Von Bob Dylan schwärmen mit Friedrich Ani:"Ihm verdanke ich den Mut zum Schreiben und Weiterschreiben"

Lesezeit: 6 Min.

Im Münchner Plattenladen "Optimal" findet Friedrich Ani selbst die seltensten Dylan-Aufnahmen. (Foto: Robert Haas/Robert Haas)

Er kennt jeden Song und hat unzählige Konzerte besucht: Seit seiner Jugend bekommt Schriftsteller Friedrich Ani einfach nicht genug von seinem Idol Bob Dylan.

Von Franz Kotteder

Kochel am See ist nicht Duluth, Minnesota. Wäre das anders, dann wäre aus Friedrich Ani womöglich ein Songwriter geworden. Denn der kleine Fritz, der im Januar 1959 in Kochel am See geboren wurde und dort als Sohn eines syrischen Arztes und einer Schlesierin aufwuchs, begeisterte sich als Teenager wie viele andere auch für die Musik, die in den Siebzigerjahren aus den USA und aus Großbritannien herüberkam.

Ani macht nicht viel Aufhebens um seine Herkunft, aber man darf vermuten, dass er in dem oberbayerischen Gebirgsdorf zu Füßen von Jochberg und Herzogstand als Heranwachsender seine Erfüllung nicht bei der Trachtenjugend oder beim Burschenverein fand. Die Berge hat er gehasst, das weiß man inzwischen immerhin. Ihn zog es woanders hin. "Poesie und Musik, das war einfach meins", sagt er. Jugendfreunde wissen zu berichten, dass seine frühen Gedichte schon damals Eindruck machten, nicht nur bei den Mädchen. Die waren beileibe nicht der einzige Grund zum Dichten. Aber sicher auch nicht der schlechteste. Das dürfte bei Bob Dylan, dem großen amerikanischen Musiker, Songwriter und Literaturnobelpreisträger, geboren am 24. Mai 1941 in der Provinzmetropole Duluth, Minnesota, nicht viel anders gewesen sein.

Newsletter abonnieren
:SZ am Sonntag-Newsletter

Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.

Entschuldigung: Langsam wird es Zeit, Friedrich Ani jenen vorzustellen, die ihn noch nicht kennen. Ani ist Schriftsteller, bekannt hauptsächlich als Krimiautor. Krimi, das klingt in Deutschland immer noch nach dem, was man in Bayern bis weit in die Siebzigerjahre hinein "Schundheftl" nannte. Die könnte er schon auch schreiben, kein Problem. Aber seine Krimis sind anders. Vor allem die um den schrulligen und melancholischen Ermittler Tabor Süden, der im Vermissten-Dezernat arbeitet und seinen Vater nie kennengelernt hat. Eigentlich sind sie aber, die meisten von ihnen jedenfalls, richtig hohe Literatur. Und so ist es überhaupt nicht erstaunlich, dass seine Bücher seit einigen Jahren im Suhrkamp-Verlag erscheinen, dem immer noch bedeutendsten Literaturverlag Deutschlands. Dort gehören Anis Bücher auch hin, die Romane wie die Lyrikbände, das hat der Verlag Gott sei Dank erkannt. Eigentlich ist das eine schöne Parallele zu Bob Dylan: Der Songwriter, der zum Entsetzen des Literaturetablissements den Nobelpreis bekommt, und der Krimischreiber, der zum Suhrkamp-Autor wird.

Nachdem er die Dylan-Biografie gelesen hatte, machte er sich selbst ans Schreiben

Kann sein, dass Friedrich Ani über solche Gedanken belustigt den Kopf schütteln würde. So denkt er ja nicht. Seine Leidenschaft für die Musik und die Worte von Bob Dylan kommt ganz woanders her. "Ich habe Bob Dylan ja nicht verehrt, weil ich mir dachte, ich gehe mal in diese Richtung, als Musiker oder als Liedermacher", sagt er, "sondern nur als Dichter. Als jemand, der Poesie liebt." Als Teenie, in Kochel, da hat er Songtexte geschrieben, zu Klavierbegleitung, denn damals hat er noch viel Klavier gespielt. "Schlichte Songs, aber mit Texten, englischen und deutschen. Eigentlich wollte ich immer Songschreiber werden, für andere." Ironischerweise hat 2012 der Münchner Bluesmusiker Schorsch Hampel einen Song über Anis Kommissar Tabor Süden geschrieben, das Lied hat Ani dann doch ein paar Mal live auf der Bühne mit Hampels Band gesungen.

