Türkische Chronik:Wer wird diesen Krieg gewinnen?

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Auch wenn das Auswärtige Amt das Vorgehen der Türkei missbilligt (im Bild ein "Free Deniz"-Schild): Wird Erdoğan deshalb seine Ansichten ändern? (Foto: dpa)

Der Fall Yücel zeigt: Erdoğans erstes Angriffsziel ist nach wie vor die unabhängige Presse. Aber die Journalisten in der Türkei geben nicht kampflos auf.

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"Die Türkei ist seit jeher ein beunruhigendes Land mit wenig Freiheiten gewesen, doch jetzt ist die Situation eskaliert. Da die Gerichte und das Parlament kaum noch etwas zu sagen haben und Erdoğan alle staatliche Macht auf sich konzentriert, haben er und seine Machenschaften endgültig eine Grenze überschritten." Dies sind die Worte von Per Wästberg, der dem Komitee des Literaturnobelpreises vorsitzt und lange Jahre die Präsidentschaft von PEN International innehatte. Mit einer großen Delegation der weltweiten Schriftstellervereinigung war er vor ein paar Wochen in der Türkei. Während seines Besuchs hatte er dem angesehenen Onlinemagazin für Buchkritiken, K 24, ein exklusives Interview gegeben. Seinen Worten nicht zuzustimmen, fällt schwer.

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In vielerlei Hinsicht hat sich das, was das Time Magazine auf seinem Cover einmal als "Erdoğans Weg" bezeichnete, zu "Erdoğans Krieg" entwickelt: einem politischen Krieg, der besonders diejenigen ins Visier nimmt, die ihm nicht folgen wollen.

An vorderster Stelle zielt Erdoğans Krieg auf die Zerstörung der objektiven Berichterstattung ab. Und obwohl er seinen Krieg - seit der gewaltsamen Niederschlagung der Gezi-Park-Proteste - in den vergangenen drei Jahren auf ein weitaus breiteres Spektrum ausweitete, bleibt sein Fokus unverändert. Warum? Weil Journalisten - vor allem türkische Journalisten - ziemlich hart im Nehmen sind und sich nicht kampflos geschlagen geben werden.

Mehr als sechzig Prozent der weltweit inhaftierten Journalisten sitzen in einem türkischen Gefängnis

Die kürzliche Verhaftung meines mutigen Kollegen Deniz Yücel, die zu einem unschönen Erwachen in Deutschland und darüber hinaus führte, sollte man in diesem Kontext betrachten. Erdoğan wählte sich nicht ohne Grund eine ungeschützte und demokratisch pflichtbewusste Berufsgruppe wie die Journalisten als Angriffsziel eines Krieges aus, der mit ungleichen Waffen bestritten wird. Dessen Regel Nummer eins es ist, die journalistische Arbeit zu kriminalisieren.

Die Fakten zeigen, wie "erfolgreich" Erdoğans Krieg bisher gewesen ist: Laut den Zahlen, die von der Plattform für unabhängigen Journalismus P 24, einer in Istanbul sitzenden Nichtregierungsorganisation, veröffentlicht wurden, ist Deniz Yücel der 155. Journalist, der in der Türkei inhaftiert wurde. Damit sitzen aktuell mehr als sechzig Prozent der weltweit inhaftierten Journalisten in einem türkischen Gefängnis, wie ein Vergleich der von Reporter ohne Grenzen veröffentlichten Zahl und den Angaben der Nichtregierungsorganisation Committee to Protect Journalists ergibt. Bei der Verhaftungswelle in der Türkei soll es sich um die größte seit der weltweiten Beobachtung der Pressefreiheit handeln.

Der Fall Yücel brachte das Fass der angespannten Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland zum Überlaufen. Während der Druck auf Bundeskanzlerin Merkel zunimmt, Erdoğan in seine Schranken zu verweisen, ist aus Regierungskreisen zu vernehmen, dass sich ein diplomatischer Riss zwischen den Ländern andeutet. Der türkische Botschafter wurde bereits ins Außenministerium zitiert, um die Missbilligung der Vorgehensweise Erdoğans zum Ausdruck zu bringen.

