Auffallend schön, athletisch gebaut und mit langen, gelockten Haaren. Schnell wurde klar, dass diese Leiche nicht anonym bleiben würde. Der Gestorbene war Antinoos, Liebhaber des mächtigsten Mannes des antiken Mittelmeerraums und nach diesem Morgen: Gott.

Es geschah wahrscheinlich im Sommer 123, als der römische Kaiser Hadrian auf einer seiner vielen Reisen einen jungen Griechen von vielleicht 13 Jahren erblickte. Es scheint, als habe Hadrian in diesem Moment die Liebe seines Lebens entdeckt. Der zu diesem Zeitpunkt fast fünfzigjährige Kaiser wird in den Quellen übereinstimmend als überaus sinnlich, lüstern und romantisch beschrieben, eine sexuelle Neigung gegenüber Jungen wird ebenfalls angedeutet. Antinoos avancierte zu Hadrians engstem Begleiter, und als dieser sieben Jahre nach ihrer ersten Begegnung im Nil seinen Tod fand, war die Trauer des Kaisers grenzenlos. Er habe vor allen Leuten geheult wie eine Frau, heißt es.

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Besonders auffällig waren die Ehren, die Hadrian dem Gestorbenen zuteilwerden ließ. Am Unglücksort in Mittelägypten gründete er eine neue Stadt namens Antinoupolis, während das Bildnis des Jünglings auf Hadrians Bestreben hin stilbildend für die Darstellung männlicher Schönheit wurde. Überragt wurden selbst diese Ehren noch durch eine Vergöttlichung des Verstorbenen, der rasch mit dem ebenfalls im Nil gestorbenen ägyptischen Gott Osiris gleichgesetzt wurde. Nur: Warum Antinoos im Fluss starb, war schon für seine Zeitgenossen ein ungeklärtes Rätsel. War es ein Unfall, Suizid - oder sogar Mord?

War der Liebhaber in Wahrheit der uneheliche Sohn des Kaisers?

Laut Hadrian sei der Verunglückte in den Nil gefallen und dort ertrunken. Allein die Umstände des Todes führten jedoch dazu, dass diese knappe, offizielle Version bald hinterfragt wurde. Noch fast zwei Jahrtausende später konkurrieren zahlreiche Erklärungen von Antinoos' Tod. Mal ist der Jüngling angeblich betrunken vom Boot in den Fluss gestürzt, wo ihn die starke Strömung mitgerissen habe. Mal heißt es, Antinoos habe sich aus Verzweiflung selber ertränkt, weil er mit der krankhaft obsessiven Liebe des Kaisers nicht länger umgehen konnte. Laut einer anderen Theorie war er in Wahrheit ein illegitimer Sohn Hadrians und fiel einem politischen Attentat zum Opfer. Alles Erklärungen, für die es kaum Indizien gibt oder die nachweislich fabriziert wurden. Klar ist jedenfalls, dass vor allem die konservativen Kreise Roms die Vergöttlichung des Antinoos vehement ablehnten. Während der Liebhaber des Kaisers posthum zum Gott erklärt wurde, schien Hadrian an den Tod seiner eigenen Schwester, der in die gleiche Zeit fiel, keinen Gedanken zu verschwenden - ein unerhörter Vorgang.

Gab es Adelskreise, die sich gegen das homosexuelle Verhältnis auflehnten und sich mit Hadrians geschasster Ehefrau Sabina verschworen? Das Verhältnis des kaiserlichen Ehepaars war ausgesprochen unterkühlt, heißt es übereinstimmend in den Quellen. Auch sexuell schien der Kaiser keinerlei Interesse an seiner Frau gehabt zu haben, das Ehepaar blieb kinderlos. War es also politische Intrige gepaart mit persönlicher Rache? Die Version mag plausibel erscheinen, Beweise gibt es dafür jedoch keine. Zumal die Affäre zwischen Hadrian und Antinoos nicht der römischen Sexualmoral widersprach. Ein sexuell-pädagogisches Verhältnis zwischen einem heranwachsenden Jüngling und einem erwachsenen Mann, Päderastie genannt, war in der griechischen Antike eine fest etablierte soziale Institution. In Rom sollte dies nie so ganz verfangen, homosexuelle Verhältnisse waren aber innerhalb adeliger Kreise zumindest von der Spätrepublik an trotz gewisser Stigmata recht geläufig. Solange der Kaiser seine homosexuelle Affäre nicht zu sehr in die Öffentlichkeit trug und er weiterhin seine Familie respektierte, gab es keinen Grund zur Aufregung.

Laut einer Theorie opferte sich Antinoos freiwillig für Hadrian

Auch Hadrian folgte diesen Regeln - bis zu Antinoos' Tod, der alle Dämme brechen ließ. Dessen Vergöttlichung war ein klarer Bruch mit den Konventionen. Die posthume Ehrung wirft einige Fragen auf und weist zumindest darauf hin, dass ihre Gründe nicht nur in der Liebesbeziehung zu finden sind. Eine weitere Theorie besagt deshalb, dass Antinoos sich für Hadrian freiwillig geopfert habe. Es ist die unter den antiken Autoren geläufigste Version, der eine gewisse Plausibilität nicht abzusprechen ist. Dass die freiwillige Aufopferung einer liebenden Person andere Menschen heilen oder retten kann, war in der Vorstellungswelt des antiken Mittelmeerraums weit verbreitet. Bestes Beispiel: Jesus Christus. Der in diesen Jahren chronisch kranke Hadrian hätte sein Leben demnach verlängern können, wenn ein junger, gesunder Mann sich aus Liebe geopfert hätte.

Auch für ein anderes Motiv gibt es Indizien: Der Nil war in den zwei Jahren zuvor nur unzureichend über seine Ufer getreten, weswegen die wichtigen Ernten schlecht ausgefallen waren. Eine dritte Dürre hätte zu einer handfesten Hungersnot geführt. Deshalb hätten die ägyptischen Priester den Kaiser - als solcher verantwortlich für den Wasserstand des Nils - an die alte Tradition erinnert, zur Besänftigung der Götter einen jungen Mann dem Fluss zu opfern - so wie einst Osiris dem Nil übergeben wurde. Beiden Varianten läge eine besondere Tragik inne. Gleichzeitig könnte das auch erklären, warum Hadrian Antinoos so große Ehren zuteilwerden ließ, ohne die wahren Gründe zu nennen; hätten sie doch nur seine eigene Schwäche als Kaiser des Römischen Reiches hervorgehoben. Den ehemaligen Liebhaber zum Gott zu erklären, war da die bessere Option.

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