"Rush" im Kino:Tanz der Zylinderventile

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Chris Hemsworth als James Hunt und Daniel Brühl als Niki Lauda in "Rush". (Foto: dpa)

Rasante Charakterstudie: Der Kinofilm "Rush" erzählt eines der spannendsten Kapitel des Rennsports, mit Daniel Brühl als Niki Lauda und Chris Hemsworth als James Hunt. Regisseur Ron Howard lässt die Muskeln spielen.

Von Tobias Kniebe

Ein Auge in Großaufnahme, prüfend schaut es in die Wolken. Der Himmel sieht garstig aus, bleigrau vor schwefelgelb. Es ist der 1. August 1976, in wenigen Minuten wird der Große Preis von Deutschland beginnen, eines der berühmtesten und berüchtigtsten Rennen in der Geschichte der Formel 1. Über dem Nürburgring braut sich was zusammen, auf schicksalhafte Weise.

Sind es die wärmegesättigten Kodakfarben, die alten Werbelogos, die flachen Adidas-Sohlen der Ferrari-Techniker? Auf Anhieb ist jedenfalls klar, dass "Rush", von Peter Morgan geschrieben und von Ron Howard inszeniert, in den Siebzigern spielt. Und nicht nur einfach so, sondern mit Liebe. Die Bilder des Kamerazauberers und "Dogma"-Veteranen Anthony Dod Mantle sehnen sich geradezu nach dieser Zeit.

Genauso klar ist, warum. Da stehen zum Beispiel schöne Frauen auf dem Asphalt, die mit den Fahrern posieren. Sie haben Stil. Kein Mensch käme auf die Idee, sie Boxenluder zu nennen. Denn zum Luder gehört ja Berechnung, das Feilschen um jeden Zentimeter der eigenen Haut. Hier aber ist der Sex noch ganz frei davon, ganz ungefährlich. Absurd gefährlich ist vielmehr die Nordschleife des Nürburgrings, was die Frauen natürlich spüren.

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Inmitten der Frauen steht der Rennfahrer James Hunt, gespielt vom Chris Hemsworth. Er ist der eine Held dieser Geschichte. Mitte zwanzig, groß, gut aussehend, blonde Surfermähne. Ein Wort drängt sich auf, das sich bei Engländern eher selten aufdrängt: sexy. In wenigen Augenblicken wird er mit absurder Geschwindigkeit in Kurven hineinrasen, die nicht umsonst Fuchsröhre oder Bergwerk heißen, aber er ist völlig auf die Frauen fixiert. Weil das eben seine Art ist, den Wahnsinn zu verdrängen.

Neben ihm sitzt Niki Lauda im Ferrari, gespielt von Daniel Brühl. Er ist der zweite Held dieser Geschichte, und er ist allein. Sein Kopf kalkuliert Wahrscheinlichkeiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass er aus diesem Cockpit nicht unbeschadet wieder herauskommt, liegt bei mehr als 20 Prozent. Das sind ihm ein paar Prozent zu viel. Und es ist schon bemerkenswert, wie Daniel Brühl sein Gesicht hier zugespitzt, ins Hochkonzentrierte und Rattenhafte verschärft hat, um Niki Lauda zu werden.

Großes Hollywood-Schnittprogramm

Jetzt werden Sturmhauben über die Gesichter gezogen, Visiere heruntergeklappt. Das Gebrüll der Motoren ordnet die Eingeweide neu. Es geht los. Der Film fliegt hoch über der Startaufstellung und will doch im nächsten Moment wieder ganz nah dran sein, die weiche Masse der Reifen spüren, das Aufleuchten der Zündflammen, den Tanz der Zylinderventile, das Wirbeln der Gelenkstangen: großes Hollywood-Schnittprogramm.

Ron Howard, dieser unprätentiöse Musterknabe des amerikanischen Filmhandwerks, lässt in solchen Momenten seine Muskeln spielen. Und das kann er ja auch. Die meiste Zeit aber macht er sich durchlässig - für eine fremde Welt, eine fremde Geschichte. Denn die Leidenschaften, die diesen Film vorantreiben, sind keine amerikanischen. Das wäre beim Thema Formel 1 ja auch unwahrscheinlich. Sie sind britisch und zum Teil sogar österreichisch, was zuallererst an dem Autor Peter Morgan liegt.

Morgan kennt man für seine Dramen aus der Wirklichkeit - der britischen Politik in der Ära Tony Blair hat er etwa eine ganze Trilogie gewidmet, deren Mittelteil, "The Queen" mit Helen Mirren, bereits auf dem Weg zum Klassiker ist. Bei "Frost/Nixon", ebenfalls ganz nah an historischen Ereignissen, hat er schon mit Ron Howard zusammengearbeitet, danach schrieb er für Clint Eastwood und adaptierte John le Carré. Seit einigen Jahren aber lebt Morgan in Wien - seine Frau stammt aus altem k. u. k.-Adelsgeschlecht. Hier stieß er auf die Geschichte von Lauda und Hunt, eine wahre "Special Relationship" zwischen Österreich und England. Es wurde ein Herzensprojekt ohne festen Auftrag. Und weil Hunt, der ewige Lebemann, schon mit 45 Jahren einem Herzinfarkt erlegen ist, war es dann vor allem Lauda, der Peter Morgan mit den unverzichtbaren Details jener Zeit versorgte.

