Jazzkolumne:Paarbildungen

Lesezeit: 3 Min.

Der Neue bei den "Stones": Steve Jordan (rechts) mit Ron Wood (links) und Keith Richards (Mitte). (Foto: Hans Klaus Techt/AFP)

Wie war denn nun der Neue bei den "Stones"? Und warum funktionieren Zweierbeziehungen im Jazz so gut?

Von Andrian Kreye

Eigentlich sollte sich diese Kolumne ja damit beschäftigen, wie sich die Rolling Stones über die Jahre um den Jazz verdient gemacht hatten, weil der im vergangenen Sommer gestorbene Charlie Watts immer die fünfte Kolonne des Modern Jazz im Rock gewesen war. Tim Ries hat das mal beschrieben, der Saxofonist, der irgendwann einmal den legendären Bobby Keys ersetzte. Der war vor allem Keith Richards Kumpel und die beiden überforderten im Tandem selbst die Exzess-erprobten Stones. Die legendäre Szene, in der Keith Richards mit einem Kumpel aus dem zehnten Stock des Hyatt-Hotels in West Hollywood einen Fernseher über den Balkon kippt? Das war Keys. Ries hatte auch einen engen Kumpel im inneren Kreis der Firma, das war eben Charlie Watts, der Rolling Stone mit den Manieren und dem feinen Zwirn. Die beiden konnten sich die Jazzzitate zuspielen, und auf Tour veranstalteten sie oft nach den Konzerten Jamsessions in kleinen Clubs.

Auf Tour spielt Ries immer noch Saxofon, es wäre also eigentlich interessant gewesen, ob sich mit Steve Jordan am Schlagzeug eine neue Ebene auftut. Denn der hat nicht nur mit dem gesamten Rocklexikon (und auch schon seit vielen Jahren für die Stones) gespielt, sondern auch mit Leuten wie Herbie Hancock, Don Pullen und John Scofield. Wenn man aber ansonsten vor allem Clubs und kleine Hallen besucht, vergisst man, was für ein gesamtheitliches Klangbild so ein Stadionkonzert hat, um das mal höflich auszudrücken. Da blieb in München von den Modern-Jazz-Nuancen nicht viel übrig. Im Stadion braucht es eben Riffs und keine Raffinessen. Da muss ein Ruck durch siebzigtausend Menschen gehen. Watts konnte das, Jordan auch. Saxofone sind da nur leichtes Hintergrundröhren.

(Foto: ACT)

Weil es gerade um Paarbildungen geht - ein Ruck nach dem anderen ging neulich im Münchner Jazzclub Unterfahrt durchs Publikum. Emile Parisien war mit dem Sextett zu Gast, mit dem er Anfang des Jahres das phänomenale Album "Louise" (Act) veröffentlicht hat. Live war das noch mal ein unfassbarer Schub nach vorne, vor allem, weil sich in Parisien und dem Trompeter Theo Croker zwei gefunden haben, die gemeinsam Funken schlagen. Alleine schon die Front aus Sopransaxofon und Trompeter, in der Parisien die Leitstimme spielen kann, weil Croker der Trompete im unteren Bereich zu ungewohnter Kraft verhilft. Die vierköpfige Rhythmusgruppe hilft dabei kongenial, die Freiräume rund um die durchkomponierten Strecken unter Strom zu setzen. Man kann das Sextett im August noch bei den Festivals in Oslo, Ramatuelle, Saalfelden, Rostock und Worms hören. Ist alleine schon den Eintrittspreis wert.

(Foto: Label)

Noch so ein kongeniales Duo hat sich nicht nur gefunden, sondern entschlossen, sich auch wirklich aufeinander zu konzentrieren. Die Altsaxofonistin Anna Kaluza spielte während ihres Studiums im London Improvisers Orchestra und gründete dann nach ihrer Rückkehr nach Deutschland vor zwölf Jahren das Berlin Improvisers Orchestra. Jan Roder wiederum gehört zu den gefragtesten Musikern der freien Szene, kennt Kaluza aus dem Orchester und von der Arbeit in ihrem Quartett. Dass sie sich nun auf die ultrakomprimierte Form einlassen, spricht für die enorme Bandbreite der beiden. Vom virtuosen Spontankomponieren bis zum Austausch der radikal freien Töne decken sie so ziemlich die gesamte Bandbreite dessen ab, was der Jazz der Gegenwart so hergibt. Ähnlich wie die Duoplatten von Ingrid Laubrock zeigen sie, dass freie Improvisation für Zuhörende keine gebirgshohen Zugangsschwellen haben muss.

(Foto: ACT)

Und dann gibt es noch die Großensembles, die Egos und Paare dem großen Ganzen unterordnen und dafür oft Menschenmengen mitreißen können wie eine Stadionband. Nur wenige haben eine solch Dichte und Wucht erreicht wie die Jazzrausch Bigband. Ihre biografischen und musikalischen Wurzeln im Münchner Technoclub "Harry Klein" sind legendär, ihre intellektuellen Ambitionen ebenso. Nach Alben über Beethoven, Wittgenstein und das mathematische Prinzip der Möbiusschleife, geht es dieses Mal um das systemtheoretische Modell der Emergenz, in dem aus dem Chaos Großes entstehen kann. Konzeptballast hin oder her, lösen sie sich mit diesem neuen Album noch weiter vom Techno-Vierteltakt. Nach acht Jahren sind sie nicht nur Weltstars, sie beherrschen als Big Band auch ein beeindruckendes Stil- und Klangspektrum. Das reicht vom Schwebezustand, wie ihn Gil Evans für Miles Davis erfand, über Sommerhit-taugliche Songs bis hin zur Minimal Music. Dass sie nie versucht haben, zeitgenössische Musik für Big Bands zu arrangieren, sondern immer daran arbeiteten, ihre Big-Band-Arrangements nach den Leitsternen zeitgenössische Klangbilder zu orientieren, ist ein großes Glück. Und dass Techno, wenn er denn auftaucht, so freundlich daherkommt, liegt sicher auch daran, dass diese Musik ihren Ursprung an sommerlichen Isarstränden hat.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: