Gendergerechte Sprache:*seufz*: Hier können wir überall Sternchen schreiben

Lesezeit: 5 min

Ringen um eine Sprache, die alle mitnimmt. (Foto: Illustration: Jochen Schievink)

Ob Geschlechterfragen, Beleidigungen oder Textorganisation: Wenn wir nicht mehr weiterwissen, greifen wir zum Sternchen. Eine Typologie.

von Friederike Zoe Grasshoff, Hannes Vollmuth und Martin Zips

Es gibt immer wieder Momente im Leben, da weiß man nicht mehr weiter, da sind die Grenzen der eigenen Sprache die Grenzen der eigenen Welt. Was einen zu den Sonderzeichen bringt, also zum @, dem # oder *, wobei besonders das * in letzter Zeit recht viel Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte. Offenbar gibt es eine neue Grenze, an die wir da gestoßen sind.

Grenzübergänge sind ganz generell hochinteressant, liminale Zonen, wie Ethnolog*innen und Literaturwissenschaftler*innen sagen. Und zu jeder liminalen Zone gehört ein Zerberus, ein Türsteher. Im Falle des Sternchens, oder korrekter: Gender-Sternchens, und seiner Verwendung ist es der Rat für deutsche Rechtschreibung, der sich am Freitag in Wien einen ersten Überblick verschafft hat, was das Thema geschlechtergerechte Schreibung betrifft. Es ging um Doppelnennungen (Leserinnen und Leser), Schrägstrich-Lösungen (Leser/in), X-Experimente (Lesx) und das Gender-Sternchen (Leser*innen). Wer es noch nicht wusste: Das Sternchen ist eine Art Platzhalter für Geschlechteridentitäten, die nicht eindeutig weiblich oder männlich sind. Außerdem wird durch die optische Trennung die weibliche Form besonders betont.

Nun ist es ja so, dass Sprache das Anarchischste ist, was die Menschen haben: Entwickelt sich einfach so weiter, Leute sagen plötzlich "Schland" und alle wissen, was gemeint ist, reden von Hashtags und alle nicken mit dem Kopf - oder auch nicht, was egal ist, denn eine Sprachpolizei, die uns vorschreibt, wie wir zu sprechen und zu schreiben haben, gibt es nicht, Gott sei Dank. Auch der Rat für deutsche Rechtschreibung, der sich jetzt besprochen hat (vorerst ergebnislos) und vielleicht irgendwann Empfehlungen aussprechen wird (die dann in den vorderen Teil des Dudens wandern, den eh niemand liest), ist keine Sprachpolizei und will auch keine sein. Und eigentlich ging es auch nur am Rande um das Sternchen, den sogenannten Asterisk.

Interessant ist es aber schon: Da weiß eine Sprachgemeinschaft nicht richtig weiter und sucht auf der Computertastatur abseits der Buchstaben nach Lösungen. Nicht zum ersten Mal.

* als Beleidigung

Das Problem: Wie beleidigt man andere, ohne justiziabel zu werden? Ausflucht aus diesem Dilemma bietet die Kulturtechnik der beschönigenden Beleidigung, zum Beispiel: "Verehrter Nichtsnutz" oder "Schöne Scheiße". Was doch viel schöner zu schreiben ist, als immer nur diesen Hass-Hass rauszuhauen. Zugegeben: Klingt mehr nach Klangschalenkurs als nach Krawall. Expliziter wäre Fuck, ach nee, F*** natürlich, jene tabuisierte Form der dennoch deutlichen Diskreditierung. Heißt zwar dasselbe, man kann aber zumindest so tun, als sei man höflich. Ist das dann nicht Zensur? Mitnichten: das ist ein f***ing ausgefuchster Platzhalter!

