Little Britain:Wasservorräte für Jahrhunderte

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In London regnet es ununterbrochen? Stimmt gar nicht, das ist alles nur ein Klischee. Nur nicht in diesem Sommer. Die seltenen Stunden Sonnenschein wirken wie ein Versehen. Sicher ist: Schlechtwetter biblischen Ausmaßes ist kein Thema für leichte Konversation.

Christian Zaschke, London

Am Mittwoch schien in London aus Versehen zwei Stunden lang die Sonne. Der Himmel war blau, Vögel sangen Lieder, auf den Straßen tauchten extrem weißhäutige Menschen auf, die sich in kurze Hosen gewandet hatten, welche den Blick auf sehr behaarte Beine freigaben. Es war Sommer, es war herrlich.

Kein Thema für Smalltalk: Der ständige Regen in London geht an die Substanz. (Foto: REUTERS)

Dann fielen genau eine Minute lang zweicentstückgroße Hagelkörner vom Firmament. Anschließend verfestigte sich der Himmel wieder in den üblichen 180 Schattierungen von Grau, aus denen es dauernieselte. Die kurzbehosten Menschen flohen nach Hause oder in die umliegenden Pubs, wo sie ohne größere Umschweife mit einer soliden Druckbetankung begannen.

Da ich weder Freund von kurzen Hosen noch von soliden Druckbetankungen bin, floh ich in langem, nassem Beinkleid zum Spanier. Dort harrte ich bei einer halben Flasche Rotwein und zu vielen, aber exzellenten Tapas eine lange Weile aus und schaute dem Regen dabei zu, wie er in der Luft herumwirbelte. Viele glückliche Jahre lang habe ich in einer kleinen, norddeutschen Stadt am Meer gelebt, mir macht Regen also im Prinzip nichts aus. Aber dieser Londoner Sommer ist schwierig. Dieser Londoner Sommer geht an die Substanz.

Dass hier ohnehin immer so schlechtes Wetter wäre, ist ja noch niemals wahr gewesen. Millionen von Touristen erzählten jahrein, jahraus zu Hause stolz, sie seien gerade in London gewesen und hätten tolles Wetter gehabt. Nur ein, zwei Regentage, an denen es abends aber aufklarte. Die Touristen verbuchten es als besonderes, nur ihnen beschiedenes Glück, dass das Wetter okay war. Aber in Wahrheit ist das Wetter hier immer okay, und im Frühling oder im Herbst ist es sogar gut. Zugegeben, nicht romgut oder lissabongut, aber doch gut. Nur nicht in diesem Jahr.

In dieser Woche haben die Wasserwerke die letzten sogenannten ,,hosepipe bans'' aufgehoben. Seit dem Frühling war es in ganz Großbritannien verboten, die Gärten mit Schläuchen zu wässern, weil die vergangenen Jahre viel zu trocken waren. Nur im Klischee gehört der Regen zu London, in Wahrheit ist es eine Stadt des Staubs.

In diesem Jahr aber fällt der Regen so brutal und erbarmungslos über das Land her, dass die Wasserwerke trotz der chronisch undichten Leitungen Vorräte für Jahrhunderte anlegen konnten. An manchen Tagen regnet es mehr als sonst in einem Monat. An anderen Tagen regnet es mehr als sonst in einem Jahrtausend.

Manche sagen, der Regen sei biblisch. Ich bin da skeptisch. Aber an dem Mittwoch, als in London aus Versehen zwei Stunden lang die Sonne schien, beschloss ich, nie wieder leichte Konversation über das Wetter zu machen.

© SZ vom 14.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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