Sex, Rock und Fotografie:Foto-Punk

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Leni Sinclair verdankt die Welt die Gründung der "White Panthers" und prägende Bilder von der rebellischen Musikszene Amerikas. Jetzt ehrt eine Schau in Halle die Frau aus Sachsen-Anhalt.

Von Peter Richter

Halle an der Saale hat mit Detroit in Michigan vordergründig zwar ungefähr genauso viel zu tun wie Georg Friedrich Händel mit dem rauen Rock eines Iggy Pop oder der MC5. Andererseits hat das halb verfallene, halb verlassene Detroit von heute auch nicht mehr viel mit der Stadt zu tun, die einmal "Motor City" genannt wurde und als Energielieferant für Amerikas Popmusik und Protestkultur galt. Aber dann gibt es eben die Person der Fotografin Leni Sinclair, die das alles trotzdem zusammenbindet.

Denn Leni Sinclair ist nun einmal nicht nur die Frau, die Ende der Sechziger zusammen mit dem Anarchisten und Poeten John Sinclair aus Solidarität mit der Black Panther Party die fast noch radikalere, auch zur sexuellen Entfesselung entschlossene White Panther Party gegründet hat und Detroits blühende Musikszene fotografierte, während ihr Mann die MC5 managte oder wegen geringfügigen Cannabisbesitzes drastische Gefängnisstrafen absitzen musste.

Was nämlich weniger bekannt ist: Leni Sinclair ist 1940 als Magdalena Arndt in Königsberg zur Welt gekommen und danach bis zu ihrer Auswanderung nach Amerika in einem Dorf in Sachsen-Anhalt aufgewachsen. Es ist also gewissermaßen eine feierliche Heimkehr, die der mittlerweile 81 Jahre alten Fotografin und Politaktivistin da jetzt von der Sachsen-Anhaltinischen Akademie der Künste im Literaturhaus von Halle ausgerichtet wird, wo seit diesem Wochenende eine Auswahl ihrer schönsten und berühmtesten Bilder zu sehen ist.

Da steht dann zum Beispiel der ewige Wayne Kramer, reckt den Stars und Stripes die Faust zum revolutionären Gruß der Panthers entgegen und hat dabei nicht nur seine Gitarre auf dem Rücken hängen, sondern auch ein Sturmgewehr: Selten ist die Kreuzung aus Rockmusik und politischer Militanz am Ende der Sechzigerjahre so buchstäblich ins Bild gesetzt worden wie mit dem Gitarristen der MC5 als Freiheitsstatue in Schlaghosen. Allein das irrsinnige Blumenmuster seines Hemdes, muss man sagen, macht dabei schon so schwindelig, als würde man mit dem chaotischen Plattencover von "Kick out the Jams" vor Augen eine Treppe herunterfallen, von den wüsten, wütenden Tönen auf diesem furiosesten aller Debütalben einmal ganz zu schweigen.

Man muss die Coolness bewundern, mit der sie all die Ausbrüche von Energie und Wut festhielt, ohne zu verwackeln

Proto-Punk hat sich als Name dafür eingebürgert. Man könnte auch von Eruptionen sprechen. Denn Detroit war Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger ganz offensichtlich ein hochvulkanisches Gelände, und man muss Leni Sinclair als Fotografin allein schon für die Geistesgegenwart und Coolness bewundern, mit der sie es geschafft hat, all diese Ausbrüche von Energie, Kreativität, Wut und Lust festzuhalten, ohne zu verwackeln. Es gibt natürlich auch ruhigere, fast melancholische Bilder von ihr, etwa das, auf dem der Trompeter Marcus Belgrave beim Begräbnis eines ermordeten Detroiter Jazzclub-Besitzers gegen das Schneegestöber auf dem Friedhof anbläst, als wäre es ein Szenenbild aus einem Film, den man endlich einmal schauen müsste.

Aber besonders viele berühmt gewordene Bilder sind live im Konzertgeschehen entstanden, nicht zuletzt in Detroits legendärem Grande Ballroom, der nun auch schon seit Ewigkeiten leer steht und verfällt. Hier wurde Silvester 1968 "Kick out the Jams" aufgenommen, hier wurden die zarten, nackten Jungmänneroberkörper der MC5 von Sinclair fotografiert, und hier räkelte sich Iggy Pop vor ihrer Kamera so meerjungfrauenhaft auf dem Mikrofonständer über den Bühnenrand wie die Galionsfigur an einem Piratenschiff. Überhaupt sah Iggy Pop selten so gender-fluid aus wie auf den Bildern von Leni Sinclair. Solche Dinge, aber auch die politische Parteinahme all dieser langhaarigen, jungen Weißen für die Belange von Schwarzen machen Sinclairs Bilder von vor 50 Jahren auf eine gewisse Weise natürlich auch wieder sehr heutig und dringlich. Aber das ist die Musik von damals, wenn man sie einfach noch einmal auflegt, ja auch.

Participant observer - Leni Sinclair. Literaturhaus Halle, bis 17.10.

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