Manche Dinge ändern sich nicht in der Türkei. Nie. Sie kehren auf ihre eigene, ungeheuerliche Weise immer wieder. Am Mittwoch habe ich mit Elvan Alpay telefoniert. Ihre Stimme klang traurig. "Wir sind auf dem Weg", sagte sie, "fast da, am Tor des Silivri-Gefängnisses. Ich treffe meinen Vater. Ich hoffe, dass ich seine Hand warm in der meinen halten kann." Elvan ist die Tochter von Şahin Alpay, einem der Intellektuellen, die seit dem 27. Juli inhaftiert sind. Als wichtige Stimme der Liberalen gilt er in diesen dunklen Tagen automatisch als Dissident. Ich habe Elvan alles Gute gewünscht und ihrem gebrechlichen 72-jährigen Vater meine Unterstützung ausrichten lassen.
Eine knappe Woche nach dem Ankara-Besuch zweier EU-Spitzenvertreter, Federica Mogherini und Johannes Hahn, die es beide geschickt vermieden haben, heikle Themen im Bereich der Verletzung der Menschenrechte anzusprechen, hat mich eine Geschichte in der Cumhuriyet wie ein Schlag ins Gesicht getroffen. Der Titel lautete: "Die alten Foltermethoden sind zurück".
Interviewt wurde eine mutige Strafverteidigerin, die für die Menschenrechtsorganisation IHD arbeitet, Gülseren Yoleri. Sie erzählte, was sie selbst in Diyarbakır und Istanbul beobachtet hat. Sie begann mit einem Bericht über das Gefängnis Silivri: "Es gibt seit dem Putschversuch empfindliche Einschränkungen in den Besuchszeiten und im Bereich der medizinischen Behandlung. Bedürftigen Gefangenen wird erklärt, dass sie wegen des Ausnahmezustands nicht ins Krankenhaus gebracht werden können. Das Gefängnis ist überfüllt. Die Inhaftierten müssen sich beim Schlafen abwechseln. Einzelzellen werden als Hafträume für Gruppen verwendet. Den Abwasch müssen sie in der Toilette machen, es gibt keine Belüftung. Gefangene erzählten uns, dass sie ihre Köpfe an die Fenster drücken mussten, um atmen zu können. Alle, die dort länger einsitzen, haben Gesundheitsprobleme. Beim Betreten und Verlassen der winzigen Zellen gibt es Leibesvisitationen. Man redet von Hungerstreiks.
Die Folter alter Schule sei wieder da
Eine Frau, die ins IHD kam, sagte zu uns: ,Wir haben keinerlei Verbindung mit der FETO ('Fetullah Gülen Terror Organisation', wie es im offiziellen Sprachgebrauch heißt). Wir sind nur eine konservative Familie. Mein Mann wurde gefeuert. An seinem vierten Tag im Gefängnis konnte ich ihn treffen. Er hatte Prellungen im Gesicht. Als ich fragte, was passiert sei, gingen Polizeibeamte dazwischen. Einer sagte, wenn ich etwas frage, werde ich auch verhaftet. Meinem Mann sagten sie, wenn er mir etwas erzählt, müsse er einen Monat länger im Gefängnis bleiben. Er war stark eingeschüchtert. 'Bitte bringen Sie mich nicht wieder zurück in den Polizei-Verhörraum', sagte er dem Beamten, 'lieber bleibe ich 30 Jahre hier im Gefängnis.'"
"Mit einer 18-köpfigen Delegation besuchten wir Diyarbakır and Nusaybin", fuhr Gülseren Yoleri fort. "Uns wurde gesagt, dass die 'Folter alter Schule wieder da sei', dass elektrische Geräte und Pfahlhängen zurückgekommen seien, von dort, wo sie versteckt gewesen waren." Die bittere Ironie daran ist, dass diese Berichte nur wenige Tage nach dem Besuch der EU-Spitzenvertreter auftauchen, bei dem Mogherini, Hahn und ihre Gesprächspartner nur darüber sprachen, wie wichtig die "strategische Partnerschaft" sei und dass die "Visafreiheit" für türkische Bürger auf der Agenda bleibe.
