Wladimir Putin: Imagepflege:Macho, Macher, Star

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Zwischen Zar und Star: Das Image, das Wladimir Putin von sich lanciert, steht in nichts hinter der idealisierenden Bildnispolitik der Renaissancefürsten zurück - ein Nimbus zwischen Landesvater, "Godfather", Familienmensch und Womanizer.

Jeanette Kohl

Wer ist Wladimir Wladimirowitsch Putin? Der russische Premierminister hatte es, so lernen wir, schon im Kindesalter nicht leicht. Er wächst im Leningrad der entbehrungsreichen fünfziger Jahre auf. Der Vater ist Kriegsveteran, die Mutter schuftet in der Fabrik. Die häusliche Enge treibt den Grundschüler auf die Hinterhöfe, wo er schon früh Durchhalteinstinkt entwickelt.

Wladimir Putin in Sibirien: Der russische Premierminister verbindet die Pathosformel des gestählten Reiters mit jener des nackten Regenten - und doch ist das Resultat, wenngleich ungewollt, im Auge des westlichen Betrachters eher ein braver Nachmittagsausflug. (Foto: A2800 epa Dmitry Astakhov POOL/dpa)

Wolodja besucht die Grundschule mit mäßigem Erfolg. Fasziniert von Spionageromanen, beschließt er, selbst ein berühmter Spion zu werden. Er entdeckt seine Passion für Kampfsportarten, trainiert verbissen Judo und wird Leningrader Meister. Am Ende seiner Schulzeit klopft Wladimir an die Tore des KGB, doch er blitzt ab: Hier bewirbt man sich nicht, man wird gerufen!

Das Studium des Internationalen Rechts schließt er mit einer Dissertation ab. Der KGB rekrutiert Putin Mitte der siebziger Jahre dann doch noch - und hier beginnt die erstaunliche Karriere. Er wird in der Spionageabwehr eingesetzt, verbringt fünf Jahre in Dresden, wo er fließend Deutsch lernt.

Der Rest ist Geschichte: 1998 beruft ihn Boris Jelzin in sein Team und schon im Sommer 1999 wählt ihn die Duma zum Premierminister, nur ein gutes halbes Jahr später wird er Staatspräsident. Nachzulesen ist das in der 2001 erschienenen Autobiographie, die viele Klischees bemüht, um uns die exemplarische Vita eines Aufsteigers zu verkaufen - der Untertitel: "Das erstaunlich ehrliche Selbstporträt des russischen Präsidenten Wladimir Putin".

Im zeitgenössischen Karussell der Spitzenpolitik tut sich Putin gerne durch Bildpolitik hervor. Das Image, das er und sein Beraterstab von der öffentlichen Persona Putins lancieren, steht in nichts hinter der idealisierenden Bildnispolitik der Renaissancefürsten zurück - ein Image, das zwischen Zar und Star, Landesvater und "Godfather", Familienmensch und Womanizer changiert.

Waffen und männlich konnotierte Symbole

Mit welcher Bildsprache man in Ländern mit traditionell höherem Gewaltpotential vorankommt, zeigt sich in einem jüngst publik gewordenen Foto von Putins Freund Silvio Berlusconi aus dessen Zeit als aufstrebender Medienunternehmer im Italien der siebziger Jahre.

Silvio fläzt sich lässig am Schreibtisch seines teuer eingerichteten Büros. Offen neben ihm liegt eine 357 Magnum Smith & Wesson - ein kleiner Hinweis auf die Art und Weise, wie er seinen Aufstieg abzusichern gedenkt. Jüngst vermerkte ein britischer Waffenexperte, das Kaliber transportiere die simple Botschaft, dass Silvios Eier größer seien als die jener Leute, gegen die er sich zu verteidigen suche.

