Kolumne: Meine Leidenschaft:Im Garten wurschteln mit Dieter Kosslick

Lesezeit: 6 min

Immer was zu tun: Der ehemalige Berlinale-Direktor Dieter Kosslick bei der Gartenarbeit. (Foto: Julia Rothhaas)

Auf der Terrasse des ehemaligen Berlinale-Direktors gilt: Komme, was wolle. Also darf bei Kosslick alles wild durcheinander wachsen - selbst wenn die Lieblingsblumen darunter leiden.

Von Julia Rothhaas

"Eigentlich würden hier Ringelblumen stehen", sagt Dieter Kosslick. Stattdessen hat sich vor seinem Haus eine Nachtkerzen-Kolonie breitgemacht, dicke Stängel überall, die sich schnell vermehren, nix da mit Ringelblumen. "Die haben mein Beet geräubert und jetzt bin ich hin- und hergerissen, was ich damit machen soll." Er stemmt die Hände in die Hüften. Einfach rausreißen? Auf gar keinen Fall. Ist ja eine Heilpflanze, man kann Tee und Öl aus ihr machen, sie zieht Schmetterlinge an und Bienen, außerdem hat sie wunderschöne gelbe Blüten. Einmal soll die Nachtkerze blühen dürfen, so der Plan, "dann muss ich den richtigen Zeitpunkt abpassen, um sie rauszureißen, bevor die ihre Samen abstößt".

Kosslick sieht ein bisschen empört aus, aber das ist er nicht. Zufälle im Garten sind ihm herzlich willkommen, auch wenn die Ringelblumen (eine seiner Lieblingsblumen!) dieses Jahr mal mickrig bleiben müssen. Für den ehemaligen Berlinale-Direktor gilt: Komme, was wolle. "Ich lasse immer alles stehen, um zu sehen, was es sein könnte." Jeder Stängel darf sich in die Höhe schieben, dann entscheidet er, ob das Gewächs weiterwachsen darf. Es gibt eben Gärtner, die für alles einen genauen Pflanzplan haben, die enttäuscht sind, wenn etwas nichts wird, und rausreißen, was irgendwo nicht hingehört. Und es gibt Gärtner wie Dieter Kosslick, die den Garten mitentscheiden lassen. Und ihm dabei mit Freude zusehen.

Prinzip Wildwuchs: Im Garten von Dieter Kosslick darf erst mal wachsen, was will. (Foto: Julia Rothhaas)

Genau dieses Wildwuchs-System macht den Garten der Familie Kosslick nahe dem Berliner Tiergarten so schön: Eine Wiese gibt es nicht, dafür blühen auf der L-förmigen Terrasse des Bungalows Hortensien in großen Tontöpfen, der Sommerflieder in der Ecke leuchtet um die Wette mit dem Storchenschnabel im Beet, der Bambus beugt sich über eine Sitzecke. Lavendel, Farne, Rhododendron, Taubnesseln, Elfenspiegel, Bauernrosen - alles da, wie in einem Pflanzmarkt. Über allem thront eine Kiefer, die beim Einzug nur einen Meter groß war - und nun weit übers Dach ragt. Rund um ihren Stamm klammert sich eine Glyzine.

Auch zum Naschen gibt es genug: Die Feigenbäume haben im vergangenen Jahr 50 Früchte abgeworfen, der Spalierapfel hatte 20 Äpfel und auf dem hinteren Teil der Terrasse wachsen Tomaten, Salate, Kräuter. Und: Salbei. "Eine grandiose Pflanze, da kann ich nie Nein sagen. In Olivenöl ausgebacken über Pasta, großartig!" Gerade zieht Kosslick peruanischen Koriander, den Ableger hat er bei einer Lesung in Tübingen geschenkt bekommen. Nicht ungewöhnlich, seine Liebe zum Grün hat sich herumgesprochen. Pflänzchen bekommt er immer wieder in die Hand gedrückt.