In der Türkei darf nun kein Reporter mehr "störende" Fragen stellen, und kein Medium darf sie mehr drucken. Einige winzige Zeitungen wagen es noch. Eine von ihnen, Evrensel, muss jeden Tag befürchten, geschlossen zu werden. Ein Verhandlungspartner der EU, der foltert? Man fragt sich, wie der Bericht über den Fortschritt in der Türkei aussehen wird, den Brüssel in Kürze herausgeben will - falls er überhaupt rechtzeitig erscheint, und nicht wieder mit Verspätung, wie letztes Jahr.
Der kraftvolle Kontrapunkt im internationalen Bewusstsein ist: Die Zahl weltweit renommierter Schriftsteller und Wissenschaftler, die den Brief zur Unterstützung der inhaftierten Intellektuellen in der Türkei unterzeichnet haben, ist auf 217 gestiegen. Aus Deutschland sind das Ingeborg Arlt, Uwe Friesel, Gila Lustiger, Jonas Lüscher, Günter Wallraff, Herbert Wiesner und andere. Wenn ich sehe, wie die Liste anwächst, erinnert mich das an eine Begebenheit vor 30 Jahren.
Am 17. März 1985 landeten die Schriftsteller Arthur Miller und Harold Pinter am Istanbuler Flughafen. Sie waren von türkischen Intellektuellen im Namen des PEN eingeladen worden, die auf Folter und Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen wollten, die im Zuge des Militärputsches in der Türkei plötzlich gang und gäbe waren. Es war eine schwierige Mission, weil alle wussten, dass die meisten westlichen Diplomaten sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Türkei mischen wollten. Sie dachten, das würde das im Kalten Krieg entscheidende Verhältnis zum Westen aufs Spiel setzen.
Nachdem sie vertrauliche Gespräche mit Dissidenten in Istanbul geführt hatten, fuhren sie weiter zu einem Dinner nach Ankara. Um zu verstehen, wie abschreckend die Parallele zur heutigen Türkei ist, hilft es zu lesen, wie Pinter das Dinner später beschrieben hat: "Arthur Miller sollte als Ehrengast eine Rede halten. Er stand auf und sagte: 'Hunderte sitzen in der Türkei in Gefängnissen, nur weil sie anderer Meinung sind als die Regierung. Diese Verfolgung wird von den USA geduldet und gefördert. Wie sollen wir das in Einklang bringen mit unseren demokratischen Werten?'
Der amerikanische Botschafter, der Arthur für seine Rede dankte, sagte später zu mir: 'Mr. Pinter, Sie scheinen die Lage hier nicht zu verstehen. Vergessen Sie nicht, die Russen stehen direkt auf der anderen Seite der Grenze. Sie müssen bedenken, wie die politische, diplomatische und militärische Realität aussieht.' 'Die Realität, auf die ich mich beziehe', sagte ich 'ist die von elektrischem Strom an den Genitalien.'"
Da stehen wir heute wieder, 30 Jahre später. Ersetzen Sie die USA mit der EU, und das Bild ist klar.
Im Independent konnte man kürzlich von Alessio Colonelli lesen: "Die Reaktion all dieser Schriftsteller ist genau das, was auf diplomatischer Ebene bisher gefehlt hat. Wir sehen, dass sich unsere hellsten Köpfe engagieren, wenn es darum geht, die Brutalität anzusprechen. Wenn unsere politischen Führer daran scheitern, uns beizustehen, brauchen wir weltweit bedeutende Köpfe, um zu handeln. Sie haben eine klare Vorstellung und ein Publikum von Dutzenden Millionen Menschen." Ganz so, wie es der französische Arabist und Novellist Mathias Énard kürzlich dem Spiegel sagte: "Wir dürfen den Osten nicht verlieren. Es ist für unsere Intellektuellen an der Zeit, ins Rampenlicht zu treten."
Der Autor, geboren 1956, ist Journalist, Blogger und Mitbegründer der Medienplattform P24. 2014 wurde er mit dem European Press Prize ausgezeichnet. Er hält sich derzeit außerhalb der Türkei auf. Deutsch von Thomas Jordan