Die rüde Interpretation trifft die visuelle Botschaft im Kern. Sie lässt an die Bildersprache der italienischen Renaissance denken, in deren Ritualen der Herrscher-Repräsentation Waffen und männlich konnotierte Symbole eine zentrale Rolle spielten. Das prominenteste Beispiel dürfte der venezianische Söldnerführer Bartolomeo Colleoni sein. Sein um 1485 vom Florentiner Bildhauer Andrea del Verrocchio entworfenes Reiterstandbild in Venedig verewigt das Bild eines Machtmenschen und Aufsteigers, für den der Zweck die Mittel heiligt. Colleonis Wappen ziert selbstbewusst ein verdreifachter männlicher Hoden.

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Hart, unerschrocken, männlich: Putin, Bush und Sarkozy verbreiten eine neue, testosteronschwere Bildsprache. Ihre Botschaft: Weltpolitik ist nichts für Weicheier.

Solch präpotente Selbstreferenz mag veraltet erscheinen, das Bild des Herrschers auf dem Pferderücken ist es jedoch keineswegs. Die Bildformel lebt nach, etwa wenn etliche amerikanische Präsidenten sich traditionell beim Ritt über ihre Farm zeigen.

Auch Wladimir Putin kann reiten. Für eine Bilderstrecke, die im vergangenen Jahr im sibirischen Nationalpark Tuva aufgenommen wurde, stieg er aufs Pferd und trottete durch die Taiga. Ein Hemd hat der Naturfreund nicht nötig, sucht er doch den unmittelbaren Kontakt zur Natur.

Halbnackte Herrscher spazieren schon durch die Renaissance, man denke etwa an Bronzinos Bildnis des Cosimo I. de' Medici von 1540, das den Herzog als nackten Neptun mit sexuell unverhohlenen Anspielungen zeigt. Putin verbindet die Pathosformel des gestählten Reiters mit jener des nackten Regenten - und doch ist das Resultat, wenngleich ungewollt, im Auge des westlichen Betrachters eher ein braver Nachmittagsausflug.

Doch in seiner Inszenierung als proletarischer Fürst genießt er Kultstatus im eigenen Land. Die weiblichen Fanclubs sind zahlreich. Zumindest in Russland scheint die Rechnung also aufzugehen.

Diese und eine Vielzahl anderer Bilder, die sein Internet-Fotoalbum unter der Rubrik "casual" zeigt (einzusehen über http://premier.gov.ru.), operieren mit kunsthistorisch bekannten Herrscheridealen.

Neben der energetisch aufgeladenen Formel des männlichen Reiters wird vor allem die angebliche Gewandtheit des politischen Führers ausgespielt. Was Baldassare Castiglione in seinem Buch "Hofmann" zu Beginn des 16. Jahrhunderts als die Kunst der Leichtigkeit beim Repräsentieren beschrieb, die Sprezzatura, scheint auch dem Konzept der Selbstdarstellung Putins zugrunde zu liegen.

Grübler und Mann mit Überblick

So sehen wir Putin, den Mutigen, bei der Jagd auf eine Sibirische Tigerin, Putin als halbnackten Fischer, Reiter und Wanderer, als siegreichen Judoka im Nahkampf, als hartgesottenen Biker, im Formel-1-Boliden und als Piloten eines Löschflugzeuges; aber auch als Grübler bei der Betrachtung eines Steines und als Mann mit Überblick bei einer archäologischen Ausgrabung.

Putin erscheint in seinem offiziellen Bilderalbum als Personifikation der Phrónesis, die Aristoteles als die praktische Seite der Weisheit definiert. Ehrgeiz und kalkulierte Risikobereitschaft sind die zentralen Qualitäten, die auch Niccolò Machiavelli in seiner politischen Theorie hervorhebt. Sie sind ultimative Tugenden, die dem Fürsten Glanz und Unsterblichkeit verleihen.

Und wenn noch nicht genug Glanz und Glamour da ist, so können sie auch einfach importiert werden. Putins Einladung zu einer Wohltätigkeitsgala 2010 in Sankt Petersburg folgten so illustre (wenngleich nicht mehr ganz frische) Gesichter des internationalen Kinos wie Sharon Stone, Kevin Costner, Goldie Hawn, Gérard Dépardieu und Alain Delon.

