Theater:Eine Oper vom Ende der Welt

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Zum Ende der Welt gehört die Verheerung auf bemalten Lappen im Hintergrund. Davor, im Schein eines Ufos: Burt Turrido (Gabel Eiben). (Foto: Jessica Schäfer)

Beim Zürcher Theaterspektakel zeigt das Nature Theater of Oklahoma mit "Burt Turrido" ein riesiges und dabei sehr freundliches Tableau des Untergangs.

Von Egbert Tholl

Am Ende gibt es doch noch Hoffnung. Ein Baby, ein Neugeborenes reitet fröhlich glucksend auf einem Narwal durchs Meer - Narwale sind scheue, geradezu mythische Tiere, weil sie einen langen Stoßzahn besitzen, wie Wesen aus einem Märchen. Das Baby also, das eine Gummipuppe ist und dessen Glucksen vom Band kommt, könnte auf diesem Tier einer Zukunft entgegenreiten, auch wenn es die knapp vier Stunden davor nicht unbedingt so aussah, als könnte diese Zukunft sonderlich fröhlich werden. Denn im Grunde ist diese Aufführung des Nature Theater of Oklahoma ein riesiges und dabei doch sehr freundliches Untergangs-Tableau.

Die Produktion heißt "Burt Turrido. An Opera", und man sollte den Untertitel durchaus ernst nehmen - auch wenn die Aufführung keine Oper im engeren Sinne ist, phänomenologisch jedoch schon. Das Nature Theater of Oklahoma gibt es unter diesem Namen seit 2004, aber bereits 1996 begannen Kelly Copper und Pavol Liška, von New York aus zusammen Theater zu machen. Legendär wurden sie bereits 2006 mit ihrer Produktion "No Dice", basierend auf der Transkription schier unendlicher Telefonate, eine Herstellungsform, die sie sehr ausgedehnt über die Jahre noch ein paar Mal wiederholten. Danach standen praktisch alle europäischen Festivalmacher und -macherinnen Schlange. Was letztlich auch notwendig war und ist, denn von den Auftritten in New York könnte die Truppe kaum leben.

Der Instrumentalsoundtrack wirkt bei vier Stunden Aufführung bewusstseinserweiternd

Nun kam "Burt Turrido" vor ein paar Wochen beim Festival in Groningen heraus, war danach bei den Wiener Festwochen zu sehen und nun beim Zürcher Theaterspektakel. Solche Festival-Touren sind normal für die Truppe, auch wenn die inzwischen andere Formate erkundet, Hörspiele gemacht oder Filme gedreht hat - "Die Kinder der Toten" nach Elfriede Jelineks gleichnamigen Roman lief 2019 bei der Berlinale in Berlin.

Im Grunde ist "Burt Turrido" von der Struktur eine Rückkehr zu den Wurzeln der Compagnie, so konsequent gebaut wie noch nie. Vier Stunden lang sondern fünf Menschen Text ab. In dieser Zeit werden ungefähr drei Sätze gesprochen, sonst wird gesungen. Mehrheitlich eine Art Sprechgesang, der aber auch ariose Momente haben kann, vor allem wenn Kadence Neill an der Reihe ist, eine strahlende, vollkommen ungerührte Erscheinung, die wie alle hier jeden Quatsch mit großer Ernsthaftigkeit mitmacht. Dazu hat Robert M. Johanson einen durchlaufenden Instrumentalsoundtrack zusammengestellt aus viel Countrymusik, aber auch Klavierballaden, Pop und Rock, der für sich genommen in der Dauer der Aufführung schon eine bewusstseinsverändernde Wirkung hat, in Verbindung mit dem Singen und den permanent wackelnden und tänzelnden Bewegungen der Menschen auf der Bühne vollends zum rauschhaften Sog wird. Also eben Oper. Mit Cowboys.

Im Grunde ist "Burt Turrido" eine absolut zwingende Country-Oper. In vier Stunden Aufführung werden ungefähr drei Sätze gesprochen, sonst wird gesungen. (Foto: Jessica Schäfer)

Die Geschichte selbst trägt tatsächlich durchaus Züge der Barockoper, wo übernatürliche Wesen noch eine entscheidende dramaturgische Funktion besitzen. Hier sind es verschiedene Geister, die als Huibuh-Gespenster auftreten, darunter Emily (Neill), die unsterblich im Meer haust, wo sie einst ertrank. Mal wird sie begleitet von zwei weiteren Geistern, da denkt man an die drei Rheintöchter, vor allem aber hat sie eine Sehnsucht nach Erlösung und glaubt diese im Bootsflüchtling Burt Turrido (Gabel Eiben) zu finden, der mit ihr sterben soll. Das ist ja auch alles Oper, Wagner, Erlösung im Tod und das Verdammtsein ans Meer.

Blöd nur, dass Turrido an eine Insel gelangt, die einst voller Eis und Schnee war, dann kam der Klimawandel, sie wurde eine Bananeninsel, Klimaflüchtlinge kamen, jeder brachte jeden um, übrig blieben Anne Gridley und Robert M. Johanson, die nun, weil ja sonst keiner da ist, Königin und König spielen und sich einen einzigen Sklaven halten, gespielt von Bence Mezei, weil einer ja die Drecksarbeit machen muss. Daraus entsteht eine Mehrecksliebestragödie vor dem Hintergrund der totalen Verwüstung des Landes, bemalte Lappen als Hintergrund (Theater geht überall und braucht nicht viel!) künden von einer verheerten Insel und einem zugemüllten Strand, barocke Wellenkämme markieren das Meer. Die ganze Suada der freundlich erzählten, mäandernden Geschichten, deren von Copper und Liška erfundener Text durchaus quer zur Musik steht, ist dabei letztlich ein fantasievoller Theatertrick. Denn im Grunde ist "Burt Turrido" eine absolut zwingende Country-Oper vom Ende unserer Welt, die der Mensch selbst zerstörte.

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