Türkei:Can Dündar ist ein Mutmacher in Zeiten der Verzweiflung

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Cumhuriyet newspaper trials in Istanbul

Als Can Dündar im Mai dieses Jahres vor dem Gerichtsgebäude erscheint, entgeht er nur knapp einem Mordanschlag.

(Foto: dpa)

In seinem Buch schildert der ehemalige "Cumhuriyet"-Chefredakteur 92 Tage im Istanbuler Hochsicherheitsgefängnis - schließlich bedankt er sich bei Präsident Erdoğan.

Von Christiane Schlötzer

Ahmet Altan schreibt Bücher, die Millionenauflagen erreichen, seit 10. September ist der türkische Autor Altan, 66, Häftling. Wie sein Bruder Mehmet, ein Wirtschaftsprofessor. Ihr angebliches Vergehen: Sie sollen in einer TV-Show am 14. Juli geheimnisvolle Hinweise auf den tags darauf stattfindenden Militärputsch gegeben haben. Hoch absurd ist das.

Schriftsteller aus aller Welt, unter ihnen etwa die Nobelpreisträger J. M. Coetzee und Orhan Pamuk, haben einen Appell zur Freilassung der Brüder unterzeichnet. Wie es den Altans im Gefängnis ergehen mag, kann man sich gut vorstellen, wenn man Can Dündars Bericht aus der Hochsicherheitsanstalt Silivri liest.

Dündar hatte als Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet im Mai 2015 zugestimmt, ein Video zu veröffentlichen, das ein türkischer Gendarm 2014 gedreht hatte. Es zeigte einen Waffentransport des Geheimdienstes MIT nach Syrien. Die Anklage verlangte für Dündar zwei Mal lebenslänglich, wegen Spionage und Verrat von Staatsgeheimnissen. Die deutsche Übersetzung des Buches nimmt das Strafmaß in den Titel: "Lebenslang für die Wahrheit". Im Türkischen heißt das Gefängnistagebuch, das Dündar handschriftlich auf "Bedarfsscheine" für Alltagsgegenstände notierte, schlicht "Tutuklandık", Verhaftet.

Auch für Dündar und seinen ebenfalls weggesperrten Ankara-Korrespondenten Erdem Gül gab es eine große Solidaritätswelle. Wenn Dündar den Einfallsreichtum seiner einheimischen Unterstützer beschreibt - ob sie sich nun auf einem einfachen Holzstuhl vor der Haftanstalt als "Wächter" ablösen oder den Gefängniszensor mit Briefwechseln überwältigen - dann wird dem Leser klar, wie falsch es ist, die Türkei immer nur danach zu beurteilen, was ihr Präsident tut.

92 Tage musste der Chefredakteur im vergangenen Jahr in Istanbuler Haft verbringen

Recep Tayyip Erdoğan ist bei Dündar oft nur der "Palast" oder der "Thron", erst am Ende spricht er ihn direkt an, in einem bitter-ironischen Brief. Darin bedankt sich der Journalist dafür, dass ihm Erdoğan, der ihn persönlich angezeigt hatte, damit eine große Bühne bereitet hat.

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