Da saßen wir. Eine kleine Gruppe von Dissidenten, die ins Exil getrieben worden ist. Wir, die Ausgestoßenen der Türkei, diskutierten beim Abendessen über Trump. Der globale Tsunami des Populismus erreicht gerade seinen bisherigen Höhepunkt. Die Vorhänge lüften sich, und das Zeitalter des Schreckens beginnt. Das wird ansteckend sein, lehrt uns die Geschichte.
Jemand am Tisch erinnerte uns an Umberto Ecos berühmten Essay "Der immerwährende Faschismus". Er schreibt: "Der Urfaschismus kann zurückkommen unter den unschuldigsten Deckmänteln. Unsere Pflicht ist, alle seine neuen Erscheinungsformen zu enttarnen. Jeden Tag, in jedem Teil der Welt."
Yavuz Baydar ist kein Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, sondern ein türkischer Gastautor. Er wurde 1956 geboren und ist Journalist, Blogger und Mitgründer von P 24, einer unabhängigen Medienplattform in Istanbul. Für seine Arbeit wurde er 2014 mit dem European Press Prize ausgezeichnet. Er hält sich derzeit außerhalb der Türkei auf. Für die SZ schreibt regelmäßig Gastbeiträge. Deutsch von Jonathan Horstmann.
"Freiheit und Befreiung", schrieb Eco, "sind eine unabschließbare Aufgabe." Dann machte sich die Türkei bemerkbar. Zwei Anrufe unterbrachen unser Gespräch, und sie passten gut zu unserem Thema. Denn in einer turbulenten Welt, die schnell in den demokratisch gewählten Autoritarismus abgleitet, ist die Türkei eine weit fortgeschrittene politische Versuchsanordnung.
Der erste Anruf kam von einem befreundeten kurdischen Anwalt. "Der Baransu-Fall ist verschoben. Baransu fiel in Ohnmacht und war unfähig, sein Schlussplädoyer zu halten", berichtete er.
Es ist ein weiterer Fall, bei dem zwei Journalisten angeklagt sind. Der Reporter Mehmet Baransu, der jetzt seit über 616 Tagen in Haft sitzt, könnte zu 52 Jahren Gefängnis verurteilt werden, zusammen mit Murat Şevki Çoban, Redakteur bei der gerade geschlossenen Tageszeitung Taraf. Sie veröffentlichten im November 2013 eine Geschichte mit dem Titel "Die Entscheidung, Gülen anzugreifen, wurde 2004 bei einem Treffen des Nationalen Sicherheitsrats gefällt". Es ging darin darum, wie der Kampf gegen der Gülen-Bewegung nahestehende Beamte vorbereitet wurde. Beide Kollegen wurden angeklagt für das "Veröffentlichen von Staatsgeheimnissen".
Die gleichen Anschuldigungen, die zuletzt gegen Cumhuriyet und seine Redakteure Can Dündar und Erdem Gül erhoben worden sind. Man könnte fragen: Wenn Gülen der türkische Staatsfeind Nummer eins ist, warum müssen die Kollegen dann einen so hohen Preis dafür bezahlen, dass sie sich mit ihm beschäftigen? "Baransu wurde um sieben Uhr morgens im Gefängnis abgeholt und ins Gericht gebracht," sagte der kurdische Anwalt. "Die Gesetze des Ausnahmezustands verbieten dem Sicherheitspersonal, den Gefängnisinsassen außerhalb des Gefängnisses Essen zu geben. Baransu wartete also auf seine Verhandlung, während ihm Nahrung verweigert wurde. Nach zwölf Stunden wurde er krank und fiel in Ohnmacht. Das Gericht wollte gerade sein Urteil sprechen. Da er aber nun unfähig war, sein Schlussplädoyer zu halten, wurde das Urteil noch mal auf den Februar verschoben. Er wurde zurück ins Gefängnis geschickt."
Das überraschte uns nicht. Aber wir blieben fassungslos und fanden keine Worte. Wir erinnerten uns, dass wir einen anderen Kollegen anrufen wollten: Akın Atalay, der aus Deutschland gerade einen dramatischen Brief an Cumhuriyet verfasst hat. Atalay, der Vorstandsvorsitzende von Cumhuriyet, war gerade in Köln, als neun Journalisten verhaftet wurden, darunter auch Murat Sabuncu, der Nachfolger von Can Dündar als Chefredakteur.