Die Benutzer*innen: Facebook-Kommentor*innen, die realisiert haben, dass sich zu viel Zorn mit der Zeit versendet und keiner mehr zuhört. Überkorrekte Untertitel-Übersetzer*innen, die Ausdrücke wie "Huch" oder "Unbill" mögen. Gangster-Rapper, die über die Jahre des Meine-Karre-meine-Tussi-meine-harte-Kindheit-Gelabers ihre weiche Seite entdeckt haben.

Erinnert an: !?!!?!?

* als Fußnote

Das Problem: Man konnte schon wieder nicht die Tinte halten, der Satz steht jetzt so da, bereits verriegelt und verrammelt vom nächsten und übernächsten, aber da fehlt noch was, und zwar schmerzlich. Oder noch schlimmer: Man hat es ja erkannt, die Welt ist kompliziert, alles könnte so oder so oder doch vielleicht so sein. In jedem Fall ist es sehr viel komplexer, kniffliger, vertrickt-trackter, als jeder gerade Satz glauben macht. Also lieber mal ein Fußnötchen setzen, in dem man oben ein Sternchen einfügt und unten beim anderen Sternchen weiterschreibt.

Die Benutzer*innen: Schüler*innen, windige Werbetreibende, Wissenschaftler*innen und Autor*innen aller Art, die sich nicht um die Meinung ihrer Herausgeber*innen scheren, welche ja vor allem die Befürchtung haben, die Leser*innen mit (un)nötigem Fußnoten-Beiwerk zu verwirren, das ja meistens sogar in Konkurrenz zum Haupttext tritt, sogar treten soll, wie Leser*innen von David Foster Wallace wissen, und oft ja sogar das Interessanteste ist.

Erinnert an: blabla¹²³

* als Geburtszeichen

Das Problem: Abkürzungen sind nur sehr selten eindeutig. Heißt Verh. nun verhutzelnd, verhindernd oder verharmlosend? Und wie ist es mit o.K.? Bedeutet das in Ordnung, ohne Konfession oder oben Kurt? Ohne Abkürzungen geht gar nix, im gesamtdeutschen Organigramm. MfG, LmaA. Sie verstehen schon. Kaum ist der Mensch auf die Welt gekommen, heften sie ihm im Krankenhaus einen Zettel ans Rollbettchen: "Geb. am 21. März". Das könnte gebeutelt heißen, gebraten oder gebunden. Damit's eindeutiger ist, setzt man seit dem Jahr 1910 gerne, richtig, ein Sternchen. So hatte es seinerzeit ein genealogischer Verein aus Berlin vorgeschlagen und "Meyers Großes Konversations-Lexikon" war begeistert.

Die Benutzer*innen: Selten, dass sich Beamt*innen, Theolog*innen, Geburtshelfer*innen und Friedensaktivist*innen typografisch mal dermaßen einig sind. Bei Dreiecken zum Beispiel sieht das ganz anders aus. Die halten manche für Gott und andere für so ein Ding vom Pool-Billard-Tisch.

Erinnert an: †, oder kurz: R.I.P.

* als Gefühlsausdruck

Das Problem: Man chattet (ja, man chattete mal) und möchte den fehlenden Sichtkontakt ausgleichen. Man hat auch viele Comics gelesen, Micky Maus und Asterix, und weiß noch, dass da manchmal "knall", "kratz", "heul" oder "schluchz" in den Sprechblasen stand. Man hat zwar keine Ahnung von Linguistik, Inflektiven, Verbstämmen oder Sachen wie Sprachökonomie, ist aber trotzdem der felsenfesten Überzeugung, *ganzmiesfühl* könnte den eigenen emotionalen Zustand nicht treffender beschreiben. Dann kamen die Emojis *heul* *schluchtz* *schrei*.

Die Benutzer*innen: Menschen, die mit dem kratzig-warmen Diidpshhhkkkkrrrrkaking eines 56k Modems groß geworden sind, jede Menge Comics gelesen haben, ihr Nokia 3210 liebten, bevor sie es gegen ein Smartphone eingetauscht haben, und manchmal beim Facebook-Kommentare lesen mit Wehmut an den Antenne Bayern-Chat zurückdenken, wo sie Mike getroffen haben, der jetzt aber auch schon seit zehn Jahre verheiratet ist - *seufz*.

