"Talk to Me" im Kino:Hand in Hand

Lesezeit: 3 min

Kommt in Kontakt mit ihrer verstorbenen Mutter: Mia (Sophie Wilde). (Foto: Capelight)

Im australischen Horrorfilm "Talk to Me" versuchen ein paar Teenager Kontakt mit den Toten aufzunehmen - leider mit Erfolg.

Von Fritz Göttler

Die Jugend am anderen Ende der Welt ist natürlich nicht so viel anders als die bei uns. Man hängt in den warmen Nächten ab, mit Alkohol und Techno, auf der Straße oder in einem Clubraum. Dann schlängelt sich einer der Jungen durch die Reihen der Feiernden, er ist auf einer fiebrigen Suche, klopft an eine Tür, sein Bruder soll aufmachen. Ein Messer wird gezückt, und es endet blutig. Wenig später wird ein Känguru angefahren, es ist schwer verletzt und leidet, ein Junge fleht, es zu erlösen. Lust und Leid sind ganz nah aneinander, und zwischen ihnen blinken Momente auf von moralischer Verantwortung. Adelaide, eine Stadt im Süden Australiens.

Kids, die nicht mehr bei sich sind, um diese Entfremdung kreisen viele Horrorfilme, und die Lust, sich ans Unbekannte, Gefährliche, Bedrohliche zu verlieren, ist besonders groß in einer Gesellschaft mit so rüdem Patriarchalismus wie der australischen. Der Horror dieses Films der Zwillinge Danny und Michael Philippou kommt von einem eher lächerlichen Artefakt: einer (angeblich) balsamierten weißen Hand (eines Mediums?), die sich in einer starren Geste öffnet - dabei aber eher aussieht wie ein Gipsmodell aus dem ersten Semester einer Bildhauerklasse.

Es ist eine Hand, die Welten verbindet - wer sich auf ihren Griff einlässt und beim Zupacken entschieden "Talk to me" sagt, sprich mit mir, den bringt sie mit einem Menschen aus dem Jenseits zusammen. Ein gespenstisches Ritual, eine Mutprobe, ein gruseliges Partyspiel, das die Kids in fröhlicher diverser Runde exerzieren und dessen erregende, überraschende Reaktionen sie mit ihren Handys einfangen. Nach neunzig Sekunden sollte man den Talk aber abbrechen und loslassen - sonst bleibt man hängen und die fremde Existenz übernimmt.

Die Regisseure wurden mit ihren Rackaracka-Videos auf Youtube berühmt

Alleinerziehende Eltern, eine engste Freundschaft zwischen Mädchen, von denen die eine den Freund der anderen übernommen hat. Es sind dysfunktionale Familien, von denen dieser Film erzählt, nicht als Psychostudie, sondern auf genre-intensive Weise, als Folie, auf der der Horror sich entwickelt und steigert. Auch Mia (Sophie Wilde) will schließlich beim Hand-Spiel mitmachen, von den anderen angespornt. Sie ergreift die Hand - und kommt in Kontakt mit ihrer Mutter, die sich vor Jahren umgebracht hat.

Der Film war Anfang des Jahres ein Überraschungserfolg auf dem Sundance-Filmfestival. Danach wurde er auf der Berlinale gespielt. Die Festivals, sonst eher Richtung Arthouse orientiert, öffnen sich gerade dem Midnightkino und seinen Schockern, die Horrorfilmer, man weiß es seit Langem, sind die wahren Cineasten. Der Film hat den Filmemachern Philippou, die mit ihren wilden Rackaracka-Videos auf Youtube ungemein erfolgreich sind, einen heißen Deal mit der Produktionsfirma A 24 eingebracht, die dieses Jahr den Oscar-Abräumer "Everything Everywhere All at Once" produzierten.

Hand in Hand, das wäre eigentlich das Zeichen innigster Verbundenheit und Einigkeit ... Nach diesem Film hat sich diese Vorstellung in nichts aufgelöst. Da sind die fünf Finger, krächzt zu Beginn eines der großen Arthousesfilme der letzten Jahre eine Grabesstimme: Sie formen die Hand, und mit den Händen zu denken, ist die wahre Bestimmung des Menschen. Es ist der Beginn von "Le livre d'image" und die Stimme ist die des Filmemachers Jean-Luc Godard.

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Der wahre Horror beginnt dann, wenn der Film die Seite wechselt, wenn wir uns plötzlich auf der Seite der Instabilen, Kranken, Gefährdeten, Ausgeschlossenen, Bösen finden - der Toten. Dadurch wie er den Tod imaginiert, macht "Talk to Me" deutlich, weshalb diese alle so brutal zum Kontakt mit den Lebenden über die Hand sich drängen. Der Tod, das ist ein langer Flur, in dem, eine nach der anderen, die Türen zuschlagen und das Licht ausschließen und uns in ewiger absoluter Finsternis allein lassen.

Talk to Me , USA 2022 - Regie: Danny und Michael Philippou. Buch: Bill Hinzman, Daniel Philippou. Kamera: Aaron McLisky. Schnitt: Geoff Lamb. Musik: Cornel Wilczek. Mit: Sophie Wilde, Alexandra Jensen, Joe Bird, Otis Dhanji, Miranda Otto. Capelight, 94 Minuten. Kinostart: 27. Juli 2023.

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