Neues Nationalmuseum in Norwegen:Harte Tür

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Problem gelöst: Wer nur weit genug vom neuen Nationalmuseum weggeht, für den schrumpft das Gebäude auf einen menschlichen Maßstab. (Foto: Iwan Baan)

In Oslo eröffnet das größte Kunstmuseum Nordeuropas, und abweisender könnte ein Gebäude kaum sein. Was das soll, und was sich im Inneren verbirgt.

Von Laura Weißmüller

Natürlich haben sie Iwan Baan beauftragt. Der niederländische Architekturfotograf ist dafür berühmt, die Gebäude, die er fotografiert, mit Menschen zu inszenieren. Was lange Zeit verpönt in der Architekturfotografie war, weil nichts vom hehren Meisterentwurf ablenken sollte, verkehrte Baan ins Gegenteil: Bei ihm spazieren Hundebesitzer durchs Bild, wenn er Opernhäuser zeigt, bei ihm klettern Kinder in der Fassade herum. Er fotografiert Gebäude so, dass sie lebendig wirken.

Und genau das braucht das neue Nationalmuseum in Oslo. Dringend. Denn wer vor der meterhohen, mit grauem Schiefer verkleideten Wand steht, der dürfte sich vor der Monumentalität des 54 600 Quadratmeter großen Gebäudes vor allem sehr klein fühlen. Baan hat sich auf die Suche gemacht, bis seine Kamera auf den Stufen des Rathauses gegenüber eine Gruppe junger Männer fand, mit Skateboard, Dosenbier und Boom Box. Mit ein paar Hundert Metern Abstand ließ er das neue Museum auf ein menschliches Maß zusammenschrumpfen.

Prominente Nachbarschaft: Das Nationalmuseum steht gleich neben dem Nobel-Friedenszentrum und gegenüber dem Osloer Rathaus. (Foto: Iwan Baan)

In natura aber bleibt das neue Nationalmuseum in Oslo, geplant vom deutschen Architekten Klaus Schuwerk, dessen Arbeitsgemeinschaft Kleihues + Schuwerk sich in einem internationalen Wettbewerb 2010 durchsetzen konnte, gewaltig. Es sind irrwitzige Quader, die da in edlen Grautönen aufeinandergeschichtet sind. Der Eindruck wird noch gesteigert, weil das Gebäude kaum Fenster besitzt. Wären die Kanten der Fassade nicht so scharf gezogen, könnte man das Ganze als Steingebirge beschreiben, was da in der Stadtbucht von Oslo gegenüber der Festung Akershus und gleich neben dem nun zierlich wirkenden cremefarbenen Nobel-Friedenszentrum in einem ehemaligen Bahnhofsgebäude aufragt. Und das ist ein Problem.

Kaum Fenster: Das Museum wirkt von außen eher geschlossen. (Foto: Iwan Baan)

Denn sollte ein Nationalmuseum nicht ein Identifikationsort sein? Ein Ort, wo Schüler, Kindergartengruppen schon von außen eine Ahnung bekommen, welche Vergangenheit ihr Land besitzt, welche Kultur und Tradition? Wo eine Nation herkommt, was sie verbindet und wer sie heute sein will? Es reicht nicht, einen norwegischen Steinbruch leerzuräumen und zu glauben, damit würde sich all das automatisch ergeben.

Was zählt, ist, wie das Ganze vom Deck eines Kreuzfahrtschiffes aussieht

In Oslo muss man sich fragen, warum auf einem der attraktivsten Grundstücke der Stadt ein derart abweisendes Museum entstanden ist. Eine Antwort darauf könnte das Gebäude weiter buchtabwärts geben. Dort ist im vergangenen Jahr das neue Munch-Museum eröffnet worden. Sogar die ansonsten kompromissbereiten Norweger wunderten sich, wie man einen der emotionalsten Künstler der Kunstgeschichte in ein derart kühles, um nicht zu sagen beliebiges Hochhaus stecken konnte. Ein Argument für den Turm war die Baumasse, die sich darin unterbringen ließ. Überzeugend war das nicht.

Blick in die Kunstsammlung des Nationalmuseums. (Foto: Iwan Baan)

Auch für das Nationalmuseum war der Raumanspruch groß. Gleich drei Museen - die Kunstsammlungen der Nationalgalerie, das Museum für Zeitgenössische Kunst und das Kunstgewerbemuseum - haben hier ein neues Zuhause gefunden. Etwa 6500 Werke der insgesamt nun 400 000 Objekte umfassenden Sammlung aus Kunst, Design und Architektur, die einen Zeitraum von der Antike bis heute abdecken, sind nun in der beachtlichen Zahl von 86 Räumen ausgestellt. "Wir können die Geschichte jetzt ganzheitlicher erzählen", sagt der Projektdirektor des Museums Jon Geir Placht. Komplette Räume zeigen statt nur einzelne Möbelstücke, mehr Querverbindungen ziehen zwischen den Gattungen. Die Frage ist nur, ob sich das auszahlt und ob die Qualität eines Museums wirklich mit seiner Größe zusammenhängt. Bleiben Besucher länger, wenn das Museum größer ist? Oder ermüdet die Aussicht, was noch alles zu besichtigen ist? Das Museum jedenfalls arbeitet schon an einem Art Schnellstraßensystem, das die Besucher zügig zu den Highlights der Sammlung bringen soll.

