Wolfgang Kohlhaase wird 90:Das Leben um die Ecke

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Der Drehbuchautor von "Berlin - Ecke Schönhauser ...", "Solo Sunny" und "Die Stille nach dem Schuss" stand in der frühen DDR für ein neues, aufmüpfiges Kino.

Von Fritz Göttler

Er gehört zu der Generation, die, um ihre Filme zu machen, Mitte der Fünfziger, auf die Straße ging, raus aus dem Studio, wo die Bescheidwisser hockten, die Simplifikatoren. Das war Nouvelle Vague, Defa-Stil, zu einer Zeit, als die jungen Franzosen noch Filmkritiken schrieben in ihren Cahiers du Cinéma.

Seine ersten Drehbücher schrieb Wolfgang Kohlhaase für Gerhard Klein, das erste, "Alarm im Zirkus", ist eine Jungsgeschichte, der Traum von Boxhandschuhen und gestohlenen Zirkuspferden, ein magischer Neorealismus - doch, auch der Neorealismus hat seine Magie -, dazu ein Schuss Berliner Kästner-Romantik der Dreißiger, ein bisschen "Sie küssten und sie schlugen ihn". 1957 machten die beiden dann "Berlin - Ecke Schönhauser ...", das halbstarke Ost-Berlin, ohne Genehmigung der HV (Hauptverwaltung) Film gedreht, die fand diese Typen zu negativ, aufmüpfig, das war nicht der erwünschte vorbildhafte sozialistische Realismus. Der Realismus der Jungen ist anders. Filme, in "denen selbst die leeren Straßen von denen redeten, die in ihnen wohnten". Die Poesie der Subversivität.

1965 dann der letzte gemeinsame Film, "Berlin um die Ecke", der wurde schon vor der Fertigstellung verboten - der Ostberliner Frühling war vorbei, das 11. Plenum des ZK der SED im Dezember sammelte die Filme ein, die die neue Freiheit genutzt hatten, schloss sie ungesehen weg. Kellerfilme, Kaninchenfilme. Erst 1987 wurden sie wieder herausgeholt, 1990 waren sie auf der Berlinale zu sehen.

Das macht ihm Spaß, die "Nähe von Poesie und Banalität"

Geboren ist Wolfgang Kohlhaase am 13. März 1931 in Berlin. Das Kriegsende war der erste historische Einschnitt, den er erlebte. "Der Zusammenfall von Weltgeschichte und Pubertät war ein großes Glück", sagt er. Vom Kriegsende erzählt dann "Ich war neunzehn", den er für Konrad Wolf schrieb, die Erlebnisse eines Jungen in der Sowjetarmee - es sind die von Konrad Wolf selbst. In den Siebzigern arbeiteten sie noch mehrfach zusammen, zuletzt bei 1980 bei "Solo Sunny", Wolfs letztem Spielfilm, bei dem Kohlhaase Co-Regisseur war. Der Film lief auf der Berlinale, ein Publikumserfolg, Silberner Bär für Renate Krößner, die Sunny spielte. Ein Mädchen, das eine Identität sucht, eine Persönlichkeit, einen Song, der mehr ist als schäbiges Nachtclub-Tingeltangel. Sie will gebraucht werden, will brauchbar sein. "Hinterlassen nicht auch Leute, die scheitern, der Welt ihre Fragen?" So treffend wie seine Dialoge sind die Anmerkungen, die Wolfgang Kohlhaase zu Filmen, zum Kino, zur DDR, zur Geschichte und ihrer Dialektik geschrieben hat - man kann eine Fülle davon nachlesen im Band "Um die Ecke in die Welt" (Hrsg. Günter Agde, in einer erweiterten Ausgabe eben erschienen im Eulenspiegel Verlag, Berlin).

Nach Konrad Wolfs Tod hat Wolfgang Kohlhaase dreimal mit Frank Beyer gearbeitet, dreimal mit Andreas Dresen ("Sommer vorm Balkon"), einmal auch mit Bernhard Wicki. Für die Dokumentation "Auge in Auge" von Hans Helmut Prinzler und Michael Althen, in der zehn deutsche Filmschaffende über ihren Lieblingsfilm reden, hat Kohlhaase sich "Menschen am Sonntag" ausgesucht, und wenn er da die Choreografie einer Annäherung zwischen zwei jungen Leuten beschreibt, im Sonntags-Großstadtgetümmel, dann leuchten seine Augen. Er ist ganz locker, ganz anders als seine eher ernsten jungen Kollegen Petzold, Wenders, Tykwer und die Kollegin Dörrie. Das macht ihm Spaß, die "Nähe von Poesie und Banalität".

Die spürt man auch in "Die Stille nach dem Schuss", den er 2000 mit Volker Schlöndorff machte, noch eine Frau, die brauchbar werden will, eine RAF-Terroristin, der 1970 in der DDR Unterschlupf gewährt wird und eine neue Identität. Sie ist naiv, auf der Suche nach Solidarität, nach Liebe. Bis die Wende kommt. Auch für diesen Film gab es Berliner Bären, für die Darstellerinnen Bibiana Beglau und Nadja Uhl. Die Gefühle sind ganz einfach, aber nicht simplifikatorisch. Terrorismus und Sozialismus, das sind Leute mit großen Ideen, "und dann hat sich die Welt verabschiedet von diesen Ideen". Zum Schluss des Films gibt es einen schönen, lakonischen Satz: "Alles ist so gewesen. Nichts war genau so."

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