Die Credit Suisse war eine der größten Banken auf dem Globus, billionenschwer, zugeknöpft, und als deren Anwälte in den 2000er-Jahren plötzlich bei einem jungen Jurastudenten in Hamburg anriefen und auch dessen Eltern zu Hause bestürmten, weil es sehr dringend sei - da ahnte er, dass er auf etwas gestoßen war.
Der Student, Benjamin Bremert, hatte eine Gerichtsentscheidung, die der Bank ein Bußgeld auferlegte, aus Spaß beim Gericht angefragt und im Internet veröffentlicht. Das ist in Deutschland legal, solange man dabei keine heiklen persönlichen Daten verrät. Und es ist auch durchaus im Sinne des Rechtsstaats. Die Rechtsprechung soll schließlich öffentlich sein. Die Öffentlichkeit soll der Justiz auf die Finger schauen. Medien sollen berichten. Die Anwälte von Credit Suisse tobten, so erinnert sich Bremert. Aber er blieb ruhig und antwortete: Wenn sie unbedingt streiten wollten, "dann gehe ich eben an die Öffentlichkeit". Die Bank ließ nie wieder von sich hören.
Das Urteil der Auschwitz-Prozesse machte ein Verein öffentlich
Mit der Transparenz ist es nicht so einfach. Manchmal muss man für sie kämpfen. Der Student hat seine Website, OpenJur.de, dann 2009 als gemeinnützigen Verein eintragen lassen, mit Mitstreitern, er betreibt das heute weiter, auch wenn er mittlerweile in Hamburg bei einer Bank arbeitet. Und es ist eigentlich verblüffend: Warum hat es erst so einer privaten Initiative wie dieser bedurft?
Dem Verein ist es zu verdanken, dass heute zum Beispiel das historische Urteil im Frankfurter Auschwitz-Prozess online nachzulesen ist. Das Urteil hat in der westdeutschen Geschichte eine wichtige Rolle gespielt, es war historische Aufklärung und moralische Lehrstunde, aber verrückterweise hatte die hessische Justiz den Urteilsspruch von 1965, mehr als 900 Seiten stark, dann einfach in den Aktenschrank gelegt. Erst 2016 übernahm es OpenJur, ihn der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

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Manchmal muss der Verein mit Gerichten streiten. Als kürzlich das Landgericht München I den Angeklagten im sogenannten Badewannen-Prozess freisprach, da korrigierte es mit dieser Entscheidung ein früheres, falsches Urteil, das diesen Mann irrtümlich zum Mörder erklärt hatte. Dreizehn Jahre hatte er zu Unrecht in Haft gesessen - Grund genug, dass Beobachter nachlesen wollen, was da falsch gelaufen ist. Aber bei dem früheren, falschen Urteil wollte sich die Justiz auch im Nachhinein nur sehr ungern auf die Finger gucken lassen, stattdessen schrieb das Landgericht München II noch im vergangenen April an Benjamin Bremert: Sein Antrag, "zum Zwecke der Entscheidungsveröffentlichung in openJur" das viel diskutierte Fehlurteil zu übersenden, werde abgelehnt. Die gewundene Begründung war dann sieben Seiten lang und vom Präsidenten des Landgerichts unterzeichnet - wie ein eigenes Urteil.
Bremert, ein Glück, ließ sich nicht beeindrucken, besorgte sich das alte Urteil einfach über die Anwälte. Und veröffentlichte es trotzdem.