Wenn Dieter Kosslick im Garten arbeitet - oder vielmehr wurschtelt, sieht das so aus: gucken, zupfen, gucken, was abschneiden, gucken, ernten. "Bei aller Wildheit: Seinen Garten muss man schon pflegen, aber er darf einen nie beherrschen", sagt der 74-Jährige, der 18 Jahre lang die Berlinale leitete (Markenzeichen: Hut) und heute als Kulturmanager arbeitet. Die Gartenarbeit hat ihn selbst zu beruflichen Hochzeiten geerdet, auch wenn während der Filmfestspiele wenig Zeit blieb. "Doch nichts geht über die blaue Stunde morgens um sechs, wenn der Tag und die Pflanzen erwachen. So früh sitzt ja niemand im Kino", sagt Kosslick, der als "Gute-Laune-Bär" auf dem roten Teppich galt und dank seiner guten Kontakte Hollywood in großen Mengen nach Berlin brachte.

Mit seiner Frau Wilma hat er eine klare Abmachung: Rund ums Haus ist er der Boss, sie darf den Balkon im ersten Stock bepflanzen. Ein Unterschied in Sachen Pflanzvorliebe lässt sich jedoch nicht erkennen: Zinien, Kornblumen, Tagetes, Kapuzinerkresse, Sonnenhut. Bunt ist es also auch hier.

Dicht und grün, aber hoffnungslos überpflanzt

Und dennoch: "Ich weiß schon, mein Garten ist hoffnungslos überpflanzt", sagt Dieter Kosslick. Aber Hauptsache, dicht und grün, das sei man schließlich den Insekten schuldig. Was folgt, ist ein Mini-Wutanfall über Menschen, die ihre Gärten zubetonieren oder Mähroboter über Winz-Wiesen schicken, "furchtbar, diese Sucht nach dem perfekten Garten und manikürten Rasen". Schließlich gehöre der doch zu den wenigen Rückzugsgebieten in Städten für die kleinsten Erdbewohner. Anders im Kosslick-Kosmos: Hier brummt und krabbelt es, beim Nachbarn schläft ein Fuchs, auf der Kiefer saß neulich mal ein Adler, zwei Meter Flügelspannweite, der wohl aus dem Tiergarten entwischt war.

Im Garten gewurschtelt hat Dieter Kosslick schon mit seiner Mutter, die ihn allein großzog und die für die kleine Familie ein Stück Acker in Ispringen bei Pforzheim zugewiesen bekam. Nicht größer als sein Berliner Wintergarten heute, aber genug Platz für Kartoffeln, Stangenbohnen, Kopfsalat, Rhabarber, Johannis- und Stachelbeeren. Als er dann 1980 ein 200 Jahre altes Bauernhaus in der Nähe von Hamburg kaufte, legte er den ersten eigenen, dazu passenden Garten an mit Stockrosen, Phlox, Rittersporn und einem Buchsbaum in der Mitte. Das ging so lange gut, bis der Zünsler kam. Und weil man bei so einem Bauerngarten regelmäßig Hand anlegen muss, war irgendwann alles überwuchert. "Für so einen großen Garten samt Gemüsebeet muss man immer da sein, das war mir damals nicht möglich", sagt Kosslick.

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In seinem Berliner Garten ist das heute entspannter. Damit es bunt wird, gräbt er auch mal was aus und guckt, ob es sich bei ihm wohlfühlt. Kosslick steht jetzt vor einem der vielen Töpfe, neben der Rose entdeckt er eine Taubnessel, die sich langsam auffächert. Er rückt sein Strohhütchen zurecht, wieder so ein Zufall, aber hey, "ich kann doch eine Taubnessel nicht einfach rausziehen!" Ein paar Pflanzen im Garten hat er natürlich auch bewusst gesetzt, etwa den Felberich im Halbschatten unter der Kiefer-Glyzine, der vor dem Wohnzimmerfenster gelb glimmt, "mein Blüten-Fernsehen". Und den Zimtbaum, der so steht, dass er ihn vom Küchentisch aus sehen kann. Weil er der letzte Baum im Herbst ist, der noch Blätter trägt, zimtfarben.

Ein Hochbeet wäre schön. Aber ist es zu groß?

