Konzerte in der Corona-Krise:Händel auf Distanz

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Vierzehn Menschen sitzen hinter dem Gartenzaun eines Seniorenheims und lauschen der Feuerwerksmusik: Wie gerade deutschlandweit eine neue und krisenbedingte Form der Livemusik entsteht.

Von Alexander Menden, Osnabrück

Man könnte die Szene fast idyllisch nennen: Die Vormittagssonne erhellt das Frühlingsgrün der Bäume am "Haus Ledenhof", rundherum ist es still, nur der Glockenschlag der nahen Katharinenkirche erinnert daran, dass die Zeit vergeht. Im Innenhof des Osnabrücker Senioren- und Pflegeheims stehen Posaunist Martin Räpple und der Tubist Matthew Segger und spielen den dritten Satz aus Händels "Feuerwerksmusik". Dass das kleine Konzert unter Pandemiebedingungen stattfindet, ist nur am Sicherheitsabstand ablesbar, in dem die Musiker sich positioniert haben - und daran, dass ihre Zuhörer, vierzehn Bewohner des Heims, in gebührender Distanz hinter dem Gartenzaun lauschen. "Heute Morgen war es ein bisschen zu kalt für die meisten, um sich rauszusetzen", sagt Heimleiterin Dagmar Corbach. "Die anderen sind aber alle oben an den Fenstern. Für die stärker pflegebedürftigen haben wir eigens Betten auf diese Seite des Gebäudes gestellt."

Ohne Corona-Krise würden die beiden Mitglieder des Osnabrücker Symphonieorchesters wohl nicht hier blasen, sondern für die Konzertreihe proben, die das Orchester anlässlich seines hundertjährigen Bestehens geplant hatte. Derzeit dürfen größere Ensembles aber bekanntlich weder proben noch auftreten. Als Räpple und Segger einander jüngst bei einem Waldspaziergang begegneten, fragte der Tubist, dessen Mutter in einem australischen Altersheim lebt, den Kollegen, ob er nicht Lust hätte, Menschen ein Ständchen zu bringen, die besonders stark gefährdet und von der Außenwelt abgeschirmt sind.

Wie gefährlich Covid-19 für alte Menschen ist, zeigt sich etwa im nah gelegenen Bramsche. Dort sind in einer Seniorenresidenz elf Bewohner nach einem positiven Coronatest gestorben. Für "Haus Ledenhof" gelten wie überall, wo Risikogruppen leben, rigide Kontaktbeschränkungen. Auch an Ostern waren Familienbesuche nicht erlaubt. Aus dieser Not haben Musiker in ganz Deutschland seit Beginn der Krise eine Tugend gemacht: Auch in Gießen und Göttingen spielen Mitglieder örtlicher Orchester vor Altersheimen, in Dortmund und Erlangen kurbelten Schausteller auf Heimparkplätzen ihre Kirmesorgel an. Besonders aufwendig war ein Auftritt der Schlagersängerin Stefanie Hertel in Berlin: Sie fuhr zur Begeisterung der Senioren mit einem "Musikantenbus" vor. Es geht aber auch einfacher - an zahlreichen anderen Orten treten Solomusiker mit Gitarre, Keyboard oder Saxofon für Heimbewohner auf. Die Gesundheitsämter sind kooperativ, Heimleitungen und Heimbewohner dankbar für die Abwechslung.

Mehr als ein Duett ist wegen der verschärften Auflagen nicht möglich. Das erschwerte dem Gespann aus Posaune und Tuba die Auswahl. "Es gibt zwar viele Arrangements für Bläserquintette", sagt Segger, "aber für ein Bläserduett muss man schon etwas erfinderischer sein." Viele der Stücke, die sie spielen, sind Volkslieder wie "Alle Vögel sind schon da" oder "Horch, was kommt von draußen rein". "Das ist unser Beruf", sagt Segger. "Wir können keine Leben retten, aber wir können den Leuten ein bisschen Freude bereiten."

Die Resonanz unter den Bewohnern von "Haus Ledenhof" sei schon bei der Ankündigung des Konzerts großartig gewesen, berichtet Heimleiterin Corbach. Überhaupt hätte man die Zeit der Isolation bisher anständig gemeistert, die Stimmung im Heim sei insgesamt gut. Das liege auch an den anderen Aktionen für Senioren. So hätten Schulkinder ihren Bewohnern sehr nette Briefe geschrieben, das sei gut angekommen. Was solche Gesten angeht, ist Osnabrück nur ein Beispiel von vielen. So riefen etwa die niederbayerische Gemeinde Schönberg oder das sauerländische Schmallenberg Kinder auf, für alte, isolierte Menschen Bilder zu malen.

Die Konzerte werden sich wohl für die Dauer der Kontaktsperre deutschlandweit zur festen Einrichtung entwickeln, selbst wenn sie, um größere Publikumsansammlungen zu vermeiden, in der Regel nur intern angekündigt werden. Denn sie bedeuten nicht nur für die Zuhörer eine Abwechslung. Auch für die Musiker selbst sei es schön, nicht immer nur allein zu Hause vor sich hinzuüben, sagt Posaunist Martin Räpple: "Es macht einfach mehr Spaß, vor Publikum zu spielen. Dass die Menschen ein bisschen weiter weg sitzen, ist ja egal." Andere Musiker des Orchesters werden sich der Aktion bald anschließen. Denn so schön Online-Konzerte seien, so Räpple - das Live-Erlebnis können sie nie wirklich ersetzen.

© SZ vom 20.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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