Erinnert an: ;-)

* als Pflichtfeld

Das Problem: Wie war noch einmal mein Geburtsname? Bin ich wirklich schon 1969 geboren? Und wie hieß gleich meine erste Ehefrau? Das Sternchen kann ein Störenfried sein, wenn es auf Formularen darauf hinweist, dass es sich hier um ein Pflichtfeld handelt - und darauf, von wie vielen Dingen man absolut keine Ahnung hat. Wobei die Unterscheidung zwischen Pflicht und Freiwilligkeit im Grunde egal ist, verkam das Leben doch schon vor längerer Zeit zu einem einzigen Pflichtfeld; sei es auf den Schreiben vom Standesamt, der Versicherungspolice oder beim Anlegen einer Online-Persönlichkeit: Immer diese Felder, denen man nicht gewachsen ist, die man aber auszufüllen hat. Ist ja schließlich ein Befehl.

Die Benutzer*innen: Imperativ-Forscher*innen, denen das Ausrufezeichen zu eindimensional ist. Internet-Firmen, die gerne Daten sammeln. Menschen, die diese Daten gerne bereitstellen. Versicherungsmakler, die selbst nicht genau wissen, wieso irgendein Klient bei Abschluss einer Hochzeitsversicherung echten Namen und echte IBAN nennen sollte.

Erinnert an: §

* als Kurzwahltaste

Das Problem: 278 Festnetz-Anrufe, 163 Handytelefonate, 39 Nachrichten in der Whatsapp-Gruppe, zwei SMS - und das alles pro Tag. P.S.: 149 E-Mails im Posteingang. Das schlimmste an der verharmlosenden Technik-Versklavung ist jedoch nicht das permanente Gefasel über Themen, die schon ausgiebig befaselt wurden, es sind die Telefonnummern, die man per Hand wählen muss, um dann doch niemanden zu erreichen. (Heißt es nicht immer, das hier sei das digitale Zeitalter?) Doch so sehr einen Technik beherrschen kann, so oft findet sie auch tolle Lösungen: die Kurzwahl mit Sternchen, die wie der Genderstern auf weniger Platz mehr zu fassen vermag. Einen Asteriskus und ein paar verdichtete, fast schon poetische Zahlen eintippen - und dann ist besetzt.

Die Benutzer*innen: Büromenschen, die zwar nicht den Geburtstag von Onkel Soundso kennen, aber nachts von der Kurzwahl des immer freundlichen Kollegen A träumen.

Erinnert an: @Lieblingskollege

* als Atempause

Das Problem: Wie schafft man in einem Gotteshaus, das bis ins letzte Eck beweihräuchert ist, den spirituellen Spannungsbogen zu halten und trotzdem nicht in Ohnmacht zu fallen? Richtig: mit Atempausen. Die nämlich lassen alle Gläubigen beim Singen von Psalmversen nicht nur kurz innehalten, sondern gleichzeitig nach Luft schnappen. Danach kann es ruhig weiter gehen, mit der Erbauung. Der Asteriskus befiehlt hier im Gotteslob das Innehalten. Ein Beispiel: "Ehre sei dem Vater und dem Sohne * und dem Heiligen Geiste". Einatmen, Leute!

Die Benutzer*innen: Asterisk, das erinnert total an Asterix und Obelix, ist also mit Blick auf 2000 Jahre Kirchengeschichte noch ziemlich hipp, weshalb sich auch die ein oder andere Rhythmusgruppe aus dem Kindergottesdienst diesen Namen verliehen hat. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, wenn die Musikanten die ganze Sache nur nicht dadurch übertreiben, dass an der großen Trommel ihres Schlagzeugs und dem Arm des Frontsängers ein weiteres Sternchen prangt.

Erinnert an: ...

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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