Kolumne: Vor Gericht:Ein besonderer Zeuge

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(Foto: SZ)

Veaceslav A. sollte im Prozess um einen getöteten Unternehmer aussagen. Doch dann gestand er, selbst der Mörder zu sein.

Von Verena Mayer

Dass Zeugen oft ein Problem sind, wissen alle, die regelmäßig in Gerichtssälen sitzen. Die einen können sich nicht erinnern, die anderen wollen nicht. Manche Zeugen bilden sich Dinge ein, manche lügen ganz bewusst. Das alles ist seit Langem bekannt, weshalb Aussagen vor Gericht gut abgewogen werden müssen. Manchmal werden sogar Gutachten über die Glaubwürdigkeit von Zeugen erstellt. Schließlich soll niemand verurteilt werden, weil ihn jemand mal irgendwo gesehen haben will.

Auf den Zeugen, der 2021 in einem Berliner Gerichtssaal erschien, war jedoch niemand vorbereitet. Oder wie es der Vorsitzende Richter ausdrückte: So etwas habe er in dreißig Jahren im Beruf noch nicht erlebt. Der Mann sollte in einem Mordprozess aussagen. Es ging um den Tod des Berliner Bauunternehmers Frank E. Dieser hatte 1998 seine Büroräume renoviert und stand dort gerade im Badezimmer, um eine Farbwalze abzuwaschen, als ihn von hinten drei Schüsse trafen.

Jahrzehntelang versuchte die Polizei, den Täter zu finden, erfolglos. Bis sich eines Tages in England ein Mann bei den Behörden meldete, der einst für den Unternehmer gearbeitet hatte. Er sagte, er wisse, wer der Mörder sei. Sein alter Kumpel Serghei nämlich, der wie er in den Neunzigern aus Moldau nach Berlin gekommen war, um in der boomenden Hauptstadt als Bauhelfer zu arbeiten. Dieser Serghei N. habe Frank E. im Auftrag eines Konkurrenten aus der Baubranche getötet, es ging um Geldstreitigkeiten. 1500 Mark habe er für den Mord bekommen. Serghei N., er lebte inzwischen in Italien, wurde ausfindig gemacht und in Berlin vor Gericht gestellt. Ein unauffälliger Mann in Cordhosen und kariertem Hemd, inzwischen 59 Jahre alt, Familienvater.

Serghei N. sagte, er werde versuchen, alles zu vergessen, wie einen schrecklichen Traum

Ein zäher Prozess begann. Man weiß, wie schwer es Menschen bereits kurz nach einer Tat fällt, das Geschehene richtig wiederzugeben, ich war einmal in einem Prozess, da haben vier Zeugen vier verschiedene Schilderungen vom Tatablauf geliefert. Wie würde das erst bei einem Verbrechen sein, das 23 Jahre zurücklag? Irgendwann war dann der wichtigste Zeuge dran, der Mann aus England. An dessen Aussage hing das ganze Verfahren.

Er kam in den Saal und sagte erst seinen Namen: Veaceslav A. Dann sagte er sein Alter: 45 Jahre. Und dann sagte er: "Ich habe Frank E. im Badezimmer erschossen." Viel weiter kam er nicht, die Aussage wurde unterbrochen. Ein Zeuge muss sich vor Gericht nicht selbst belasten.

Der Angeklagte Serghei N. wurde kurz darauf freigesprochen. Der Richter entschuldigte sich bei ihm für die fast zehn Monate, die er in Untersuchungshaft verbringen musste. Serghei N. sagte, er werde versuchen, alles zu vergessen, wie einen schrecklichen Traum. Der Zeuge Veaceslav A. wurde noch im Gerichtssaal festgenommen, ihm droht nun selbst ein Mordprozess. Wie zuverlässig seine Angaben sind, wird sich zeigen. Zwei Psychiater wurden bestellt, um den Mann zu begutachten. Er wäre nicht der erste Belastungszeuge, der seltsame Dinge erzählt. Aber wahrscheinlich war er der erste, der bereits im dritten Satz seiner Aussage einen Mord gesteht.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))

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