"Wanda, mein Wunder" im Kino:Chaos am Zürichsee

Lesezeit: 3 min

Wanda (Agnieszka Grochowska) bringt wieder Leben in die Familie, für die sie arbeitet. (Foto: Aliocha Merker/X-Filme)

Eine polnische Pflegerin stellt das Leben einer wohlhabenden Schweizer Familie auf den Kopf: die Tragikomödie "Wanda, mein Wunder".

Von Martina Knoben

Eine Polin holen. So nennen manche Leute im Westen das gern, wenn Oma oder Opa im Alltag nicht mehr klarkommen und eine ausländische Pflegekraft für sie engagiert wird. Es sind fast ausschließlich Frauen, meist aus Osteuropa, die ihre eigenen Familien zurücklassen, um die Angehörigen fremder Leute zu pflegen. Wanda (Agnieszka Grochowska) ist eine von ihnen. Dass sie tatsächlich aus Polen kommt und nicht aus Lettland, Litauen, Ungarn, Tschechien oder Rumänien, dürfte der Schweizer Familie, für die sie arbeitet, ziemlich egal sein, wie "die Polin" ja überhaupt nur ein Synonym für billige Care-Arbeit aus dem Osten ist. Woher genau die Pflegerinnen stammen, was sie zurücklassen, wer sie eigentlich sind, solche Details interessieren viele Arbeitgeberfamilien kaum.

Wenn Europa ein Haus ist, dann bewohnen die osteuropäischen Care-Arbeiterinnen das Dienstmädchenzimmer - in Wandas Fall darf man das wörtlich nehmen. Sie ist im Keller untergebracht, in einem Raum mit Zugang von der Küche, dabei wäre vielleicht auch in den oberen Stockwerken der Villa genügend Platz. Wenn man das großzügige Anwesen am Zürichsee mit eigenem Bootssteg, altem Baumbestand und fantastischem Ausblick auf den See und die Berge zum ersten Mal sieht, springt einen der Wohlstand der Familie Wegmeister-Gloor förmlich an. Josef (André Jung) hat sein Vermögen in Baustoffen gemacht, jetzt ist der Patriarch behindert und bettlägerig nach einen Schlaganfall.

Wanda, die vom Heimaturlaub in Polen zurückkehrt, wird von ihm überschwänglich begrüßt, und auch der Rest der Familie freut sich über die immer gutgelaunte Pflegerin. Ehefrau Elsa (Marthe Keller) schätzt die professionelle Entlastung und drängt Wanda für wenig mehr Geld auch noch Arbeit im Haushalt auf. Der erwachsene Sohn Gregor, genannt Gregi (Jacob Matschenz), ist in die hübsche Polin ein bisschen verliebt.

Wanda wirkt nicht wie ein Opfer, wir sind hier nicht in einen Ken-Loach-Film

Auch Wanda scheint die Familie zu mögen, vor allem Josef, den sie pflegt - vielleicht, weil beide nicht so richtig dazugehören. Eine Chance, diese Beziehung zu romantisieren, lässt Regisseurin Bettina Oberli, die mit Cooky Ziesche zusammen auch das Drehbuch geschrieben hat, dem Zuschauer aber nicht. Josef steckt Wanda Geld zu, dafür hat sie Sex mit ihm. Es ist ein Schock, aber nur ein kleiner: Wanda wirkt nicht wie ein Opfer, sondern tritt als selbstbewusste, souveräne Geschäftsfrau auf, die ihre Pflegearbeit gern macht und die Gelegenheitsprostituion in Kauf nimmt, weil sie als alleinerziehende Mutter das Geld braucht. Ihr Selbstbewusstsein tut gut, wir sind hier nicht in einem Ken-Loach-Film: Statt vom Leben gegerbte Gesichter und Geschichten sehen wir der von Agnieszka Grochowska zauberhaft verkörperten Wanda zu, wie sie zunächst der Schweizer Familie das Leben versüßt - und es dann auf den Kopf stellt.

Wanda (Mitte mit Baby) mit ihrer polnischen Familie (rechts) und den Schweizer Gastgebern. (Foto: Aliocha Merker/X-Filme)

"Wanda, mein Wunder" ist eine immer wieder schreiend komische Tragikomödie mit Hang zur Farce: prickelnd süß wie Champagner mit Erdbeeren, zu denen allerdings Backpfeifen für die Schweizer Wohlstandsbürger serviert werden. Drei Kapitel hat der Film, dreimal kehrt Wanda aus Polen in die Schweiz zurück. Beim zweiten Mal ist sie schwanger, von Josef, dem Familienoberhaupt. Der blüht förmlich auf kann plötzlich sogar wieder gehen. Ehefrau Elsa aber ist außer sich, als sie von Josefs später Vaterschaft erfährt.

Trailer zum Film:

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Hinter der Fassade der Schweizer Upperclass-Lady kommt jahrzehntelanger Frust zum Vorschein. Marthe Keller spielt das ganz wunderbar: Elsas Dünkel, ihr eisernes Bemühen um die Fassade von Gediegenheit, ihr verdrängter Minderwertigkeitskomplex. Ihre Elsa ist neben Agnieszka Grochowskas Wanda das zweite Zentrum des Films. "Wanda, mein Wunder" ist überhaupt ein Ensemblefilm, mit tollen Darstellern, in dem weniger die Not der osteuropäischen Gastarbeiterinnen, sondern komplexe Figuren und komplizierte Familienbeziehungen im Mittelpunkt stehen. Gregi etwa ist ein Weirdo, ein seltsamer, lebensfremder Kauz, der ausgestopfte Vögel sammelt und Vogelstimmen imitiert; in einem anderen Film könnte man ihn für einen perversen Frauenmörder halten. Die Ankunft von Tochter Sophie (Birgit Minichmayr) erkennt Vater Josef am Klang ihres Fünfer-BMWs, und so aggressiv hochdrehend wie ihr Auto ist diese Karrierefrau auch. Birigit Minichmayr hat sichtlich Spaß daran, diese hochfrustrierte Katastrophe in Schluppenbluse vorzuführen. Selbst als sie sich später einmal gehen lässt (was bei Sophie sehr selten vorkommen dürfte), presst sie noch die Ellbogen verklemmt und kontrolliert an den Leib.

Neid und Gier, Vorurteile und Dünkel ergeben einen filmischen Wirbelsturm, mit Wanda und ihrem Baby als Ruhepol in der Mitte. Zuerst wird das Kind als Bedrohung für das Wegmeister-Gloorsche Erbe gesehen, dann soll es Sophies unerfüllte Sehnsucht nach einem Baby stillen. Als auch noch Wandas polnische Familie in der Schweiz auftaucht, ist die west-östliche Familienaufstellung komplett. Josef sieht sie als Traumbild: Arkadien am Zürichsee. Dafür sind die Familienbeziehungen aber eigentlich zu dynamisch: Wenn Europa ein Haus ist, wird gerade einiges umgebaut.

Wanda, mein Wunder , Schweiz 2020 - Regie: Bettina Oberli. Buch: Cooky Ziesche, B. Oberli. Kamera: Judith Kaufmann. Mit: Agnieszka Grochowska, Marthe Keller, André Jung, Jacob Matschenz, Birgit Minichmayr, Anatole Taubman. Verleih: X-Filme, 111 Minuten.

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