Oper:Schrecken und Schönheit des Menschseins

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Konfetti in der Küche: Stéphanie Müther als Brünnhilde, Noel Bouley als Wotan. (Foto: Thomas Maximilian Jauk)

Peter Konwitschny beginnt seine Inszenierung von Wagners "Ring"-Zyklus in Dortmund mit der "Walküre".

Von Michael Stallknecht

Eine Wohnküche birst entzwei, bringt auch Siegmund und Sieglinde auseinander. Wie nun das Schwert erringen, das leuchtend dazwischenhängt? Ganz einfach: Wotan bringt eine Leiter - und seine beiden Kinder, das inzestuöse Geschwisterpaar, wieder zusammen. Verzauberung durch oder nach vorangegangener Desillusionierung: ein typischer Effekt in den Musiktheaterarbeiten von Peter Konwitschny. Wie im Jahr 2000, als der Regisseur am Ende der "Götterdämmerung" an der Stuttgarter Oper nur die Bühnenanweisung projizieren ließ. Es war der Schlussstein des legendären Stuttgarter "Ring des Nibelungen", der erstmals auf den großen Gesamtentwurf verzichtete und die vier Teile vier verschiedenen Regisseuren anvertraute. Dass Konwitschny Richard Wagners Tetralogie danach noch mal allein angehen würde, diese Hoffnung hatten Musiktheaterfans bereits aufgegeben. Nun, mit 77 Jahren, hat er doch noch damit begonnen - und an der Oper Dortmund programmatisch nicht das "Rheingold", sondern die "Walküre" an den Beginn gestellt. Konwitschny will bis 2025 Stück für Stück vorgehen, arbeitet deshalb mit vier unterschiedlichen Bühnenbildnern zusammen.

Der erste, Frank Philipp Schlößmann, bereitet den Boden mit etwas, das man buchstäblich Küchenrealismus nennen darf: Ein Sofa und eine Küchenzeile mit Kühlschrank gibt es in allen drei Akten, nur dass sie immer größer werden, abhängig von der sozialen Schicht, die sich zwischen ihnen aufhält. Prosaisch kommt das daher, wie die Menschen, die hier leben. Sieglinde, die Siegmund eine Bierbüchse reicht, Wotan, der zum Spaß mit seiner Lieblingstochter Brünnhilde die Konfettikanonen knallen lässt, die Walküren auf Steckenpferden, während ein Tonband dazu wiehert. Doch im Herunterholen und Tieferlegen erschöpft sich die Inszenierung nicht, Aufklärung schlägt vielmehr wie immer bei Konwitschny in Mythologie zurück. Am stärksten am Ende, wenn Wotan Brünnhilde nicht in einen Feuerkreis bannt, sondern über den Orchestergraben schiebt, zwischen die sechs Harfen auf beiden Proszeniumsseiten, mitten in die Musik hinein.

Dort ist sie gut aufgehoben im Dirigat von Gabriel Feltz, dessen Intentionen passgenau mit der Inszenierung einhergehen. Prosaisch im Wortsinn kommt diese "Walküre" auch musikalisch daher, rhetorisch durchdacht. Die Dortmunder Philharmoniker bieten einen scharfen Trennklang, mit reduziertem Vibrato bei den Streichern, aber umso aufmerksamer durchgeformten Orchestersoli. Sie werden zu Inseln epischen Erzählens, als besinne sich die Musik ununterbrochen auf sich selbst zurück. Der dramatische Atem wird gleichsam zurückgestaut, um sich schließlich umso furioser zu entladen. Die Soli unten im Graben und die oben auf der Bühne greifen perfekt ineinander und erzählen eine Geschichte, die Feltz über vier Stunden hinweg immer weiter steigert.

Der Mythos verliert gegen die Moderne

Dass die Sängerinnen dabei besser wegkommen als ihre männlichen Kollegen, ist auch dem feministischen Blick Konwitschnys geschuldet: Nicht Siegmund, sondern Sieglinde pflückt sich hier das Schwert. Mit faszinierender psychologischer Genauigkeit zeichnet Astrid Kessler eine verhärmte Frau, die gemeinsam mit ihrem Bruder zu kindlicher Leichtigkeit zurückfindet, um sich die utopische Kraft dann selbst in der Katastrophe zu wahren. Ideal besetzt ist auch Stéphanie Müther als mädchenhaft leuchtende Brünnhilde, die weitgespannte Stimmbögen mit perfekter Textverständlichkeit vereint. Und selbst Fricka (Kai Rüütel) ist bei Konwitschny keine Edelzicke, sondern eine geradlinige Ehefrau, die sich aus einschlägiger Erfahrung die Vertragsverhandlungen mit Wotan schriftlich geben lässt. Zumal der bei Noel Bouley ein eher schwacher Geselle ist, mit mattem Klang besonders in der Tiefe. Daniel Frank beweist sich solide als kraftvoller Siegmund, bei dem man auf tenorales Strahlen allerdings verzichten muss.

Es gehört zu den berührendsten Momenten des Abends, wenn er sterbend in Wotans Arm sinkt und dabei erkennen muss, dass der eigene Vater ihn verraten hat. Hinterrücks hat ihn Hunding (Denis Velev) erschossen, das Schwert verliert gegen die Pistole, der Mythos gegen die Moderne. Was an Magischem bleibt, liegt bei Konwitschny im Menschlichen. Stärker als in früheren Arbeiten scheint der Regisseur das Konzeptionelle zurückzustellen, um sich in einem letztlich einfachen Setting auf das Humane zu konzentrieren. Im Detail entdeckt er immer wieder bislang Unerzähltes, wenn etwa Hunding sofort erkennt, dass er in Siegmund seinen Erzfeind vor sich hat. Und im Detail formuliert er aus, was bei Wagner steht, man aber selten so gesehen hat. Etwa wenn Wotan Brünnhilde demütigt, indem ihr eine Perücke aufsetzt und sie zum Clown schminkt - um sich später mit ihr zu einem Tanz von letzter, keuscher Zärtlichkeit zu vereinen. Komödie und Tragödie, der Schrecken und die Schönheit des Menschseins liegen in dieser Inszenierung eng beieinander, schlagen oft blitzschnell ineinander um. Der "Ring" ist ein oft, inzwischen allzu oft inszeniertes Werk. Konwitschnys "Walküre" enthält das seltene Versprechen, dass man sich auf die übrigen Abende schon jetzt freuen darf.

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