Repressionen in der Türkei:"Cumhuriyet"-Chefredakteur - höflicher Kämpfer für die Pressefreiheit

Murat Sabuncu

Murat Sabuncu: Chef der Zeitung Cumhuriyet, Erdoğan-Kritiker, jetzt eingesperrt.

(Foto: Cumhuriyet Fotograf Merkezi/dpa)

Murat Sabuncu, der Chefredakteur der Erdoğan-kritischen Zeitung, wurde gemeinsam mit etlichen Kollegen festgenommen. Er wusste, worauf er sich einlässt.

Von Luisa Seeling

Er muss gewusst haben, dass der Job riskant ist, dass kritische Berichterstattung in der Türkei zum Himmelfahrtskommando geworden ist, dass Journalisten jederzeit mit Anklagen rechnen müssen. Er wusste, worauf er sich einlässt. Trotzdem hat Murat Sabuncu den Posten des Chefredakteurs bei der Zeitung Cumhuriyet übernommen, als klar war, dass sein Vorgänger nicht zurückkehrt. Can Dündar hatte nach dem Putschversuch von Mitte Juli gesagt, er werde im Ausland bleiben, solange der Ausnahmezustand anhält. Ihm droht in der Türkei eine mehrjährige Haftstrafe - und die droht nun auch Sabuncu sowie mehr als einem Dutzend weiteren Cumhuriyet-Mitarbeitern, die am Montag in Istanbul festgenommen wurden.

Sabuncu mag im Ausland nicht so bekannt sein wie Dündar; in der Türkei hat der meist leise und höflich auftretende Mann einen Namen als profilierter Journalist und Kämpfer für die Pressefreiheit. Der 47-Jährige war Chef des Magazins Fortune, hat für die Wirtschaftsredaktion der Zeitung Milliyet gearbeitet und war Chefredakteur der Kulturzeitschrift Tempo; beim Sender Sky Türk 360 hatte Sabuncu eine wöchentliche Sendung. Der verheiratete Vater eines Sohnes ist auch Mitbegründer von P24, einer Plattform für unabhängigen Journalismus. Für Cumhuriyet arbeitet Sabuncu seit 2014. Kurz vor der Parlamentswahl im Juni 2015 enthüllte das Blatt Details über mutmaßliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdiensts an den IS in Syrien. Spätestens da geriet die traditionsreiche, 1924 von einem Vertrauten Mustafa Kemal Atatürks gegründete Zeitung ins Visier der AKP-Regierung.

Mit "alternativem Nobelpreis" ausgezeichnet

Jahrzehntelang sah sich das Blatt vor allem der Ideologie des Kemalismus verpflichtet, in jüngerer Zeit nahm die Meinungsvielfalt aber zu. Für ihre mutige Berichterstattung erhielt die Redaktion in diesem September den als "alternativen Nobelpreis" bekannten "Right Livelihood Award". Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft weist Cumhuriyet zurück: Die Festgenommenen hätten die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen unterstützt, heißt es; Gülen gilt als Drahtzieher des Putschversuchs. Dass Sabuncu und andere Cumhuriyet-Mitarbeiter mit kurdischen Separatisten und der islamischen Hizmet-Bewegung gemeinsame Sache gemacht haben sollen, ist eher abwegig.

Doch in der Türkei reicht es heute schon, über heikle Themen zu schreiben oder mit der falschen Quelle zu sprechen, um sich dem Verdacht der Terrorunterstützung auszusetzen. Niemand weiß, ob es weitere Verhaftungen geben wird, ob Cumhuriyet gar die staatliche Zwangsaufsicht droht, ein Schicksal, das schon die Zeitung Zaman und das Medienhaus Koza Ipek ereilt hat. Doch die Redaktion zeigt sich auch jetzt kämpferisch. "Wir geben nicht auf", stand am Dienstag auf der Titelseite. Dort, wo sonst die Kolumnen der festgenommenen Autoren zu lesen sind, klaffen Leerstellen.

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