Das Nationalmuseum besitzt eine herausragende Sammlung an Werken von Edvard Munch, weil der erste Direktor des Hauses schon früh die Arbeiten des Künstlers ankaufte. (Foto: Iwan Baan)

"Wir setzen uns mit den neuen Museen selbst auf die Landkarte", sagt Jon Geir Placht. Das dürfte der ausschlaggebende Grund für diese Museumsneubauten gewesen sein, nicht der erhöhte Raumbedarf oder der Wunsch nach modernen Funktionen. Als "größtes Museum des Nordens" wird das gut 600 Millionen Euro teure Nationalmuseum denn auch beworben, "größer als internationale Museen wie das Rijksmuseum und das Guggenheim Bilbao". Mit rasantem Tempo versucht sich Oslo seit einigen Jahren zur Tourismusdestination aufzubauen. Weswegen vielleicht auch der Anblick vom Wasser aus, sprich vom Deck eines Kreuzfahrtschiffes, auf die neuen Museen wichtiger ist als der für die eigenen Stadtbewohner. Was stark an ähnlich reiche Öl-Nationen wie Norwegen erinnert: Auch die Arabischen Emirate oder Katar lassen ja im Akkord riesige Architektenträume errichten, um vorzusorgen, wenn die Einnahmequellen aus der Erde mal versiegen.

Man sollte sich nicht abschrecken lassen, das Museum hat einzigartige innere Werte

Dass Oslo eigentlich auch zugängliche Architektur draufhat, zeigen die beiden Gebäude, die ebenfalls als Teil der neuen Fjord City entstanden sind: die Deichman Hauptbibliothek und die Osloer Oper. Während das Dach der Oper fester Bestandteil für jeden Stadtspaziergang ist, egal ob man Einheimischer ist oder Tourist, fungiert die Deichman Bibliothek als großes Wohnzimmer für alle. Die Gebäude sind offen, transparent, zugänglich und haben es so in kürzester Zeit zum Identifikationsort einer ganzen Stadtgesellschaft gebracht.

Schon klar, Kunstmuseen müssen heute enorme Anforderungen erfüllen, um den Schutz der Kunstwerke zu gewährleisten, aber das darf nicht der Grund sein, sie zu vermauern. Dass auch Meisterwerke des 20. Jahrhunderts bei Sonnenlicht und regelmäßig geöffneter Tür zum Innenhof ausgestellt werden können, zeigt die vorbildlich sanierte Neue Nationalgalerie in Berlin, der neuesten Technik sei Dank.

Außergewöhnlich: die königliche Gewänder-Sammlung in Oslo. (Foto: Iwan Baan)

Das Nationalmuseum in Oslo ist trotzdem einen Besuch wert. Die Sammlung lässt die Fassade augenblicklich vergessen. Da überrascht die königliche Gewänder-Sammlung mit so farbenfrohen wie gewagten Damenroben. Da wird Edvard Munch im Kreis seiner Zeitgenossen gezeigt, allen voran des Malers Christian Krohg. Da werden die faszinierenden Illustrationen von Erik Werenskiold und Theodor Kittel präsentiert, die vor 150 Jahren die von Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Moe gesammelten und niedergeschriebenen norwegischen Volksmärchen illustrierten. Riesen sieht man da, bis zur Bartspitze mit Tannen bewachsen, und geheimnisvolle Wassermenschen mit grün leuchtenden Augen, die aus stillen Seen auftauchen. Passenderweise wurde der Saal mit den Märchenzeichnungen für jüngere Besucher gestaltet, mit Sitzkissen in Form von Kieselsteinen, einem Baum, der bis zur Decke wächst und im Stamm Gucklöchern aufweist, und wo die Werke auf Kinderhöhe hängen. Aber auch in allen anderen Räumen wird versucht, Kindern einen Zugang zu dem zu bieten, was sie darin sehen.

Zur Eröffnung zeigen 147 norwegische Künstler ihre Arbeiten in der Lichthalle. (Foto: Iwan Baan)

Womit man bei der sogenannten Lichthalle im obersten Stock angelangt wäre, ein in seinen Maßen kaum zu erfassender Raum: 130 Meter lang, sieben Meter hoch, längs mit einer durchscheinenden Marmor-Glasfassade ausgestattet. Wo in Zukunft Wechselausstellungen stattfinden sollen, präsentieren sich zur Eröffnung zeitgenössische Künstler aus Norwegen. Ein großformatiges Katzengesicht ist da zu sehen, eine surrealistische Zubettbring-Szene mit einem Hirschen, abstrakte Landschaften und detailliert ausgearbeitete Naturbilder, kurz: Es geht kreuz und quer durch alle Stile, Gattungen und Qualitätsniveaus. Das Kunterbunt macht Spaß und Hoffnung. Die Fassade täuscht.

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