Denkmalsturz:Vom hohen Ross

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Abbau des Reiterstandbilds von Robert E. Lee, Kommandeur der Armee der Konföderierten Staaten, in Richmond, Virginia. Das Ereignis wurde live im Internet übertragen. (Foto: Steve Helber/AP)

Mit dem Abriss seiner Statue im amerikanischen Richmond ist der Südstaaten-General Robert E. Lee endgültig gefallen - für die "Black Lives Matter"-Bewegung ein spektakulärer Sieg.

Von Hubert Wetzel

Es ging ein bisschen zu wie beim Länderspiel am Mittwoch in Richmond, Virginia. Für die, die früh aufgestanden waren, hatte die Polizei einen Zuschauerbereich abgesperrt. Für alle anderen wurde das Ereignis live im Internet übertragen. Die Stadtverwaltung hatte dafür extra ein Twitter-Konto eingerichtet.

Dann kamen die Kräne und Tieflader, und die Arbeiter, kräftige Kerle mit Schmerbäuchen und keulendicken Armen, legten los. Robert Edward Lee wurde angeseilt, hochgehievt, abgesetzt, zersägt und weggeschafft. Und so endete, wenn man es mit ganz viel Pathos sagen will, am 8. September 2021 der amerikanische Bürgerkrieg.

Streng genommen ist dieser Krieg, in dem mit Gewalt die Frage geregelt werden musste, ob weiße Menschen schwarze Menschen besitzen dürfen, natürlich schon lange vorbei. Am 9. April 1865 hatte besagter Robert E. Lee, Kommandeur der Armee der Konföderierten Staaten, nach der Niederlage in der Schlacht von Appomattox kapituliert. Nach vier blutigen Jahren und etlichen Hunderttausend Toten hatten die Nordstaaten gewonnen, der Süden hatte verloren, die Sklaverei wurde abgeschafft.

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Aber wie das mit der Vergangenheit zuweilen ist - manchmal weigert sie sich hartnäckig, zu vergehen und einer neuen Gegenwart Platz zu machen. So war das auch im amerikanischen Süden, wo nach dem verlorenen Krieg sehr schnell allerlei trotzige Mythen entstanden, warum man in Wahrheit auf der richtigen Seite gestanden habe. Und warum die Soldaten und Generäle, die für den Süden - und damit für den Erhalt der Sklaverei - gekämpft hatten, Helden waren, die man ehren und derer man gedenken müsse.

Das war einer der Gründe, warum in den Jahrzehnten nach dem Krieg Hunderte Denkmäler für die Soldaten der Konföderation errichtet wurden, darunter jede Menge Standbilder, die Robert E. Lee zu Pferd zeigten. Ein anderer Grund war, dass die Weißen im Süden den Schwarzen mit diesen Monumenten zeigen wollten, dass sie trotz der militärischen Niederlage immer noch die Herren waren. Die Denkmäler waren Wahrzeichen weißer Macht und eine Warnung an die Schwarzen. Es war kein Zufall, dass viele im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert aufgestellt wurden, in der sogenannten Jim-Crow-Zeit, als die Rassentrennung und die Diskriminierung der Schwarzen gesetzlich festgeschrieben wurden. Die Lee-Statue in Richmond wurde 1890 eingeweiht.

Es gab viel Widerstand aus den weißen, reichen Kreisen der Stadt, die ihr "historisches Erbe" bewahren wollen

Und deswegen ist es kaum verwunderlich, dass eine Forderung der "Black Lives Matter"-Bewegung stets war, diese Denkmäler zu demontieren. Das hat zu erbittertem Streit geführt. In Charlottesville, Virginia, endete die Auseinandersetzung über den Abriss eines Lee-Denkmals 2017 in einer brutalen Straßenschlacht zwischen Rechtsradikalen und linken Demonstranten, bei der eine junge Frau starb. In Richmond ging es nicht so gewalttätig zu, aber auch hier gab es viel Widerstand aus den höheren - sprich: reichen und weißen - Kreisen der Stadt, die diesen Teil ihres "historischen Erbes" nicht angetastet sehen wollten. Vor einigen Tagen entschied dann ein Gericht letztinstanzlich, dass Lee abgebaut werden dürfe.

