Hofbräuhaus in Berlin:Himmel der Preußen

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Jodeln, Glockenspiel und Weißwurstzuzeln: Süddeutsche Heimatgefühle ließen sich in Berlin schon immer prächtig vermarkten: Ein Hamburger eröffnet nun das angeblich größte bayerische Wirtshaus Europas - mitten am Alexanderplatz.

Boris Herrmann

Aus München ist ein Sattelschlepper gekommen. Er hat weiß-blaue Fähnchen gebracht, dazu Servietten, Girlanden und Lederhosen, Rautenstoff gefaltet, Rautenstoff gerollt und nicht zu vergessen: eine Bilderserie vom Engel Aloisius - was man so braucht, damit es gemütlich wird. 20 Tonnen "traditionell bayerische Dekoration" hat der Laster also unweit des Alexanderplatzes abgeladen. An diesem Freitag wird nun endlich der Moment kommen, auf den der Berliner schon immer gewartet hat: Um 18 Uhr eröffnet mitten in der deutschen Hauptstadt das angeblich größte bayerische Wirtshaus Europas. Ursprünglich sollte es Hofbräuhaus heißen, aber da hatte eine Traditionsstube selbigen Namens aus München rechtliche Einwände. Jetzt steht "Hofbräu Berlin" auf dem Schild über der Eingangstür.

Maßkrüge tragen im fortgeschrittenen Lernprozess: Das Personal des Hofbräu Berlin beim Abschlusstraining. (Foto: Ufuk D. Ucta)

"Servus", sagt der Geschäftsführer Björn Schwarz. Das Wort klingt noch nach in den hohen Hallen der Schenke, da schiebt Schwarz hinterher: "Moin, moin." Im Verlauf des Rundgangs durch das dreistöckige Gebäude mit seinen 6000 Quadratmetern wird er auch "Hefeweizenglas" sagen. Um der Wahrheit nicht länger im Weg zu stehen: Schwarz, 38, stammt nicht einmal aus Bayern. Was aber sagt es eigentlich über dieses Land aus, wenn ein Hamburger in Berlin ein Stück München nachbaut?

"Wenig", findet Schwarz. Er habe lange für Jever gearbeitet, sei immer sehr Brauerei-verbunden gewesen. Im Übrigen denke er in Zahlen, nicht in Regionen. Offenbar rechnet er schlichtweg damit, dass es genügend Wahnsinnige für seinen Plan gibt. Der Plan lautet: 120 Tonnen Haxen, 25 Tonnen Weißwürste und eine Million Liter Bier pro Jahr unter die Berliner zu bringen. Und was die ehemals München-kritischen Hauptstädter nicht schaffen, sollen die Touristen richten. Schwarz ist sich sicher: "Am Alex geht das." Ausgerechnet.

Der Alex ist unter den bekannten Plätzen Deutschlands gewiss einer der trostlosesten. Er bringt es sogar fertig, mit jedem Belebungsversuch betrüblicher zu werden. Das ganze Areal mit seiner absurden Verkehrsführung, seiner zugepinkelten Weltzeituhr, seinem blutfarbenen Einkaufsbunker, seinen sterilen Plattenbauten, mobilen Bratwurstmenschen und sibirischen Windböen ist nur unwesentlich einladender als die Wüste Gobi. Die Touristen kommen trotzdem in Scharen. Und künftig ist dabei wenigstens für Speis, Trank und Folklore gesorgt. So sieht Schwarz das.

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sich in Berlin süddeutsche Heimatgefühle prächtig vermarkten lassen. Jeder Kreuzberger Spätkauf hat Helles vom Tegernsee inzwischen ganz vorne in der Auslage. Der Gendarmenmarkt sieht aus, als stünde er mitten in München. Fast jeder Stadtbezirk veranstaltet sein eigenes Oktoberfest. Was Schwarz nun am Alexanderplatz vorhat, hebt die bayerische Kolonialisierung Berlins dennoch in eine neue Dimension. Zwei Kilometer Bierbänke bieten Platz für 2500 Gäste, den Garten vor der Tür nicht mitgerechnet. In jedem Geschoss steht eine Showbühne. Schon mittags sollen Jodler, Alphornbläser und Glockenspieler auftreten. "Hier darf geschunkelt werden", sagt Schwarz. Alfons Schuhbeck macht am Freitag den Anstich. Danach findet eine WM im "Weißwurstzuzeln" statt.

Manchmal steckt jetzt der Wirt des Kartoffelhauses "Der alte Fritz" von der anderen Straßenseite den Kopf aus der Tür und fragt sich, ob sich künftig noch jemand für seine Klopse in Soße interessiert, "wenn es gegenüber knallt und blinkt." Bis vor kurzem hat er noch auf ein ostiges Möbelhaus geblickt, zu DDR-Zeiten war der neue Berliner Bierpalast eine Großkantine, die im Volksmund "Fresswürfel" hieß. Im alten Fritz sagen sie sich jetzt: "Wer drüben nicht reinpasst, kann ja dann zu uns kommen."

Schwarz singt derweil in seiner gigantischen Schankhalle ein Loblied auf die restaurierte Rippendecke: "Super Akustik, da kommt die Bauweise der DDR noch mal richtig zum Tragen." Vielleicht ist es die letzte schwere Niederlage des Sozialismus, dass nun ausgerechnet die "Original Hofbräuhaus Showband" unter dieser Decke zum Tanz lädt.

100 Mitarbeiter sind schon da, 100 will Schwarz noch einstellen, es bedienen Berlinerinnen im Dirndl. "Die machen sich gerade mit den Maßkrügen vertraut, die schon geliefert sind", sagt Schwarz. Neben der Koordination des Abschlusstrainings hat er kurz vor der Eröffnung aber auch anderweitig alle Hände voll zu tun. Eine Delegation der FDP sitzt im ersten Stock Probe. "Die wollen hier vielleicht ihre Weihnachtsfeier machen. Mit 600 Leuten und dem vollen Programm", verrät der stolze Gastronom. Platzprobleme jedenfalls bekäme er nicht einmal dann, wenn die Partei ihre gesamte Berliner Wählerschaft auch noch mitbrächte.

© SZ vom 04.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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