Vielleicht trifft es als Nächstes die Korrespondenten der BBC. Der Sprecher des türkischen Staatspräsidenten, İbrahim Kalın, hat dem britischen Sender ausrichten lassen, was er von dessen Berichterstattung über den Kurdenkonflikt hält. "Nichts anderes als eine indirekte Unterstützung der Terrorpropaganda" sah Kalın darin vor Journalisten in Ankara.
Zuvor hatte die BBC ein Interview mit dem laut Ankündigung "meistgesuchten Mann" der Türkei veröffentlicht: PKK-Kommandeur Cemil Bayık. Es ging um die seit Sommer wieder aufgeflammten blutigen Kämpfe in der Türkei. Im Gespräch mit BBC-Korrespondent Ian Pannell erklärte der Rebellenführer, die Kämpfe gegen die Armee sogar auf die ganze Türkei ausweiten zu wollen. Im Präsidentenpalast war man sich offenkundig schnell einig: "Mit Journalismus hat das nichts zu tun."
David Lepeska hatte über die Zerstörungen im überwiegend kurdischen Diyarbakır berichtet
In der Türkei bleibt es nicht bei mündlichen Belehrungen darüber, was aus Sicht von Präsident Recep Tayyip Erdoğan guter Journalismus ist. In der Praxis sucht sich das Land gerade aus, wer aus der Türkei berichten darf und wer nicht. Am Montag wurde dem US-Reporter David Lepeska die Einreise verweigert. Am Istanbuler Flughafen Atatürk musste er eigenen Angaben zufolge eine Maschine nach Chicago besteigen. Im Internet hinterließ er einen Abschiedsgruß: Es werde nicht das letzte Mal sein, dass er Istanbul gesehen habe. Er postete ein Foto mit Blick aus dem Flugzeug. Wieder einer, der gehen muss.
Lange Zeit gerieten fast nur türkische Journalisten unter Druck. Der prominenteste Fall ist der des Cumhuriyet-Chefredakteurs Can Dündar und seines Bürochefs in Ankara, Erdem Gül, die sich wegen des Spionage-Vorwurfs und angeblicher Beihilfe zum Terror vor Gericht verantworten müssen. Sie hatten über angebliche Waffenlieferungen des Staates an Islamisten in Syrien berichtet. Doch mittlerweile werden auch zunehmend ausländische Journalisten von den Behörden bedrängt.
David Lepeska hatte unter anderem kritisch über die Zerstörungen in der Kurdenmetropole Diyarbakır im Guardian berichtet. Andere kommen gar nicht mehr dazu, sich noch selbst ein Bild zu machen. Kurz zuvor waren einem Bild-Fotografen und dem ARD-Korrespondenten Volker Schwenck, der im türkisch-syrischen Grenzgebiet mit Flüchtlingen sprechen wollte, die Einreise verweigert worden. Begründung: Er habe "keinen Antrag auf journalistische Tätigkeit" gestellt. In anderen Fällen schweigen sich die Behörden aus.
Wer verstehen will, wieso Erdoğan den Wert einer freien Presse nicht zu schätzen weiß, muss wissen, dass die Presselandschaft in der Türkei bis auf kurze Blütephasen nicht annähernd die demokratische Reife wie in Deutschland erreicht hat. Die kürzlich unter Zwangskontrolle gestellte Zaman war beispielsweise einmal ein seiner Regierung ergebenes Blatt. Als es jedoch zum Zerwürfnis Erdoğans mit dem islamischen Prediger Fethullah Gülen kam, einst sein Weggefährte an die Macht, mutierte die auflagenstarke Zeitung in opportunistischem Kalkül zum Anti-Erdoğan-Kampfblatt. In der Geschichte stößt man auf viele Fälle, in denen die Presse mit Putschisten gemeinsame Sache gemacht hat.
Erdoğan vertraut nur den Medien, die ihm gefügig sind oder die von Vertrauten kontrolliert werden. Auf die Berichterstattung der Auslandspresse hat er keinen Einfluss. Daher steht sie spätestens seit den Massenprotesten um den Istanbuler Gezi-Park unter Beobachtung, als Erdoğan heftige Kritik einstecken musste.
Zu den ersten Korrespondenten, die richtig Schwierigkeiten bekam, gehörte die freie Journalistin Frederike Geerdink aus den Niederlanden. Mit ihrer Berichterstattung aus dem Südosten betreibe sie Terrorpropaganda, hieß es; im Herbst wurde sie ausgewiesen. Seither wird die Liste der Unerwünschten immer länger.
In Deutschland ist von "schwarzen Listen" die Rede
Der Antrag der Korrespondentin der norwegischen Aftenposten, Silje Rønning Kampesæter, auf einen Presseausweis wurde kommentarlos abgelehnt. Der Spiegel-Korrespondent Hasnain Kazim sah sich aus ähnlichen Gründen ebenfalls gezwungen, das Land zu verlassen. Für Aufsehen sorgt auch der Fall der niederländischen Kolumnistin Ebru Umar, die in ihrem Ferienhaus vorübergehend festgenommen wurde. Nun wurde auch ein Einbruch in ihre Amsterdamer Wohnung publik. Umar sprach von "reiner Einschüchterung und Provokation" und stellte einen Zusammenhang zwischen den Vorfällen her.
In Deutschland ist von "schwarzen Listen" die Rede. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) Auskunft darüber verlangt, ob solche existierten. Das Unbehagen über den EU-Beitrittskandidaten wächst: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) sagte Bild: "Listen mit Journalistennamen haben in Demokratien nichts zu suchen."
Auf Antrag der Grünen wird sich der Bundestag an diesem Mittwoch in einer Aktuellen Stunde voraussichtlich mit der Lage der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei beschäftigen.