Soweit in Erfahrung zu bringen ist, lebt Michel Houellebecq noch nicht im Untergrund. Wahrscheinlich hält er sich noch immer in seiner Wohnung auf, einem Appartement im 13. Arrondissement, aus dessen großen Fenstern man einen weiten Blick über die Stadt hat. Schon in der vergangenen Woche soll er aber, angesichts der immer höher schlagenden Wellen der Debatte, kaum noch ansprechbar gewesen sein.
Und tatsächlich, vom Inhalt seines Buches ist jetzt kaum noch die Rede: davon, dass er in "Unterwerfung" eine zukünftige neue französische Identität erfunden hat, ein Franzosentum, das alle Ideale der Aufklärung und der Nation fahren lässt, weil ihm so viel an Harmonie und Ordnung gelegen ist, dass es sich der Einhelligkeit wegen einer fremden Identität unterwirft - die dann doch wieder die eigene ist. Aber das ist dann schon so kompliziert, dass es kaum einer mehr genau wissen will.
"Der Islam hatte mein Leben zerstört"
Der Islam hat eine eigene Geschichte in den Romanen Michel Houellebecqs. Zu Beginn des Romans "Plattform" (2001) fliegt der Held zu einem Urlaubziel in einem stark sexualisierten Fernen Osten und weiß, dass er bald Afghanistan überqueren wird: "Die Taliban dürften jetzt sowieso schon schlafen und sich in ihrem Dreck suhlen", denkt er sich. Am Ende wird das Idyll von einer Bombe zerstört: "Der Islam hatte mein Leben zerstört, und der Islam war sicherlich etwas, was ich hassen konnte. In den folgenden Tagen bemühte ich mich, die Muslime zu hassen."
Im Gefolge dieses Romans kam es zu einer Äußerung Michel Houellebecqs, wonach alle Religionen dumm seien, der Islam aber die dümmste sei. Das trug ihm ein Gerichtsverfahren wegen Aufwiegelung zum Rassenhass ein, in dem er freigesprochen wurde, des Rechtes auf Kritik der Religion wegen. Damals, so scheint es, von heute aus betrachtet, waren die Verhältnisse noch einfach.
Romane können die Welt verändern
Die Unentschiedenheit des neuen Romans hingegen - also die offene Frage, ob sich der Autor ein islamisches Frankreich wünscht oder es grauenhaft findet - trug vermutlich dazu bei, dass die Debatte um diesen Roman so schnell heftig wurde. Und es hilft dem Autor dabei nun wenig, wenn er, nach dem Anschlag, immer wieder erklärt, das Buch "Unterwerfung" möge zwar vielleicht eine realistische, wenn auch zeitlich arg verkürze Utopie sein, im Kern handele es sich jedoch um einen Roman. Und es gebe zwar Bücher, von denen die Geschichte verändert werde, das "Kommunistische Manifest" zum Beispiel. Aber das gelte eben nicht für Romane. Vermutlich weiß der Schriftsteller selbst, dass er so viel Naivität nur vorspielt. Denn selbstverständlich können Romane, ja auch Gedichte, die reale Welt verändern, und auch Schriftsteller können es, selbst wenn sie gar nicht mit Romanen in die Öffentlichkeit treten.
Ob und in welchem Maße es ihnen geschieht, hängt allerdings keineswegs nur von ihnen ab, sondern von den politischen und sozialen Kräften, die sie tragen, befördern oder von denen sie ergriffen werden. An diesem Punkt ist der Schriftsteller nicht frei, und das Beste, was ihm widerfahren kann, ist es, genau das zu wollen, was mit ihm und seinem Werk gemacht wird.
Vorwegnahme des terroristischen Überfalls?
Denn so, wie der Erzähler zu Beginn von "Unterwerfung" durch Paris geht, um tausendundeinen Beleg für eine fortgeschrittene Islamisierung der Stadt zu finden, so widerfährt nun Michel Houellebecq etwas Ähnliches: Sein Schriftstellerkollege Emmanuel Carrère behauptet jetzt, sein Roman sei eine Vorwegnahme des terroristischen Überfalls, und vielen erscheint er nun zumindest als eine Art Indiz für die Ankunft des Schreckens, manchen gar als Lockruf für diesen Schrecken, der dann aber tatsächlich über eine satirische Zeitschrift herfiel und nicht über den Roman oder seinen Autor.
Dagegen ist der Autor so machtlos wie gegen alle anderen Konsequenzen, die seine Leser aus seinen Büchern ziehen. Und er darf aus dieser Machtlosigkeit nicht die Konsequenz ziehen, den Roman seinen Folgen zu opfern.