Das Songschreiben blieb eine Jugendschwärmerei. Mit 19 wollte er weg, in die Großstadt, die in seinem Fall München war, nicht New York, wie bei Dylan. Statt Künstlerexistenz in Greenwich Village leistete er erst einmal Zivildienst in einem Heim für Schwererziehbare. Es folgte ein Volontariat beim Münchner Merkur, dann eine Stelle als Reporter bei der Starnberger SZ. In der Schwabinger Türkenstraße, beim damals noch existierenden Platten- und Bücherladen "Zweitausendeins", kaufte sich Ani 1979 das berühmte Dylan-Buch von Anthony Scaduto mit dem Titel: "Eine indiskrete Biografie". Er setzte sich ins nächste Café und begann zu lesen. "Danach habe ich mir gedacht, jetzt muss ich auch mal irgendwann was schaffen, damit etwas weitergeht."

1996 erschien Anis erster Roman; danach begann er, Krimis zu schreiben

Ein Schlüsselerlebnis, es ging danach tatsächlich ganz schön was weiter: Gedichte, Hörspiele, Erzählungen. In der Drehbuchwerkstatt der Hochschule für Fernsehen und Film wird er Stipendiat, erste Konzepte und Drehbücher für den Tatort und die Serie Ein Fall für Zwei entstehen. 1996 schrieb Ani seinen ersten Roman, "Das geliebte süße Leben", der von den Erinnerungen einer alten Frau handelt. Bald sind es dann Krimis. Mit denen um den Kommissar Tabor Süden wird er bekannt, gewinnt zahlreiche Literaturpreise.

Tabor Süden war eigentlich ein Synonym, das er für sich erfunden hatte, für seine ersten Schreibversuche. Heute nennt er seinen Kommissar meist nur "den Zausel", mit einem Schuss Ironie, versteht sich. Denn wie in den meisten Figuren steckt auch in Tabor Süden einiges von ihm. Obwohl er die Rolle seiner Kommissare gerne etwas herunterspielt: "Meine Hauptfiguren sind eigentlich immer nur Stichwortgeber. Die sind nur im Buch, damit die anderen, mit denen sie zu tun haben, auftauchen können."

Als "Dylanologen" sieht sich Friedrich Ani nicht. Das Werk des US-Künstlers kennt er dennoch wohl fast so gut wie sein eigenes. (Foto: Robert Haas/Robert Haas)

Ein bisschen ist für ihn auch Bob Dylan so. Ein Star, der sich gut zurücknehmen kann, sich nicht so wichtig nimmt. Ein Genie, das nicht ausnahmslos riesige Songs schreibt, sondern auch mal fünfe grad sein lässt. "Der weiß, wenn etwas nur so halb passt. Was ja fast schlimmer ist, als wenn es gar nicht passt. Aber er lässt in seinen Aufnahmen manchmal eben einfach auch Versprecher drin." Das sei doch sehr sympathisch.

Ani hat einmal gesagt, Dylan sei für ihn so etwas gewesen wie ein "Schwellenwächter, als ich 14 war und im Dunkeln". Davon sei ihm bis heute etwas geblieben. Bob Dylan verdanke er "den Mut zum Schreiben und Weiterschreiben". Die Bewunderung für das Werk Bob Dylans hält nach wie vor an. Mit Ani kann man lange über Dylan reden. Über seine Platten, die regulär veröffentlichten, über die Bootlegs, die offiziellen wie die inoffiziellen. Über das berühmte Konzert auf dem Nürnberger Zeppelinfeld 1978, aber auch die letzten Auftritte bis heute, denn der 82-Jährige ist immer noch unterwegs auf seiner "never-ending tour", die ihn gelegentlich halt auch nach München oder in eine halbwegs erreichbare Stadt in der Nähe führt. Da ist Ani stets dabei, wenn es sich einrichten lässt.