Nun ist die Frage, ob Erdoğan deshalb seine Ansichten in Bezug auf die Medien und die Meinungsfreiheit ändern wird. Es wird gewettet, dass ihn die Kritik aus dem Ausland nicht im Geringsten stört. Er befindet sich im Krieg und wird dabei bleiben. Erst Anfang der Woche schlug er wieder wild um sich, als die Tageszeitung Hürriyet eine große Geschichte veröffentlichte, die vom Unbehagen innerhalb des türkischen Militärs berichtete. Das Militär zeigte sich wegen einer neuen Regelung besorgt, die es weiblichen Offizieren und Soldatinnen nun erlaubt, ein Kopftuch zu tragen. Eigentlich hätte dies zu einem Aufschrei führen müssen. Es wurde aufgrund vieler anderer Schreckensmeldungen aber nicht weiter bemerkt. Das Verteidigungsministerium hatte das übliche Prozedere umgangen und die Kopftuchregelung einfach so erlassen. Ein Erfolg für sunnitische Kreise und ein Tiefschlag gegen das Selbstverständnis der säkularen Armee, die 1923 gegründet wurde. Dies könnte die Spaltung der türkischen Armee bedeuten, weil auch viele alevitische Offiziere in ihr dienen, die das Kopftuch ablehnen.

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Erdoğans Raserei richtete sich gegen Hürriyet: die Zeitung werde einen hohen Preis für diese Unverschämtheit zahlen, sagte er sinngemäß. Nur wenige Stunden später gab die Doğan Media Group, der Hürriyet gehört, die Entlassung des Chefredakteurs bekannt. Kein Wunder, dass viele Beobachter diesen Schritt als das Ende des letzten Rests Unabhängigkeit der türkischen Presse sehen, die nach Doğans Kniefall nun fast vollständig unter der Kontrolle des Präsidenten ist.

Wie es aussieht, stößt die liberale Haltung der EU gegenüber der Türkei endgültig an ihre Grenzen

Nun ist Erdoğan auch mit Europa im Krieg. Die Spannungen zwischen der Türkei und der EU werden weiter steigen. Der türkische Präsident wird keine Kompromisse machen. Türkische Journalisten betonen zu Recht, dass ihre gefangen gehaltenen Kollegen und andere Oppositionelle Geiseln sind, mit denen die EU erpresst werden soll.

Die Gräben zwischen den europäischen Ländern werden tiefer. Erdoğan hat gerade keinen besonders guten Draht zu Italien, nachdem das Land seinen Sohn der Geldwäsche beschuldigt hat. Die Beziehungen zu Griechenland verschlechterten sich wegen einer künstlich produzierten Krise um eine kleine ägäische Insel. Die Zyperngespräche kamen aufgrund interner Differenzen zum Erliegen. Etliche türkische Offiziere beantragen in Griechenland, Belgien und Deutschland Asyl. Und weil Ankara nicht in der Lage war, der Nato einen wirklichen Beweis für Gülens Verwicklung in den Putschversuch zu übermitteln, wird die Türkei nicht mehr als zuverlässiger Bündnispartner angesehen.

Ein weiterer Streitpunkt zwischen der Türkei, Deutschland, Österreich und den Niederlanden sind die von der türkischen Regierung finanzierten Imame im Ausland, die beschuldigt werden, Teil eines Informanten- und Spionage-Netzwerks zu sein und im Ausland lebende türkische Staatsbürger zu bespitzeln. Zu allem Überfluss macht Erdoğan für sein Referendum auch noch Stimmung in Deutschland und Österreich, wo 1,5 Millionen stimmberechtigte Türken leben.

Doch wie es aussieht, stößt die liberale Haltung der EU gegenüber der Türkei endgültig an ihre Grenzen. Von allen Seiten wird ein Ende des "Wahlkampfes" auf fremdem Territorium gefordert.

Wer wird diesen Krieg gewinnen? Wer wird ihn verlieren und den Preis für all das zahlen müssen?

Der Autor, geboren 1956, ist Journalist, Blogger und Träger des European Press Prize. Er hält sich derzeit außerhalb der Türkei auf. Deutsch von Anna Fastabend.

© SZ vom 03.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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