Mittagszeit. Mit seiner Lieblingsschere schneidet er in einem seiner selbstgebauten Hochbeete (Kiste auf Klappstuhl) großblättrigen Rucola ab. "Ein Wunder: Kaum ist man in der Küche angekommen, könnte man draußen schon wieder neu ernten", sagt Kosslick und grinst verschmitzt. In der Küche wäscht er seine Beute vorsichtig und legt sie auf ein Handtuch zum Trocknen. Die zartgrünen Blätter sollen nicht knicken, bevor sie gegessen werden. Und die Schnecke, wie hält es Tierfreund und Vegetarier Kosslick damit? "Es soll ja Sadisten geben, die Schnecken mit dem Spaten in der Mitte durchhauen." Er selbst hat in diesem Jahr keine Probleme, aber Bierfallen hatte er auch schon mal aufgestellt. "Wenn, dann lieber betrunken sterben."

Wer keinen festen Plan hat, kann sich jedes Jahr über einen Garten freuen, der immer ein bisschen anders aussieht. An Ideen mangelt es Kosslick aber nicht. In der nächsten Saison will er wieder Stangenbohnen haben und ein richtiges Hochbeet, was man da alles anpflanzen könnte. Nur: "Ich habe viele Ideen, doch bis ich sie umsetze, kann es dauern." Vor allem darf ein Hochbeet nicht zu groß werden, sorgt er sich, so eine Kiste sei schon ein Statement. Mit zwei Umzugskartons will er bald ausprobieren, wie das aussähe. Ein erstes Stück für sein Projekt hat er bereits in einer Ecke liegen: einen Haufen Reißig als Befüllung.

Kosslicks Lust am Gärtnern ist seit Jahren ungebrochen. "Weil mein Garten so klein ist, erhält mir das auch den Spaß daran." Ein Pflanzwunsch bleibt dennoch in weiter Ferne, er träumt von einem der "schönsten Bäume, die es gibt", mit herrlich ungewöhnlichen Früchten und Blättern, die erst grün, dann rot werden: dem Essigbaum. Einen Platz dafür hätte er, der Baum würde sich sogar auf dem Berliner Boden wohlfühlen (das weiß er, weil der Nachbar einen hat), aber was für ein Jammer: "Ich kann absolut nichts essen, wo auch nur ein Spritzer Essig dran ist. Schon das Wort in meiner Nähe geht gar nicht."

Keine Leidenschaft ohne Zubehör. Diese drei Gegenstände braucht Dieter Kosslick, um im Garten zu wurschteln:

Die Schere

Kleine Äste und auch mal Salatblätter: Mit dieser Schere hantiert Dieter Kosslick im Garten. (Foto: Julia Rothhaas)

"Die habe ich auf dem Staudenmarkt in Berlin gekauft, dort gibt es Pflanzen, aber auch alte Gartengeräte. Meine Sammlung ist beachtlich, aber inzwischen habe ich mir ein Einkaufverbot auferlegt. Doch bei der Schere konnte ich nicht Nein sagen, weil die so toll geschmiedet ist und total gut in der Hand liegt. Sie ist vielleicht 50 Jahre alt, also keine Antiquität. Schleifen lasse ich sie einmal im Jahr, kostet fünf Euro, dann ist die wie neu."

Die Saatrillenkralle

Die sogenannte "Teufelskralle" zieht im Frühjahr die Saatrillen vor, hinein kommen Bohnen, Rucola, Erbsen. (Foto: Julia Rothhaas)

"Meine Teufelskralle! Die habe ich auch auf dem Markt gekauft, die hat sich mal jemand schmieden lassen nach eigenen Vorstellungen. Was die Harke so gut macht? Sie hat einen kurzen Stiel und ist nur 6,5 Zentimeter breit, damit kann man sehr schön zwischen die Anzucht gehen. Und wenn die Erde trocken ist, ziehe ich damit Saatrillen."

Die Gartenbuch-Sammlung

Dieter Kosslick sammelt gern. Nicht nur alte Gartengeräte, sondern auch alte Gartenbücher. (Foto: Julia Rothhaas)

"Die vielen Bücher vom Garten-Guru Karl Foerster braucht man natürlich nicht zum Gärtnern, aber um in seinem Duktus zu bleiben: Man sollte wenigstens eins haben. Besonders hänge ich an Raritäten wie den Pflanzkatalogen aus der DDR. Als wir noch einen Bauernhof hatten, habe ich das erste Mal von ihm gehört; ein Friedhofsgärtner hatte mir davon erzählt. Schon im ersten Jahr war das Pflanzsystem so überzeugend, weil wir nahezu nichts machen mussten. Es hat immer etwas geblüht."

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