Nachruf:Der Enthusiast

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"Seine Begeisterungsfähigkeit war wirklich außergewöhnlich": Enja-Mitbegründer Matthias Winckelmann (1941 - 2022). (Foto: Ralf Dombrowski/Enja Records)

Der Produzent und Labelgründer Matthias Winckelmann ist gestorben, der auf Enja mit Größen wie Chet Baker, Abdullah Ibrahim und Attila Zoller Jazzgeschichte geschrieben hat.

Von Andrian Kreye

Matthias Winckelmann ist gestorben, Schallplattenproduzent und Co-Gründer des Jazzlabels Enja, dessen eigentliche Berufsbezeichnung "Enthusiast" sein sollte. Das war nicht nur seine vorherrschende Gemütslage, sondern auch seine Methode. Wenn ihn jemand von einem Projekt überzeugte, dann war er schnell so begeistert, dass er die Musikerinnen und Musiker alleine mit seiner Leidenschaft oft zu Höchstleistungen brachte. Da musste er dann selten direkt in die Produktion eingreifen. Oft war er ganz bewusst nicht mit im Studio. Seine Vision war es, dass er die Visionen der Musiker verwirklichen wollte.

"Seine Begeisterungsfähigkeit war wirklich außergewöhnlich", erzählt der Saxofonist Michael Hornstein. "Dieser Enthusiasmus hat alle um ihn herum angesteckt." Hornstein arbeitete mit Winckelmann vor sieben Jahren noch zusammen an einem Album. Das hatte er gemeinsam mit Bob Dorough eingespielt, dem legendären Jazz-Pianisten und Sänger, der mit Miles Davis gearbeitet und dann im Fernsehen Karriere gemacht hatte. Sie hatten eine Trioplatte mit Standards aufgenommen, die auf Doroughs sehr eigene Phrasierung abhob. Winckelmann war sofort begeistert und produzierte das Album auf Enja. Es sollte Doroughs letztes Album werden, und allein deswegen in die Jazzgeschichte eingehen. Wie so viele Alben, die Winckelmann produziert hatte.

Geboren in Berlin wuchs Winckelmann in Frankfurt am Main auf. Ende der Sechzigerjahre kam er für ein Volkswirtschaftsstudium nach München. Interessiert hatte ihn allerdings der Jazz. Gemeinsam mit dem Modedesigner Horst Weber gründete er die Plattenfirma Enja (eine Abkürzung für European New Jazz). Die Banken wollten ihnen kein Geld geben, aber mit einem Privatkredit von Winckelmanns Vater klappte es dann doch.

München war damals als Stützpunkt der US Army eine der europäischen Drehscheiben für afroamerikanische Kultur. Unzählige Musiker kamen auf Tour hier vorbei, einige blieben auch hängen. Die erste Produktion der beiden war dann eine Live-Aufnahme des Pianisten Mal Waldron im legendären Club Domicile in Schwabing. Und die Geschichte nahm ihren Lauf.

Jede Produktion begann erst einmal mit einem Abendessen bei den Winckelmanns in München

Enja brachte Alben von Leuten wie Charles Mingus, Abbey Lincoln und Archie Shepp heraus. Winckelmann und Weber bauten Musiker wie Attila Zoller, Bennie Wallace und Jane Ira Bloom auf. Winckelmann produzierte einige der ersten Alben, die Abdullah Ibrahim außerhalb Südafrikas aufnahm, der damals noch Dollar Brand hieß.

Als sich Winckelmann und Weber 1986 trennten, taten sie das so gut gelaunt wie immer. Um den Katalog von Enja aufzuteilen, würfelten sie um die Künstler. Den Labelnamen führten beide weiter. Von da an erweiterte Winckelmann seinen Horizont in buchstäblich alle Himmelsrichtungen. Der libanesische Oud-Spieler Rabi Abou-Khalil kam zu Enja, der tunesische Musiker Dhafer Youssef, die polyglotte Salsa-Band Conexion Latina. So einige Meilensteine kamen dabei heraus. Winckelmann produzierte die Aufnahme von Chet Bakers letztem Konzert und brachte die späten Berlin-Konzerte von Eric Dolphy heraus.

Die Liste der großen Namen ließe sich endlos fortsetzen. Zu Hause fühlten sie sich alle bei Matthias und seiner Frau Elisabeth. Auch die Rekrutierungsmethode der Winckelmanns war von einer Freundlichkeit, die vor allem die Amerikaner nicht kannten. Meist begann der Prozess einer Produktion mit einem Abendessen bei den Winckelmanns daheim. Bis sie dann im Studio waren, waren die Musiker mit ihnen meist schon befreundet.

Am Sonntag, den 19. Juni, ist Matthias Winckelmann in einer Münchner Klinik an den Folgen einer Operation gestorben. Er wurde 81 Jahre alt.

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