"Wann kommst du meine Wunden küssen?" im Kino:Gute Besserung

Lesezeit: 3 Min.

Verletzungen und Wiederannäherungen: Katarina Schröter (l.) und Bibiana Beglau in "Wann kommst du meine Wunden küssen?". (Foto: Markus Zucker/Schiwago Film)

Drei Frauen, ein einsamer Bauernhof, intensive Nähe und brutale Verletzungen: "Wann kommst du meine Wunden küssen?" von Hanna Doose.

Von Annett Scheffel

Es ist ein weiter Weg von Berlin in den Schwarzwald. Zwei Welten: Was in der einen zählt, ist in der anderen egal oder gar verachtenswert. Auf dem Motorrad dauert die Reise elf Stunden, Maria (Bibiana Beglau) braust durchs ganze Land - nicht ohne sich vorher noch mal mit Drogen einzudecken - und landet dann wie ein fremdes Raumschiff im winterlichen Bergdorf. Hier steht ihr Elternhaus. Auf den Wipfeln der Bäume liegt noch Schnee.

Ebenso eisig verläuft Marias Ankunft. Hier wohnen zwei so vertraute wie entfremdete Frauen, ihre krebskranke Schwester Kati (Katarina Schröter) und ihre ehemals beste Freundin Laura (Gina Henkel). Wie eine Vorahnung fliegt die Kamera über den Abgrund eines Staudamms. Und bevor man weiß, warum, weiß man um das Konfliktpotenzial, wenn Maria ketterauchend und mit ihren Zebraschuhen diese karge, idyllische Welt betritt. Der Wald ringsherum steht still. Im Inneren des Hofes und der Beziehungen beginnt es bald zu tosen und zu grollen.

Zwischen Weite und Enge hat die Regisseurin Hanna Doose ihren zweiten Spielfilm angesiedelt. Zehn Jahre nach ihrem viel gelobten "Staub auf unseren Herzen", mit dem sie zwei Preise auf dem Münchner Filmfest gewann, geht es erneut um Familien -und Wahlfamilien in schwierigen Konstellationen. Im Zentrum steht diesmal nicht eine Mutter-Tochter-Beziehung, sondern ein vielfältig miteinander verstricktes Frauentrio, um das herum Doose ein kraftvolles Drama entfaltet. Alle hier stecken in schweren Lebenskrisen, in ihren ganz eigenen und in solchen, die sie miteinander teilen, die sie umschlingen und miteinander verwachsen sind. Denn auch wenn sich Maria, Kati und Laura voneinander entfernt haben, der Ballast der Vergangenheit kettet ihre Existenzen aneinander.

Maria und Laura waren früher ein lebenshungriges Gespann im Berliner Kulturleben, die eine Regisseurin, die andere Schauspielerin. Zum eng verschworenen Kreis gehört auch der Musiker Jan (Alexander Fehling), Marias Ex-Freund, mit dem Laura erst eine Affäre hatte, um sich dann mit ihm in ein Aussteigerleben im Schwarzwald zurückzuziehen. Eine Flucht vor stagnierenden Karrieren. Nun produzieren sie auf dem Hof, den sie von den Schwestern gepachtet haben, Ziegenmilch und Käse.

Ein Drama, das die postpandemische Krisenstimmung seltsam genau trifft

Aber das Landleben ist rau, die Geschäfte laufen schlecht, und der Verrat an Maria lastet auf der Beziehung. Auch mit Marias Karriere läuft es schon lange nicht mehr, weswegen sie den Hof der Eltern am liebsten verkaufen will. Und die todkranke Kati klammert sich an schamanische Heilkräuter und geistert nächtelang allein durch die Wälder.

"Wann kommst du meine Wunden küssen?" ist ein Drama, das den Nerv der postpandemischen Krisenstimmung seltsam genau trifft, ohne von ihr zu handeln. Wohin bloß mit diesem Leben? Diese Frage schwebt über dem ganzen Film. Hanna Doose erzählt ihre Geschichte langsam und in starken Bildern, in denen sich die winterliche Natur mit der kammerspielartigen Beengtheit abwechselt.

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Dooses Filme haben einen ganz eigenen Sound, eine Widerspenstigkeit und Dringlichkeit. Das hat viel mit der besonderen Arbeitsweise der Regisseurin zu tun: Ihre Drehbücher stecken nur den Rahmen der Erzählung ab, überlassen es den Darstellern, sie mit improvisierten Dialogen zu füllen. Das erzeugt intensive Nähe, auch die chaotische Wirklichkeit scheint ja immer nur die erste Probe zu sein, ist aber schon das Leben selbst.

Mit Bibiana Beglau, Gina Henkel und Katarina Schröter hat sich Hanna Doose drei exzellente Schauspielerinnen ausgesucht. Stark ist auch Alexander Fehling als wehmütiger Aussteiger in Jogginghose. Aber es ist ein Frauenfilm, in dem alle Männer zwar nicht unwichtig sind, aber nur Nebenrollen spielen.

Nur ganz allmählich werden die schlecht verheilten Wunden aus dem Filmtitel freigelegt. In exquisiten, kleinen Bemerkungen, Nebensätzen und bösen Spitzen, beiläufig fallen gelassen. Aber scharf wie Messer. Hier bleibt keiner verschont. Alle vier haben sich einen dicken Panzer um ihre Ängste geschnallt, halten sich gegenseitig aber gnadenlos den Spiegel vor, bis ganze Existenzen in Scherben liegen. Das Schönste an diesem Film aber ist, dass er auch von den zarten Annäherungen erzählt, die nach den Verletzungen wieder möglich sind.

Wann kommst du meine Wunden küssen? D/CH 2022 - Regie und Buch: Hanna Doose. Kamera: Markus Zucker. Schnitt: André Nier. Mit: Bibiana Beglau, Gina Henkel, Katarina Schröter, Alexander Fehling, Godehard Giese. MFA+, 115 Minuten. Kinostart: 2. 2. 2023.

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