Stadtmarketing:Stadt Land Stuss

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"Deutsche Klein- und Mittelstädte, alle in Konkurrenz / alle suchen händeringend, nach einem Grund für ihre Existenz", besingt der Liedermacher Rainald Grebe in seinem Lied "Stadtmarketing" die viele heiße Luft, die dort produziert wird. (Foto: Ernesto Uhlmann / Bikini Kommando/Ernesto Uhlmann / Bikini Kommand)

"Wir lieben Ideen", "Leben im Quadrat", und jetzt auch noch "C the Unseen" als Sehhilfe für die Kulturhauptstadt Chemnitz: Wenn Städte mit Slogans hantieren, wird es manchmal originell - und häufig sonderbar.

Von Cornelius Pollmer

Es passt gut ins komplexe Verhältnis der Chemnitzer zu ihrer Stadt, dass sie manchmal erst im gemeinsamen Schimpfen so richtig zueinanderfinden. Bezogen auf den einst selbst gewählten Beinamen "Stadt der Moderne" mag das übertrieben klingen und ein bisschen sogar sein, auf jeden Fall ist es aber auch lustig, sich die späte Karrierephase dieses Slogans zu vergegenwärtigen.

Im Herbst 2020 formulierte der Noch-nicht-Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD) ein zentrales Versprechen, er sagte, er wolle die Zeile abschaffen, wenn er gewählt würde. Zur Begründung führte Schulze an, der Slogan sei von den Chemnitzern nie richtig angenommen und, wenn überhaupt, überwiegend negativ verwendet worden. Unmittelbaren Beistand erhielt Schulze von der Genossin und Gerade-noch-Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig. Diese hatte die Zeile 2007 höchstpersönlich inauguriert, erklärte nun aber der Freien Presse, aus ihrer Sicht sei nach so vielen Jahren die Frage zu stellen, ob man sich auf die Suche nach einem neuen Slogan mache, "oder ob die Zeit der Slogans insgesamt vorbei ist".

Diese grundsätzliche Frage wird gleich noch einmal deutlich zu stellen sein, zuvor ein vorläufig letzter Fund aus der Akte Chemnitz. Der Hinweis auf eine "Stadt der Moderne" verblasst nun tatsächlich allmählich aus Schrift- und Stadtbild, stattdessen protegiert wird die Wort-Bild-Marke "Chemnitz, Kulturhauptstadt Europas 2025". Endgültig beerdigt ist der alte Slogan damit aber noch nicht, nach wie vor steht er zum Beispiel als Touristenreklame an der Autobahn sowie mannigfach im Internet.

Für sein Schicksal entscheidend dürfte auch werden, wie freundlich oder forsch die Chemnitzer mit einer anderen neuen Zeile umgehen, einer, die der Kulturhauptstadtbewerbung vorangestellt worden war: "C the Unseen", das Ungesehene sehen - das liest sich auch gut als freundliche Aufforderung an die eigenen Leute, mit der Stadt weniger zu hadern.

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Hoyerswerda wirbt mit "Wir lieben Ideen"

Das Ungesehene sehen, so lässt sich dann auch schon der Auftrag fast allen Standortmarketings beschreiben, und dieser Auftrag gerät, so viel lässt sich gleich sagen, fast immer kompliziert. Leider legendär ist der Spott, den sich Sachsen-Anhalt als "Land der Frühaufsteher" einhandelte. Leider immer irgendwie egal wird es, wenn Orte mit der Allerweltsvokabel "Leben" in ihren Slogans operieren. Ausnehmen darf man da allerdings die Stadt Mannheim, in der die Vokabel nach einem Blick auf den Stadtplan sinnfälligerweise potenziert wurde. In Mannheim gibt es jetzt nicht mehr nur Leben, es gibt "Leben im Quadrat!"

Und Tore. Immerzu Tore. Hamburg definiert sich als Tor zur Welt, Halberstadt immerhin noch als das zum Harz, Bischofswerda schon nur noch als jenes zur Oberlausitz. Als "Tor zum Erzgebirge" wiederum haben sich von Niederwürschnitz bis Hohndorf gleich mehrere Orte zu einer "LEADER-Region" verbunden. Ob es auch ein Tor zur Stadt Torgau gibt, ist gegenwärtig nicht bekannt, wohl aber, dass die Sächsische Zeitung einmal in einem hübschen Versuch gedanklichen negative campaignings indirekt überlegte, welche Personen der Zeitgeschichte eher nicht für einen Beinamen infrage kämen. Torgau als "Stadt, in der sich Katharina von Bora das Becken brach"? Damit wird nicht zu rechnen sein.

Andere Städte haben es leichter, weil sie heute noch Bezug nehmen können auf zum Beispiel den seinerzeit vielreisenden Goethe (Grüße gehen raus in die Goethe-Städte Bad Lauchstädt, Frankfurt am Main, Ilmenau, Weimar und Wetzlar). Noch andere Orte verlieren sich bei der Wahl ihres Slogans ein wenig im Vagen, speziell anzuführen ist in dieser Kategorie das sächsische Hoyerswerda. "Wir lieben Ideen", heißt es in Hoyerswerda, nur, eine "Idee", das kann ja erst mal alles sein. Über Atombomben lässt sich viel Schlechtes sagen, eine Idee war auch ihre Erfindung.

Allgemein lässt sich - zum Glück? - eine gewisse Ermüdung auf dem viel zu weiten Feld des Stadtmarketings beobachten, pars pro toto sei auf ein Stück aus dem Frühjahr in der Allgemeinen Zeitung verwiesen, speziell auf die folgende, in ihrer Feinsinnigkeit kaum zu übertreffende Anmoderation des Artikels: "Ergebnisse der Bürgerbefragung liegen vor: Gescher will nicht mehr 'natürlich anders' sein". Nach, was sonst: "lebhafter Diskussion" war der Slogan der nordrhein-westfälischen Stadt einst eingeführt worden - jetzt heißt es, irgendwie schön: "Gescher empfindet sich schlicht und einfach als Glockenstadt."

China animierte 6000 Städte, sich Beinamen zu geben

In China wiederum läuteten einem Bericht des Economist zufolge vor ein paar Jahren gewaltig die Glocken und sie schlugen Alarm. "China pushes towns to brand themselves, then regrets it", titelte das Magazin so präzise wie lakonisch und berichtete, dass ein staatliches Programm etwa 6000 Städte angestiftet hatte, sich mit Beinamen und zugehörigen Kampagnen irgendwie besonders einzukleiden. Zum Problem wurde das, weil daran gebundene Fördermittel sich kolossal aufzutürmen drohten und weil, zweitens, mit diesen Fördermitteln teilweise nur stumpf Immobilien entwickelt wurden, statt kulturelle Besonderheiten wirklich zu pflegen.

Kompliziert ist es fast immer und überall auch deswegen, weil das Konzept Slogans als solches schon alle Gefahren auch sonstiger Werbung in sich trägt. Werbung kann mit ihrer Penetranz nerven, sie kann Botschaften ausbringen, die eh schon alle kennen, sie kann im Stadtmarketing - schlimmster Fall - sein wie ein ungedeckter Scheck auf Hochglanzpapier, wie die Formulierung einer Zielgröße, die wenig bis nichts mit dem zum Glück unperfekten Alltag vor Ort zu tun hat.

In einzigartig liebevoller Gemeinheit hat Rainald Grebe gerade diese Herausforderung verarbeitet, in einem Lied namens, ja, "Stadtmarketing". Grebe geht es dabei nicht um Orte wie München oder Berlin, die das Glück haben, einfach so als fette Punkte auf der globalen Landkarte zu glühen, unübersehbar, unignorierbar. Da genügt es, einen eher unverbindlichen Slogan hinzutupfen und sich damit total beiläufig bei Anrainern und Gelegenheitsgästen einzukratzen. München mag Dich, Wir sind ein Berlin, so soll es gerne sein. Noch beneidenswerter ist da nur die Selbstverständlichkeit, mit der die Stadt Basel seit Kurzem einen hammerharten Nullsatz vor sich herträgt: "This is Basel", das klingt wie ein "Weiter so", nur eben auf Englisch.

Was aber tun, wenn man in Lohne wohnt, in Ochsenhausen oder Salzwedel? "Das sind Städte, wo man denkt: muss nicht sein", singt Grebe, so geht's bei ihm schon mal los, "...und wenn's dann da noch regnet!" Aber, fährt der Liedermacher fort, "ja ich weiß, auch hier gibt's Durst und die Menschen haben Hunger / Fressnapf, ATU - Autoteile Unger / ... deutsche Klein- und Mittelstädte, alle in Konkurrenz / alle suchen händeringend, nach einem Grund für ihre Existenz."

Aus etwas Besonderem wird leicht etwas Beliebiges

So schlimm ist es natürlich nicht, schon gar nicht in der Baumkuchenstadt Salzwedel, aber Grebe richtet sich ja gar nicht gegen Menschen und Orte, er richtet sich gegen den faulen Zauber, mit dem sie illuminiert werden sollen: "Stadtmarketing, Stadtmarketing, Simsalabim, jetzt kommt das Stadtmarketing ... win! win! ... und damit jeder unsere Kackstadt kennt, kommt das Stadtmarketing und erfindet einen Brand!"

Bei so viel und so scharfem Gegenwind stellt sich natürlich die Frage, warum Städte und Städtchen in ihrer Außendarstellung überhaupt mit Wortdekorationen hantieren. Die Argumente dafür sind so offensichtlich, dass es immer irgendwie peinlich wird, wenn Marketingprofessoren sie zu entschieden in der Öffentlichkeit vortragen, um leider nicht gänzlich beiläufig ihr Fachgebiet und damit auch sich selbst als Großexperten zu bewerben. Aus der Marketingforschung also, dem Tor zur Wissenschaft, ist zu hören, dass der Konkurrenzkampf zwischen Städten national wie global immer schärfer werde, da brauche es unter anderem passgenaue Zuschreibungen, die einen Standort wahrnehmbar und unterscheidbar machten. Ein guter Slogan ist dabei wie eine pointierte Sauce, er gewinnt erst und einzig durch eine geschickte Reduktion aufs Wesentliche.

Die Folgefrage ist dann aber die, ob das Stadtmarketing damit nicht teilweise Probleme erst schafft, die es dann nicht mehr lösen kann. Irgendwann gibt es so viele Wissenschafts- und Universitätsstädte, dass aus etwas Besonderem schon wieder etwas Beliebiges zu werden droht. Irgendwann wollen so viele Orte "bewegen", dass man sich einfach nur noch hinsetzen und in die Gegend stieren möchte, nur für ein paar Minuten, bitte. Irgendwann geben so viele Städte vor, "anders" zu sein, dass man sich ziemlich ratlos fragt, Verzeihung, anders als wer und was denn eigentlich? Und ist das überhaupt ein Versprechen, "anders" sein zu wollen - oder vielleicht doch eine Drohung?

Auch auf solche Entwicklungen ist im immerdynamischen Bereich des Stadtmarketings natürlich längst reagiert worden. Mutmaßlich angestiftet durch das angeblich alles außer Hochdeutsch könnende Baden-Württemberg, üben sich manche Orte in Selbstironie, und durchaus gelungen tun sie das zum Beispiel in Hessen, wo Mitglieder eines gemeinnützigen Vereins ausgeben, "Freiwillig in Kassel" zu leben.

Einen noch bemerkenswerteren Weg ist die Stadt Elmshorn gegangen, sie firmiert seit ein paar Jahren unter dem herausragend guten Titel "Elmshorn - supernormal". Mit "normal" ist hier natürlich nicht die für Minderheiten mitunter sehr schmerzhafte normative Kraftmeierei irgendwelcher Mehrheitsgesellschaften gemeint. Und noch mal weniger gemeint ist damit der leider genial gewählte, gleichzeitig aber auch himmelschreiend niederträchtige und kulturell-hegemonial-raffgierige "normal"-Begriff, mit dem die AfD ihren aktuellen Bundestagswahlkampf bestreitet ("Deutschland, aber normal").

Gemeint ist in Elmshorn ein normal in dem Sinne, dass man nicht ständig nervös und zwanghaft mehr aus sich zu machen versuchen muss, als man eben ist. Wer so gelassen Zufriedenheit ausstrahlt, den möchte man zur Abwechslung dann wirklich ganz gerne mal kennenlernen.

In Chemnitz werden sie sicher auch diesen Fall aufmerksam verfolgen. Stadtsprecher Matthias Nowak sagt schließlich zu Recht, "mit dem Überbrückungssignet" aus der erfolgreichen Kulturhauptstadtbewerbung habe man "jetzt erst einmal Zeit gewonnen". Und danach? Nowak sagt, "ob wir dann noch einen Slogan brauchen oder einfach nur Chemnitz sind", das wolle man jetzt mal ganz in Ruhe abwarten.

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