TV: "Letzter Halt Sex":Hingeben, wegwerfen

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Erster Sex mit 13, Vergewaltigung mit 14, schwanger mit 16: Eine ARD-Doku zeigt Jugendliche, die sich mit Sex und Gewalt betäuben.

Hans Hoff

"Sex ist das Wichtigste in meinem Leben." Das sagt ein 16-Jähriger, der behauptet, es sechsmal die Woche zu brauchen und es am liebsten mit drei Frauen gleichzeitig tun würde. Erster Sex mit 13, Vergewaltigung mit 14 oder früher, schwanger mit 16. Elfjährige spielen Gang Bang und empfinden die organisierte Massenbegattung als völlig normal. Dazu kommen Drogen, Pornos und irgendwann der Wunsch, das alles hinter sich lassen zu können.

Sind wir nicht cool? Die Doku macht klar: Die Jugendlichen ahnen, dass ihr Sex nur eine Flucht ist. (Foto: Foto: SWR/Manfred Bölk)

Es ist eine verkehrt erscheinende Welt, die in dieser Dokumentation gezeigt wird. Eine Welt, die keiner so recht wahrhaben will, die aber erschreckend real erscheint, wenn man die Aussagen hört, die Manfred Bölk vornehmlich in den Problemstadtteilen von Berlin und Hamburg gesammelt hat. Sehr früher Sex erscheint dort so normal wie Hartz IV, und Gewalt gilt als normale Lösung.

Sex sei für viele der Jugendlichen im Film ein letzter Halt, erklärt eine Sozialpädagogin. "Die Möglichkeiten sind begrenzt, da was zu reparieren", sagt sie gegen Ende der 45 Minuten, die zwischendrin immer wieder durch kunstvolle Stadtbilder bestechen, die in ihrer Schönheit in krassem Gegensatz stehen zu dem, was die Jugendlichen erzählen.

Zwischen die Aussagen hat Bölk, der sich selbst jeglichen Kommentars enthält, Rapsongs gesetzt. Die klingen nicht nett, passen aber zur mangelhaften Aussicht auf ein besseres, normales Leben. Das wünschen sich fast alle hier: weg aus dem Stadtteil, weg von den Drogen, weg von der Unfähigkeit zur Liebe. Ausgerechnet die Rapper erscheinen in diesem Zusammenhang mitunter als moralische Wesen, die sich aber zurückziehen auf den Umstand, dass sie ja nur beschreiben, was ist, und dass es dafür drastische Worte braucht. Raps sind, so verstanden, keine Bedienungsanleitung für ein schmutziges Leben, sie fassen es nur in Reime.

Folgt man dieser Dokumentation eine Weile, stellt sich eine gewisse Müdigkeit ein und die Frage, ob sich Bölk nicht vielleicht eigentlich weidet am Elend, das er zeigt. Zu viele junge Menschen sind da ohne Hoffnung und finden sich ab. Genau in dem Moment aber schwenkt der Filmemacher um und lässt seine Interviewpartner von ihren Wünschen erzählen, von ihren Träumen, die selten in der Vorstadt spielen, in der sie jetzt leben. Am liebsten wollen sie alles vergessen, frühkindliche Vergewaltigungen durch den Vater sind mehrmals Thema, Gewalt beim ersten Mal, fehlendes Empfinden, das auch Gewalt sein kann. Sie ahnen, dass ihr Sex nur eine Flucht ist, die genau dort enden wird, wo sie jetzt leben.

Letzter Halt Sex - Kids am Abgrund, ARD, Mittwoch, 23.30 Uhr.

© SZ vom 04.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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