Comic: "Mme Choi und die Monster":Die gefräßige Leinwand

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Zwei Monster: der Diktator und sein Lieblingsungeheuer. (Foto: Edition Moderne)

Der Comic "Mme Choi und die Monster" erzählt, wie totalitäre Politik, der koreanische Herrscher Kim, die Glamourwelt des Kinos kapert.

Von Fritz Göttler

Eine Monstergeschichte, in der das Kino und die Politik sich gegeneinander ausspielen, und eine Groteske, über einen Fan, der wahrlich fanatisch wird. Zwei Monster sind im Spiel, das eine mythisch, das andere politisch.

Es beginnt in einem schäbigen Kellerraum in Seoul, der Hauptstadt von Südkorea. Mit wilder Ungeduld zerrt ein Einbrecher Blechdosen aus den Regalen - lauter Filmrollen. Es ist das Jahr 1976, Vor-Stream-Zeit also, damals gab es Film nur materiell, auf Zelluloid, neunzig Minuten auf etwa fünf Rollen gespult, nicht leicht zu transportieren. Durch die Hast des Einbrechers aus ihren Dosen befreit schlängeln die Filmstreifen sich sehr lebhaft über den Boden ... "Hinter der grünen Tür", den Porno-Klassiker mit Marilyn Chambers, schleudert der Mann angewidert hinter sich, einen James Bond hat er eher beiläufig in seinen Sack gesteckt, denn sein eigentlicher Auftrag - er kommt von ganz oben - ist, "Bulgasari" zu schnappen, den (süd-)koreanischen Horrorkultfilm von 1962. Ein letzter beiläufiger Blick gilt noch dem aktuellen Welterfolg "Einer flog über das Kuckucksnest", dann zieht der Mann mit seiner Beute davon, durch einen Tunnel geht es in den Norden des geteilten Landes, in dessen Hauptstadt Pjöngjang. Dort erwartet ihn sein Auftraggeber, Genosse Kim Jong-il, der geliebte Führer, "Sonne unseres Vaterlandes". Und: der Top-Cinephile des Landes, er hat nur noch Augen für die Frauen der Leinwand, und er ist ganz heiß auf "Bulgasari". Er verkörpert die gefräßige Leinwand, er ist das eine Monster dieses Buches.

Eisenfresser: das Ungetüm aus "Bulgasari". (Foto: Edition Moderne)

Das andere ist das Ungetüm in ebendiesem Film "Bulgasari", eisenfressend und dadurch schnell und wild wachsend, Fantasy nach koreanischen Mythen - was davon in diesem Buch erzählt wird, ist eine freie Vision der Berliner Künstler Sheree Domingo und Patrick Spät: "Vor langer Zeit, als die Tiger noch Tabakpfeifen rauchten ..." Der Film gilt als verschollen - hat Kim seinerzeit die Originalnegative stehlen lassen? 1985 wurde auf sein Geheiß ein Remake gedreht in Nordkorea, "Pulgasari", das Monster gleicht hier eher dem japanischen Godzilla, es ist gefräßig und unberechenbar, doch auf subversive Weise durchaus brauchbar im Kampf gegen Tyrannei.

Ins Reich von Kim Jong-il verschleppt: Choi Eun-hee und ihr Mann beim Wiedersehen, im Hintergrund der Tyrann Kim. (Foto: Edition Moderne)

Der Tyrann Kim agiert und residiert in einer glamourös absurden Scheinwelt, die an die europäischen Königshöfe erinnern soll, er regiert mit gemeiner Willkür gegen sein Volk, ist zielbewusst nur wenn's ums Kino geht - das Buch macht diese schaurige Dialektik des 20. Jahrhunderts sichtbar, in der Macht- und Kinobesessenheit sich verflechten, die Manipulation von Massen im wirklichen Leben und denen vor der Leinwand. Cinephilie ist wie jede Obsession totalitär, und die fanatische Cinephilie der Diktatoren ist berüchtigt: Hitler, Stalin, Kim. Diktatur impliziert die Verfügung über alle Mittel, also absolute künstlerische Freiheit. Ich habe 15 000 Filme, behauptet Kim, und ich habe jeden davon gesehen. Sein Lieblingsheld ist Rambo. Schließlich praktiziert er die ultimative "Me Too"-Übergriffigkeit, lässt die von ihm verehrte Leinwandfrau entführen.

Sheree Domingo, Patrick Spät: Mme Choi & die Monster. Edition Moderne 2022. 175 Seiten, 24 Euro. (Foto: Edition Moderne)

Choi Eun-hee ist dieser Star, gemeinsam mit ihrem Mann, dem Regisseur Shin Sang-ok, hat sie grandiose Kassenhits geliefert - das Traumpaar des südkoreanischen Kinos. Am 22. Januar 1978 wird sie in Hongkong entführt und ins Reich von Kim Jong-il verschleppt, wenige Wochen später auch ihr Mann, die beiden werden langsam, aber unnachgiebig unter Druck gesetzt, für Nordkoreas Filmindustrie zu arbeiten, und zu Propagandazwecken vorgeblich aus freiem Willen. Welteroberung durchs Kino.

Die irrwitzige Geschichte hat es faktisch gegeben im Kalten Krieg, und das Buch erzählt sie mit faszinierender Detailtreue, dafür hat im unermüdlichen Einsatz die Beraterin Choo Young-Rong gesorgt. Die gespenstische Atmosphäre schafft die Zeichnerin Sheree Domingo mit dickem Strich und schmuddeligen Formen, mit plakativen, monochromen Farben, ein true crime in einer fake world, der des Kinos und der totalitären Ideologie. Am Ende riskiert das Glamour-Paar, nach Wien entsandt unter strengster Kontrolle, einen hochriskanten Fluchtversuch ... Das Ende ist ziemlich deprimierend, was das Kino angeht und die Cinephilie. Der geliebte Führer muss sich hinfort mit läppischen Videospielen begnügen, bei denen er eher den Kürzeren zieht: Verfluchtes Monster!

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