Wie man in den vergangenen Wochen sehen konnte, wirbt Lauda auch für den Film und gibt Interviews. Normalerweise wäre das Indiz für eine fade, weil weich gespülte Version der Ereignisse. Wer das befürchtet, kennt Lauda schlecht. So eiskalt, undiplomatisch und gnadenlos direkt, wie er in der Wirklichkeit oft auftritt, darf jetzt auch sein Alter Ego im Film sein: ein Mann, den alle fürchten und vielleicht auch bewundern, den aber eigentlich keiner mag - außer, am Ende, vielleicht wir Zuschauer.

Partytier gegen Mechaniker-Quäler

Nach dem Start am Nürburgring, über dem schon die Wolken des Unheils hängen, springt "Rush" ein paar Jahre zurück. Hunt und Lauda lernen sich erst einmal kennen - als wilde, gleichermaßen ehrgeizige Jungtalente in der Formel 3. Hunt ist schon damals das Partytier, der Sexmaniac und ewige Herzensbrecher, der mit seiner wunderschönen Ehefrau später dann gar nichts anzufangen weiß. Lauda dagegen quält seine Mechaniker die ganze Nacht, bis Mordlust in ihren Augen flackert - am nächsten Morgen aber ist sein Wagen plötzlich zehn Sekunden schneller. Es wundert nicht, dass er 1975 dann als erster von beiden Weltmeister wird.

Dann aber kommt die Saison von 1976, Hunt fährt endlich bei McLaren, das eigentliche Duell beginnt - und bald braucht der Film nur noch dem realen Drama zu folgen: die Fahrerkonferenz, bei der Lauda den Nürburgring für zu gefährlich erklärt; der Horrorcrash, vierzig Sekunden sitzt er in den Flammen und kämpft dann im Krankenhaus ums Überleben; schließlich die Rückkehr in den Rennzirkus mit entstelltem, noch blutig bandagiertem Gesicht, nach nur 42 Tagen - und das letzte, alles entscheidende Weltmeisterschafts-Rennen in Japan.

Kein Sportfilm könnte sich eine bessere Geschichte wünschen, und "Rush" erzählt sie perfekt. Das wirklich Faszinierende ist dann aber, dass der Film dabei nicht stehen bleibt. Morgan will wissen, wie seine beiden Helden wirklich ticken, ihn interessiert am Ende die Charakterstudie, und besonders für Lauda, die komplexere, getriebenere Figur, hat er dabei großartige Szenen geschaffen.

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Laudas erste Begegnung mit der auch in Wahrheit wunderschönen Marlene Knaus (Alexandra Maria Lara) etwa, seiner späteren Ehefrau. Durch allerlei Verwicklungen in Norditalien landen sie im selben Auto, Lauda am Steuer. Sie hat nie von ihm gehört und kann es nicht glauben, dass er zur Formel 1 gehört - schließlich fahre er wie ein alter Mann. Lauda gibt eine Antwort, wie sie typischer nicht sein könnte: "Schnell fahren? Erhöht bloß das Verkehrsrisiko. Wir ham's nicht eilig, ich werd' nicht bezahlt, und mir winkt auch keine Belohnung. Also warum?"

Weil ich sie darum bitte, haucht Marlene. Und wie er da zu ihr herüberschaut, bevor er schließlich mächtig Gas gibt - das ist doch ziemlich unvergesslich. Techniker gegen Naturtalent, so lässt Lauda gegen Hunt sich zuspitzen. Das langsame Anhäufen von Vorteilen, das auch immer etwas Kleinliches hat, gegen den großen, verrückten, bekifften Wurf. Aber eben auch: Entschlossenheit, Todesmut, ja, Wahnsinn auf beiden Seiten. Man könnte noch viel erzählen.

Wer aber dem Geheimnis des Gewinnens näherkommen will und dem Geheimnis des Genießens, der Antwort auf die Frage schließlich, ob sich beides vereinbaren lässt oder eben gerade nicht - der wird nicht umhinkommen, diesen Film, und besonders seine großartige Schlussszene, selber anzuschauen.

Rush, USA/GB/D 2013 - Regie: Ron Howard. Buch: Peter Morgan. Kamera: Anthony Dod Mantle. Mit Chris Hemsworth, Daniel Brühl, Olivia Wilde, Alexandra Maria Lara. Universum Film, 123 Minuten.

© SZ vom 05.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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