"Ich kann nicht acht verschiedene Studio-Versionen von einem Dylan-Song hören."

Ob er wirklich alles gehört hat, was Dylan je aufgenommen hat? Es kann sich da ja nur um eine Sisyphus-Aufgabe handeln, denn von Dylan wurde fast alles aufgenommen, was je von ihm zu hören war. "Naa!", sagt Ani und grinst, "natürlich nicht. Aber ich habe fast alles daheim. Weil mir der Christos fast alles verkauft und ich auch alles brav mitnehme." Christos, das ist der DJ und Musikalienhändler Christos Davidopoulos vom legendären Plattenladen "Optimal" im Münchner Glockenbachviertel. Der, sagt er, sei verantwortlich für seine reiche Sammlung an Dylan-Aufnahmen. Manchmal, meint er, komme er da schon ins Sinnieren: ob es wirklich noch manche der offiziellen Bootlegs gebraucht hätte. "Im Nachhinein betrachtet war das vielleicht hinausgeschmissenes Geld, da hätte ich mir lieber ein paar Biere oder andere Platten dafür gekauft."

Egal: So weit wie bei manchen Hardcore-Fans, die von ihrem Meister nur als "His Bobness" sprechen und sich selbst als Dylanologen (oder Bobologen?) sehen, geht es bei ihm dann doch nicht. Dylanologen führen im Netz ausführlich Buch über jedes einzelne Konzert inklusive vollständiger Setlist, und sie können sich trefflich darüber streiten, welche der unzähligen Bootleg-Aufnahmen die einzig wahre ist. "Bei so was steige ich aus", sagt Ani, "ich kann nicht acht verschiedene Studio-Versionen von einem Song hören." Die erste Version mag interessant sein, sagt er, die letzte auch, wenn sie vollkommen anders ist. Aber die vielen Schritte dazwischen, die seien uninteressant: "Ich will schließlich auch nicht wissen, wie viele Versionen Hölderlin von einem Gedicht geschrieben hat."

Keine Leidenschaft ohne Zubehör. Diese Gegenstände braucht Friedrich Ani für seine Dylan-Liebe:

Der Plattenspieler

(Foto: Robert Haas/Robert Haas)

"Natürlich kann ich auch einen CD-Player bedienen! Aber der wahre Genuss entsteht beim Hören alter Dylan-Platten nur, wenn man sie auf einem altmodischen Vinylplattenspieler abspielt. Dann ist nämlich fast alles wieder so wie damals, abgesehen von meinem Alter."

Das Autogramm

(Foto: Robert Haas/Robert Haas)

"Dass ich kein Autogramm vom Meister habe, fand ein befreundeter Kommissar, den ich von Recherchen für meine Krimis kenne, ziemlich daneben. Eines Tages war ein Freund von ihm bei einem Dylan-Konzert und kam auch hinter die Bühne. Er hatte eine Flasche Ouzo dabei und bat Dylan um ein Autogramm für mich. Das bekam ich dann zu meinem 50. Ein wahrlich einmaliges Geschenk."

Die Fan-Bücher

(Foto: Robert Haas/Robert Haas)

"Der als Robert Zimmerman geborene Bob Dylan wählte einer Legende nach seinen Künstlernamen aus Verehrung für den walisischen Dichter Dylan Thomas. Ich war schon als Jugendlicher Verehrer von beiden, von Dylan Thomas wie von Bob Dylan, wie man an den total zerlesenen Büchern sieht. Anthony Scadutos Biografie gab für mich den Ausschlag, meine Schriftstellerkarriere ernsthaft voranzutreiben."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Seilspringen mit Steffen Kopetzky
:"Ich habe mich am Seil aus dem Sumpf gezogen"

In einer tiefen Krise entdeckte der Schriftsteller Steffen Kopetzky die beruhigenden wie stählenden Schwingungen des Seilspringens für sich. Er findet: Dieser Sport ist auch eine Schule fürs Leben.

Von Mareen Linnartz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: