Kolumne "Vor Gericht":Der Irrtum

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(Foto: sz)

Alles schien zusammenzupassen, und so wurde Monika de M. wegen Mordes an ihrem Vater verurteilt. Über einen skandalösen Richterspruch.

Von Verena Mayer

Alles passte zusammen. Da war diese Frau, 48 Jahre alt, der man sofort ansah, dass sie es nicht leicht hatte. Mit abweisendem Blick saß sie auf der Anklagebank und sagte kein Wort. Als habe es ohnehin keinen Sinn, sich zu verteidigen. Was in ihrem Leben los war, mussten andere erzählen. Von ihrem Sohn, der Drogen nahm. Von ihrem Freund, der trank und gewalttätig war. Von ihrem schwer krebskranken Vater, der in ihrem Haus lebte und von ihr versorgt werden musste. Da passte es ins Bild, dass Monika de M. alles zu viel wurde. Dass sie eines Tages das Haus anzündete, um ihren Vater loszuwerden und all ihre Sorgen.

Aber es gab auch Unstimmigkeiten. Der Brand, der zwei Gutachten zufolge durch viele Liter Spiritus entfacht worden sein soll - im Haus aber fanden sich keine Spuren von Spiritus. Der Vorwurf, Monika de M. habe sich eines Menschen entledigen wollen, den sie liebte und der nach Aussage seiner Ärzte nur mehr wenige Wochen zu leben hatte. Warum hätte Monika de M. ihn töten sollen?

Dennoch ging in diesem Fall, der als größter Justizirrtum der jüngeren Berliner Geschichte gilt, alles seinen Gang. Es gab einen Prozess wegen Mordes, es gab eine Verurteilung wegen Mordes, die besondere Schwere der Schuld wurde festgestellt. Wie ein Zug, der vom Gleis abgekommen ist und dem man nur mehr dabei zusehen kann, wie er irgendwann explodiert. Nur dass einem das währenddessen vollkommen richtig vorkam. Alles fügte sich so gut, die Aussagen der Zeugen, die Gutachten der Sachverständigen, das Schweigen der Angeklagten.

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Dass Menschen für etwas bestraft werden, das sie nicht getan haben, kommt in Deutschland relativ selten vor. Auch im Fall von Monika de M. funktionierte die Justiz. Der Bundesgerichtshof erkannte die Widersprüche und hob das Urteil auf. Im zweiten Prozess kam heraus, dass die Sachverständigen schwere Fehler gemacht hatten. Der Brand war nicht durch Spiritus entstanden: Der Vater hatte nachts im Bett eine Zigarette geraucht und war dabei eingeschlafen.

Als Gerichtsreporterin fand ich den Fall nicht nur erschütternd, weil Unrecht geschah. Sondern weil es so beiläufig passierte. Monika de M. saß nicht auf der Anklagebank, weil ihr jemand Böses wollte. Sondern, weil alle ihren Job machten. Die Polizisten, die Monika de M. in der Brandnacht verhörten und ihre abweisende Art verdächtig fanden. Die Staatsanwaltschaft, die ein Gutachten zur Brandursache in Auftrag gab und sich das gut vorstellen konnte mit den vielen Litern Spiritus. Der Vorsitzende Richter, der das Umfeld der Frau ausleuchtete und nur Unglück und Überforderung sah. Alle taten das, was sie immer taten, alles passte zusammen. Und irgendwann war eine Frau eines Mordes schuldig, den sie nicht begangen hatte.

Nichts kann einen so zerstören wie erlittenes Unrecht. Zwar wurde Monika de M. am Ende freigesprochen und für ihre zweieinhalb Jahre Haft entschädigt. Mit dem Geld eröffnete sie ein Lokal, fand Freunde. Doch ihre Kraft reichte nicht für das neue Leben. Monika de M. wurde krank und depressiv, elf Jahre nach dem Mordprozess starb sie.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))

Kolumne
:Vor Gericht

In dieser Serie schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. Alle Folgen finden Sie hier.

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