"To the Ends of the Earth" im Kino:Hymne an die Liebe

Lesezeit: 3 min

Yoko (Atsuko Maeda) in "To the Ends of the Earth". (Foto: trigon-film)

Der japanische Regiemeister Kiyoshi Kurosawa erzählt in "To the Ends of the Earth" vom Selbstfindungstrip einer jungen Frau.

Von Philipp Stadelmaier

Hüfttief steht die japanische Fernsehmoderatorin im Wasser und fuchtelt für die Kamera fröhlich mit den Händen über dem Kopf herum. Hier, im Aydarsee mitten in Usbekistan, soll sich ein zwei Meter langes Vieh von Fisch herumtreiben, der mythische Bramul. Ob es ihr gelingen wird, ihn zu fangen?

Doch die fürs Drehteam ins Wasser geworfenen Netze befördern nur Müll zutage. Die Moderatorin ist überzeugt, dass sie kein Glück hat. Der usbekische Fischer, der sie begleitet, weiß es besser: Der Bramul mag keine Frauen. Dann sagt er noch etwas anderes, das der Dolmetscher lieber nicht übersetzt.

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In Kiyoshi Kurosawas "To the Ends of the Earth" reist die Moderatorin Yoko (gespielt von der in Japan sehr bekannten Atsuko Maeda) gemeinsam mit einer Filmcrew durch Usbekistan, um eine Fernsehdokumentation über das Land zu drehen. Der schon 2019 fertiggestellte Film entstand selbst anlässlich des fünfundzwanzigjährigen Bestehens der diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und Usbekistan.

Geister gibt es keine, trotzdem begleitet eine unheimliche Präsenz die Heldin dieses wunderbaren Films

Nur gestaltet sich die Annäherung an Land und Leute als ebenso schwierig wie die Jagd auf den Bramul, zumal sie dem starren Drehplan des Produzenten unterworfen bleibt. In einem Restaurant muss Yoko ein Nationalgericht essen, bestehend aus Fleisch und Reis, der nicht richtig durchgekocht ist, von Yoko vor der Kamera aber als köstlich befunden werden muss. In einem Vergnügungspark muss sie sich einem als Jahrmarktsattraktion getarnten Folterkäfig ausliefern, der von einem erbarmungslosen Metallarm durch die Luft geschleudert wird.

Während Kurosawa auf diese Art den Fernsehexotismus bei der Darstellung fremder Länder karikiert, auf den westlich-europäische Sender kein Monopol haben, nimmt er sein Publikum mit auf eine Reise. Es geht an Seen und in die Berge, durch Städte wie Samarkand und Taschkent. Kurosawa will kein authentisches Bild des zentralasiatischen Landes zeichnen, sondern ihm mit der Kamera begegnen. Wobei sich die gefilmten Leute umdrehen, zurück in seine Kamera schauen, auf sie reagieren - wie in einer Dokumentation.

Kurosawa hätte einen weiteren "Clash of Cultures"-Film machen können. Und auch, wenn es die Hinweise gibt, dass die Bräuche verschieden sind, die Dollars des Produzenten nicht alle Probleme lösen können und man reden muss, um einander zu verstehen, geht der Film in eine andere Richtung. Kurosawa ist bekannt für seine Genrearbeiten, für Thriller, Horror- und Fantasyfilme. Er ist ein Spezialist für Geister, fürs Übernatürliche, dem er in seinen Filmen oft eine verwirrend natürliche (und damit umso unheimlichere) Präsenz verleiht.

Geister gibt es hier zwar keine, aber eine unheimliche Präsenz, die den Film begleitet. Da wäre Yokos Verlobter, ein Feuerwehrmann im fernen Tokio, den wir nie zu Gesicht kriegen und der nur durch Textnachrichten anwesend ist. Und dann ist da das Phänomen, dass es immer jemanden gibt, der sie interessiert betrachtet. Als sei sie selbst eine übernatürliche Erscheinung.

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Das Unheimliche ist aber sanftmütig und entlarvt die Angst vor dem Fremden als Projektion und Vorurteil, die amüsierten und neugierigen Blicke der Usbeken werden zum Spiegel, der Yoko auf sich selbst zurückwirft. Weswegen in diesem wunderbaren Film Yokos Reise nicht nur durch die äußere Welt führt, sondern auch, über die sichtbaren "Enden der Erde" des Titels hinausgehend, in ihr eigenes Innenleben.

Besonders deutlich wird das im Navoi-Theater in Taschkent, dessen Räume einst von japanischen Soldaten eingerichtet wurden, die im Zweiten Weltkrieg in sowjetische Gefangenschaft gerieten. Hier lösen sich die Grenzen zwischen Innen- und Außenwelt auf, wenn Yoko sich selbst auf der Bühne zusieht, wie sie (begleitet vom Usbekischen Nationalorchester) Edith Piafs "Hymne à l'amour" singt.

Der Film lohnt allein wegen dieser wunderschönen Szene, die auch ein Moment der Selbstbefreiung ist. Die Fernsehsprecherin löst sich von ihrem medialen Bild und tut, was sie schon immer wollte: singen. Piafs Chanson wird eine Hymne der Singenden an sich selbst. Der Film folgt einer Frau, die sich in einem fremden Land verliert, um wieder mit sich selbst in Kontakt zu treten.

To the Ends of the Earth, Usbekistan/Japan 2019 - Regie und Buch: Kiyoshi Kurosawa. Kamera: Akiko Ashizawa. Mit Atsuko Maeda, Ryo Kase, Tokio Emoto. Trigon-Film, 120 Min. Kinostart: 21.7.2022.

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