Paulskirche:"Doppelcharakter" soll erhalten bleiben

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Sehr nüchtern sieht der nach dem Weltkrieg umgebaute Innenraum der Paulskirche heute aus. (Foto: Raimund Kutter/Imago)

Experten sprechen sich gegen die historische Rekonstruktion der Frankfurter Paulskirche aus.

Von Jörg Häntzschel

Die Frankfurter Paulskirche soll nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt rekonstruiert werden. Stattdessen soll der 1948 geschaffene Zustand Basis für die seit Längerem nötige Sanierung werden. Das empfiehlt die Expertenkommission, die knapp zwei Jahre lang über die Zukunft der Kirche beraten hat, in ihrem am Freitag veröffentlichten Bericht.

Sie schließt sich damit einem Votum der Frankfurter Stadtregierung an, die sich schon 2019 ebenfalls gegen eine historische Rekonstruktion ausgesprochen hatte und dafür, die "selbst schon Denkmal gewordenen" Nachkriegsumbauten zu modernisieren. Der "Doppelcharakter" des Gebäudes sei zu bewahren. Schon damals wurde auch ein "Haus der Demokratie" neben der Kirche beschlossen, das die Experten jetzt ebenfalls befürworten. Das neue Gebäude und die Paulskirche sollen zu einem "Ort mit internationaler Strahlkraft zur Reflexion über Demokratie in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" werden.

Die Frage nach der künftigen Rolle der Paulskirche kam 2017 auf, damals wurde eine grundlegende Sanierung des Gebäudes notwendig. Ursprünglich sollte sie rechtzeitig zum 175. Jubiläum der Revolution von 1848 und zum 75. Jahrestag der Wiedereröffnung der Kirche nach dem Krieg, die beide in diesem Jahr stattfinden, fertiggestellt sein.

Monika Grütters forderte als Kulturstaatsministerin, Demokratiegeschichte "sinnlich erfahrbar zu machen"

Dann allerdings forderten immer mehr Stimmen, die Baumaßnahmen als Gelegenheit dafür zu nutzen, den Originalzustand der Kirche wiederherzustellen. Der Zeit-Journalist Benedikt Erenz bezeichnete den kargen Wiederaufbau der im Krieg ausgebrannten Kirche als "zweite Zerstörung" und beklagte deren "Buß- und Reuearchitektur", die die vorangegangene Rolle der Kirche unsichtbar gemacht habe.

Mit großen Hoffnungen angetreten: Sitzung der Nationalversammlung in der Paulskirche 1848. (Foto: Fine Art Images/IMAGO/Heritage Images)

Die 1833 eingeweihte evangelische Kirche im Zentrum von Frankfurt diente in den Jahren nach der Märzrevolution als Sitz des ersten deutschen Parlaments, der Nationalversammlung. 1944 brannte sie nach einem Luftangriff aus. 1948 wurde sie, nicht mehr als Kirche, sondern als Symbol für die deutsche Einheit, die Demokratie und als Veranstaltungsort wiederaufgebaut. 1949 trat in ihr Thomas Mann erstmals nach seiner Rückkehr aus den USA öffentlich auf. 1963 sprach John F. Kennedy dort. 1949 und 1950 fanden in der Paulskirche auch die ersten beiden Ausgaben der Frankfurter Buchmesse statt, bevor sie aufs Messegelände umzog. Geblieben ist die jährliche Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels.

Auch als sich die Stadt, die Eigentümerin des Gebäudes, gegen eine historische Rekonstruktion ausgesprochen hatte, gaben deren Befürworter nicht auf. Dass der Originalort des Parlaments von 1848 durch den Nachkriegsumbau der Kirche nicht mehr zu erkennen sei, bezeichnete der Berliner Politologe Herfried Münkler als "erinnerungspolitisches Desaster". Auch die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters forderte, "die Aura des authentischen Orts wiederzubeleben" und Demokratiegeschichte "sinnlich erfahrbar zu machen". Die noch von ihr einberufene Expertenkommission hat sich nun dennoch sehr deutlich gegen die Re-Rekonstruktion ausgesprochen.

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