"Pleasure" von Ninja Thyberg im Kino:Zurichtung der Geschlechtsorgane

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Die junge Schwedin Linnéa (Sofia Kappel) nennt sich mit Künstlernamen Bella Cherry. Sie will Pornostar werden. (Foto: Weltkino)

Von einer, die auszog, den Körperhorror zu lernen: In "Pleasure" wirft die schwedische Regisseurin Ninja Thyberg einen weiblichen Blick auf die Pornoindustrie.

Von Philipp Stadelmaier

Linnéa, 19 Jahre alt, schwedisch, blond und tätowiert, ist gerade am Flughafen in Los Angeles angekommen, wo sich der Beamte der Einwanderungsbehörde nach dem Grund ihres Aufenthalts in den Vereinigten Staaten erkundigt: "Business or pleasure?" Linnéa muss einen Moment überlegen. "Pleasure", sagt sie schließlich, und darf passieren.

Die Antwort ist gut gewählt. Hinweise auf geschäftliche Tätigkeiten hätten einen unangenehmen Fragemarathon nach sich gezogen, der sie gezwungen hätte, ihre eigentlichen Absichten zu enthüllen: ein großer Pornostar zu werden. Ganz gelogen hat sie dennoch nicht, Vergnügen und Pornografie lassen sich ja durchaus assoziieren. In jedem Fall landet die schwedische Regisseurin Ninja Thyberg mit dieser Ouvertüre den ersten ironischen Coup ihres Debütfilms. Der heißt ebenfalls "Pleasure", wird aber im weiteren Verlauf Linnéas Antwort unerbittlich korrigieren. Zu keinem Moment geht es hier ums "Vergnügen", sondern allein ums männerdominierte Porno-Business, und um die Qualen, die mit diesem - als Frau - verbunden sind.

Linnéa (Sofia Kappel) die sich bald mit Künstlernamen Bella Cherry nennt, wohnt mit drei anderen Darstellerinnen in einem Bungalow. Vor dem ersten Dreh wird sie nervös und ist kurz davor abzubrechen. Die Filmemacher und ihr männlicher Partner sind nett, verständnisvoll, reden ihr gut zu, ermutigen sie. Schließlich läuft die Kamera doch, und die schüchterne Linnéa verwandelt sich von jetzt auf gleich in die lüsterne Bella, die gerade noch so schüchtern, nervös und unschuldig ist, dass es für die Szene passt.

Auf dem Weg nach oben, in den Kreis der A-Listers einer renommierten Agentur, stellt sie sich für immer extremere Drehs zur Verfügung. Sie macht einen BDSM-Film (das einzige Mal, dass hier eine Frau Regie führt), eine Vergewaltigungs- und eine "Double-Anal"-Szene, bei der sie gleichzeitig zwei Penisse rektal aufnehmen muss. Die von Thyberg fast körperhorrorhaft inszenierte Zurichtung ihrer Geschlechtsorgane umfasst auch ein schmerzhaftes Training mit Butt-Plugs, mit denen sie versucht, ihren Anus zu dehnen.

Der roughe Realismus des Films verdankt sich der Mitwirkung zahlreicher "echter" Protagonistinnen und Protagonisten der kalifornischen Pornoindustrie, sowie der respektvollen Begegnung Thybergs mit einer Branche, die ihre Probleme von sich aus offenlegt. Es sind vor allem die Grauzonen, die Thyberg erhellt: Zwischen Lampenfieber und echter Angst, Konsens und Erniedrigung, Solidarität und Opportunismus sind die Übergänge fließend.

Hinter den Arbeitsprozessen der Pornos lauert eine strukturelle Gewalt

Obwohl alle Mitarbeiter immer "nett" sind und auf gegenseitiges Einvernehmen geachtet wird, läuft der Vergewaltigungsdreh schnell aus dem Ruder, lauert hinter den Arbeitsprozessen eine strukturelle Gewalt, die nur schwer in Schach gehalten werden kann. Konsens ist wichtig; aber nur, weil er ausgesprochen wird, heißt das nicht, dass alles "in Ordnung" ist. Aus der gespielten wird quasi eine echte Vergewaltigung.

Denn wir sind in der Post-Me-Too-Ära, und Thyberg ist maximal sensibilisiert. Dass es sich bei sogenannten "Interracial"-Genre (Sex zwischen Weißen und Schwarzen) selbst um eine rassistische Bezeichnung handelt, wird ebenso explizit ausgesprochen wie die Notwendigkeit, dass Frauen mehr Macht in der Industrie bekommen müssen. Bei chinesischem Essen und Bier am Bahndamm sinniert Linnéa mit ihren Freundinnen über eine feministische Revolte. Später opfert sie die Solidarität mit ihren Mitstreiterinnen dann aber doch dem eigenen Aufstieg: Sie schaut weg bei einem Übergriff, überzeugt sich davon, dass man bei der Arbeit auch mal "schlechte Tage" haben kann.

Die Angst des Pornostars vor der Szene: Linnéa (Sofia Kappel) vor dem Dreh in "Pleasure". (Foto: Weltkino)

Neben der sozialen liefert Thyberg auch eine formale Analyse der Pornoästhetik, deren Optik des Heißmachens sie in ihre kalten Bestandteile zerlegt. Die Kamera bewegt sich oft im Zwischenraum, in dem das Bild entsteht, zwischen Linnéas Körper und der von Männern gehaltenen Kamera. Thyberg filmt Linnéa, es folgt ein Gegenschuss auf die Darsteller und das Objektiv. Auf diese Weise dokumentiert und dekonstruiert sie die Produktion des Bildes, bevor es irgendeine Art von Lust erzeugen kann.

Von der Lust bleibt hier nur die Pose, und "Pleasure" ist letztlich vor allem ein Film übers Posieren. Linnéa posiert für die Kamera am Set, fürs eigene Handy, wenn sie Fotos für Instagram macht, auf Partys für die Handys der anderen. Ihr erster professioneller Fotoshoot folgt einem akribischen Körperprotokoll: Arsch raus, Titten raus, Beine anwinkeln. Während der Drehs wird die Stellung von Geschlechtsorganen und Extremitäten pausenlos kontrolliert, dirigiert, auf Kommando verändert.

Trailer zum Film:

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Da Linnéa nichts anderes will als das, was sich durchs Posieren für die Kamera und die Zurichtung des eigenen Körpers erreichen lässt, stößt Thybergs Film in diesen Posen und ausgestellten Körpern aber auch an eine Grenze. Über die genaueren Gründe, die die junge Schwedin bewogen haben, Pornostar zu werden, erfahren wir nichts. Einem Freund erklärt sie lapidar, sie habe ihr Land verlassen wollen, da die Schweden an einem Charakterfehler leiden: "Sie tun sich nur selbst leid."

Sich selbst nicht leid tun zu wollen, hart im Nehmen zu werden, das scheint Linnéas einzige Motivation für ihren Weg an die Spitze zu sein. Der Film erschöpft sich in seiner Beweisführung, dass weibliche Lust und Sexualität im Pornokontext eine reine Männerfantasie sind, das Ergebnis einer schnöden Inszenierung. Aber dieser Erschöpfung ist harte Arbeit vorangegangen, in der Linnéa wirklich alles gegeben hat.

Pleasure , Schweden, NL, F 2021 - Regie: Ninja Thyberg. Buch: Thyberg, Peter Modestij. Kamera: Sophie Winqvist Loggins. Mit Sofia Kappel, Revika Anna Reustle, Evelyn Claire. Weltkino Filmverleih, 105 Minuten. Kinostart: 13. 01. 2021.

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