Für die "Black Lives Matter"-Aktivisten, die das Denkmal seit Monaten besetzt halten, ist das ein spektakulärer Sieg. Richmond war einst die Hauptstadt der Südstaaten. Die Lee-Statue dort war die größte im ganzen Land. Reiter und Pferd, gestaltet und in Bronze gegossen von dem französischen Bildhauer Antonin Mercié, maßen mehr als vier Meter. Sie ruhten auf einem Sockel aus Marmor und Granit, der gut 14 Meter in die Höhe ragte. Zudem stand das Denkmal mitten in Richmond an der Monument Avenue, einer der feinsten Straßen der Stadt, entlang der auch andere Südstaaten-Generäle und -Politiker mit Standbildern geehrt wurden. Sehr viel tiefer ins Herz kann man diejenigen, die dem alten Süden nachtrauern, kaum treffen als durch den Abriss von Lee in Richmond.

Ist damit alles gut? Wahrscheinlich nicht. Es gibt in den USA eine Entwicklung, die mit dem Bürgerkrieg zu tun hat und die einerseits erfreulich, andererseits aber höchst beunruhigend ist. Erfreulich ist dabei das, was am Mittwoch in Richmond passiert ist: Die Denkmäler für die Männer, die auf dem Schlachtfeld den Kampf für die Sklaverei angeführt haben, fallen. Das ist kein blinder, ahistorischer Bildersturm, kein Auswuchs der Cancel Culture, sondern eine notwendige Korrektur in der Erinnerungskultur: Die Südstaaten-Generäle waren keine ehrenhaften Patrioten, sondern Verräter - Putschisten, die sich gegen die Vereinigten Staaten von Amerika aufgelehnt hatten.

Auf dem Land macht sich ein anderes Symbol aus der Bürgerkriegszeit breit: die alte Südstaatenflagge, wie sie dieser Mann hier vor einem Souvenirladen in Kennesaw hält. (Foto: Robin Rayne /imago images)

Aber die Denkmäler fallen vor allem in den Städten. Dort, wo Amerikas Süden längst kein Hinterwäldler-Refugium mehr ist, sondern eine moderne, bunte, aufgeklärte, wirtschaftlich attraktive Region, die Jobs und Menschen anzieht, in der die Demokraten Wahlen gewinnen und Schwarze ganz selbstverständlich Bürgermeister werden. Draußen auf dem Land dagegen - und das ist die beunruhigende Entwicklung - wächst die Verbitterung über genau diese Veränderung. Und dort macht sich ein anderes Symbol aus der Bürgerkriegszeit breit: die alte Südstaatenflagge.

Die rote Fahne mit den schrägen blauen Balken und den weißen Sternen hat ihren historischen Kontext längst verloren. Sie ist zu einem tagesaktuellen, parteipolitischen Statement geworden, wer sie hisst, bekennt sich damit zu einem Bündel konservativer bis reaktionärer, nativistischer bis rassistischer Ansichten. Und die Fahne hat ihren geografischen Kontext verloren. Man sieht sie im Süden, in den Staaten, die einst die Konföderation bildeten. Aber man sieht sie auch oft in Bundesstaaten, die im Bürgerkrieg zum Norden gehörten, in der Yankee-Hochburg Maine genauso wie in Michigan, Ohio oder Pennsylvania - allesamt Staaten, die vor eineinhalb Jahrhunderten ihre Söhne in den Kampf gegen General Lee geschickt haben.

"Den Süden" als politische Einheit gibt es in den USA nicht mehr, das konnte man am Mittwoch in Richmond sehen. Aber man muss nicht sehr weit fahren, um zu sehen, dass die Ideen, die dort das Leben so lange vergiftet haben, weiter existieren.

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