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Putin präsentierte sich als Star unter Stars und bestieg die Bühne, um betont entspannt Fats Dominos "I found my thrill on Blueberry Hill" zu trällern. So machte er die Leinwandstars zu Zuschauern seiner eigenen Performance. Auch hier steht letztlich der Renaissancemann Castiglione Pate, der vom idealen Hofmann auch die Beherrschung der Künste von Tanz und Musik verlangte.

Putin, der Macho, der Macher, der Star. Vor dem Wahlkampf um das Amt des Staatspräsidenten sind diese Bemühungen eine klare Botschaft ans Volk. Noch parkt er auf dem Posten des Premiers. Doch während der jetzige Präsident Dmitrij Anatoljewitsch Medwedjew sein Image als aufgeschlossener, mit Laptop bewaffneter Staatsmann pflegt, laviert Putin auf geschickte Weise zwischen den Idealen des alten zaristischen und sozialistischen Russland und der neuen, globalen Ästhetik des Politikers als Medienstar.

Putin verlässt sich wie kein anderer Spitzenpolitiker auf die Allgemeinverständlichkeit überkommener, ins kollektive Bewusstsein eingedrungener Bildlösungen. Mag der stolze Reiter noch so sehr aus der Mottenkiste der Kunstgeschichte stammen - unvermeidlich assoziiert jeder einen herkulischen Machtinstinkt.

Es scheint, als habe die spezielle politische Situation einer Nation im Umbruch den Drang nach tradierten Klischees besonders befördert, als böten die Pathosformeln althergebrachter politischer Bildersprache in prekären Zeiten Zuflucht. Die Medienberater wollen in der Figur Putins das alte Russland und den vom Zarentum zum Sozialismus mutierten Personenkult in das neue Russland hinüberretten. Dass die post-stalinistischen Herrscherbilder mit ihren Protagonisten Chruschtschow (Schuh), Breschnew (Augenbrauen) und Gorbatschow (Muttermal) wenig glamourös gerieten, scheint den Hunger nach Bildern eines starken und medienwirksamen Alleskönners noch befördert zu haben.

Ultimative Distanz

Wladimir Putin wurde 2007 vom Magazin Time zum "Mann des Jahres" gekürt. Das Cover des Magazins zierte eine Aufnahme des britischen Fotografen Platon. Es zeigt die regungslose Mimik eines Mannes mit graublauen Augen und sorgfältig gescheiteltem Haar. In seiner porenfeinen Auflösung führt die Nahaufnahme die makellose, glattrasierte Haut des Porträtierten dicht an den Betrachter heran. Und doch ist es das Bildnis einer überaus fernen Person mit undurchdringlichem Blick. Von merkwürdig kalter Farbe, ja Farblosigkeit, suggeriert die Fotografie ultimative Distanz. Wir sehen einen Mann ohne Eigenschaften, kühl bis ins Mark, das merkwürdige Simulacrum eines Menschen.

Der Kopf, von einer Lichtaureole hinterfangen, erinnert in seiner strengen Zentralität an die Tradition der Christusbildnisse und deren Versprechen auf wirklichkeitsgetreue Wiedergabe. Zugleich beschleicht den Betrachter das Gefühl, entweder einer Computersimulation aufzusitzen oder aber das Bildnis eines Nachahmers vor sich zu haben. Das Foto gerät in seiner Entrücktheit und Indifferenz zu einer postmodernen Ikone Putins - weit entfernt vom schelmischen Lächeln eines lässigen Barack Obama, den Platon im gleichen Jahr abgelichtet hat.

In Anbetracht des Anspruchs des Starfotografen, seine Modelle "so zu zeigen, wie sie wirklich sind", gerät man vor Putins Bildnis leicht ins Frösteln.

© SZ vom 04.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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