Dem Geheimnis auf der Spur:König der Fälscher

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Denis Vrain-Lucas fälschte mehr als 27.000 Dokumente, die angeblich von berühmten Persönlichkeiten stammten. (Foto: mauritius images / Alamy / Vital)

Ob Sokrates, Kleopatra oder Isaac Newton: Der französische Schwindler Denis Vrain-Lucas fand angeblich handschriftliche Zeugnisse von ihnen allen.

Von Florian Welle

Anders als in Frankreich hat einer der unglaublichsten Fälschungsskandale aller Zeiten hierzulande kaum Spuren hinterlassen. Nur Wolfram Fleischhauer griff in seinem Roman "Die Frau mit den Regenhänden" den 1869 von dem berühmten Mathematiker Michel Chasles angestrengten Prozess gegen den tolldreisten Schwindler Denis Vrain-Lucas auf. "Ich frage Sie, verehrte Geschworene", heißt es da, "trifft den Kläger nicht vielleicht auch ein wenig Mitschuld, und hat Herr Chasles durch sein eigenes Unwissen und seinen vermessenen Geltungstrieb Herrn Vrain-Lucas nicht geradezu gereizt, es nach seinen Anfangserfolgen immer verwegener zu treiben?" Eine berechtigte Frage, wie wir sehen werden.

In Deutschland kennt man Konrad Kujau und Wolfgang Beltracchi, aber nicht Vrain-Lucas. Das war im 19. Jahrhundert noch anders. Als Hans H. Busse 1896 die Leser des Familienblatts Die Gartenlaube über das Sammeln von Handschriften aufklärte, kam er natürlich auch auf den aufsehenerregendsten Autographenfälschungsprozess der Zeit zu sprechen, über den er sich noch nach Jahren echauffierte: "Das geht ins schier Unglaubliche hinein, dieser Unsinn vorgeblich echter Autographen!"

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Warum aber diese Empörung? Sie wird verständlicher, wenn man die Fakten kennt. Denis Vrain-Lucas jubelte nämlich seinem Opfer Michel Chasles über einen Zeitraum von acht Jahren mehr als 27.000 gefälschte Dokumente unter und verdiente dabei die hübsche Summe von mindestens 140 000 Francs. Dabei, und das macht die Sache so unerhört wie tragikomisch, lesen sich die Verfasser und Adressaten der Schriftstücke wie das Who's who der Weltgeschichte.

Die Meisterdenker Sokrates und Platon sind ebenso darunter wie Alexander der Große oder die mit Cäsar und Marcus Antonius turtelnde Kleopatra. Der römische Statthalter Pontius Pilatus ebenso wie Maria Magdalena und Lazarus, ja, selbst ein Brief an Jesus Christus ließ sich finden. Die Geistesgrößen aus Literatur und Wissenschaft von Rabelais über Shakespeare bis Molière und von Galilei über Blaise Pascal bis Isaac Newton geben sich die Hand. Um nur einige der illustren Namen zu nennen, mit denen Vrain-Lucas seine schriftlichen Fake News frank und frei unterzeichnete.

Schon die Deckgeschichte, mit der er auf Michel Chasles zutrat, seines Zeichens Professor für Geometrie, angesehenes Mitglied der Académie des sciences und ein begeisterter Autographensammler, zeugt neben krimineller Energie von einer beachtlichen Fantasiebegabung. Vrain-Lucas tischte dem Mathematiker die Geschichte von einem verarmten Adelssprössling auf, der Stücke seiner einzigartigen Familiensammlung verkaufen müsse, dabei aber nicht selbst in Erscheinung treten möchte. Sein Name: De Boisjourdain. Damit nicht genug. Sein Vorfahre, so erfährt man in einem jüngst erschienenen Buch mit maritimen Legenden des Franzosen Cyril Hofstein, sei 1791 auf der Überfahrt nach Amerika mit seinem Schiff untergegangen. Gerettet werden konnte nur dessen Blütenlese wertvoller Autographen.

Der Fälscher ließ nichts unversucht, um seine Werke echt aussehen zu lassen

Denis Vrain-Lucas wurde 1818 als Sohn eines Tagelöhners und einer Dienstmagd in der Provinz geboren. Er bestritt sein Leben als Notariatsangestellter und Schreiber, bis er in Paris die Bekanntschaft eines Betrügers machte, der mit gefälschten Stammbäumen Familien auf die Sprünge half, und der ihn mit den Techniken der Pergamentfälschung vertraut machte. Fortan gab sich Vrain-Lucas als Archivar aus und entwendete aus Bibliotheken die Leerseiten alter Werke. Aus handwerklicher Sicht ließ der beflissene Autodidakt also nichts unversucht, um seine Werke echt aussehen zu lassen.

Trotzdem bleibt es ein Rätsel, warum der hochintelligente Michel Chasles angesichts der schieren Menge, der großen Namen und des sehr merkwürdigen Umstands, dass alle Schriften auf Französisch verfasst waren, jahrelang keinen Verdacht schöpfte. Wohl auch weil Vrain-Lucas Ausflüchte ersann und behauptete, bei einigen Dokumenten handele es sich um Abschriften der verloren gegangenen Originale. Doch selbst dies ließ den Autographenkenner nicht aufhorchen. Über die Gründe dafür lässt sich nur spekulieren. War Chasles besonders gutgläubig? Oder, was gar nicht so unwahrscheinlich ist, hat er den Großteil der Schriftstücke gar nicht gelesen? War er von Sammlerehrgeiz besessen, genügte ihm der Besitz?

Eine andere Erklärung wäre das Ereignis, durch das die Sache langsam, aber sicher an die Öffentlichkeit gelangte. 1867 trumpfte der damals über siebzigjährige Chasles gegenüber seinen Akademiekollegen mit der Behauptung auf, nicht Newton, sondern Pascal hätte das Gesetz der Gravitation aufgestellt. Als Beweis führte er einen Brief des Franzosen an den Engländer an. Seine Entdeckung, ein Coup zum eigenen wie zum Ruhm Frankreichs, wurde natürlich widerlegt. Man führte ins Feld, dass Newton zum Zeitpunkt von Pascals vermeintlichem Brief gerade mal elf Jahre alt war.

Nach und nach wurden weitere Schätze aus Chaslesʼ Fundus hervorgezerrt und angezweifelt. Doch er selbst blieb von ihrer Echtheit überzeugt. Wäre Vrain-Lucas nicht die Lieferung mehrerer Tausend im Voraus bezahlter Dokumente schuldig geblieben, Chasles hätte ihn aus eigenen Stücken wohl niemals wegen Betrugs angezeigt. So aber kam es 1869 zum weitbeachteten Prozess, der den Mathematiker zum Amüsement des Publikums als bizarren Sonderling erscheinen ließ und Vrain-Lucas zwei Jahre Haft einbrachte.

Kaum entlassen, prellte der Fälscher einen Abbé und kam für weitere drei Jahre hinter Gitter. Und auch danach geriet er noch einmal mit dem Gesetz in Konflikt und wanderte wieder ins Gefängnis, ehe er 1881 starb. Sein bekanntes Opfer war zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Michel Chasles, dessen Name man wenig später am Eiffelturm neben anderen Persönlichkeiten eingravieren sollte, war 1880 hochbetagt gestorben.

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