Houellebecqs neuer Roman:Das Abendland ist nicht zu retten

Paris Moschee

Muslime beten während des Opferfestes vor der Großen Moschee in Paris

(Foto: AFP)

Frankreich im Jahr 2022: Ein Muslimbruder ist französischer Präsident, humanistisch gesinnte Islamisten regieren das Land. Michel Houellebecqs neuer Roman "Unterwerfung" verspottet die völkische Gesinnung, die das Abendland vor dem Islam retten will.

Von Thomas Steinfeld

Wenn es ein Abendland gäbe, das gegen den Islam oder wen auch immer verteidigt werden müsste, worin bestünde es gegenwärtig? In einer Meinungsfreiheit, die ihren Gipfel darin erreicht, dass im Fernsehen in eigens dafür eingerichteten Gesprächsrunden arrangierte Kontroversen unter professionellen Meinungsbesitzern geführt werden? In einer Kultur des Wettbewerbs, die davon absieht, dass alle Konkurrenz weitaus mehr Verlierer als Gewinner hervorbringt?

In einer Ideologie der Liebe, die glaubt, das höchste Glück auf Erden zu vertreten, aber vor allem Enttäuschung entstehen lässt, um von den vielen Gewalttaten zu schweigen, die aus dem Idealismus des Privaten hervorgehen? In der Verwahrlosung ganzer Völkerschaften, in Arbeitslosigkeit und Kriminalität, in kleinen Bürgerkriegen an den Rändern der europäischen Metropolen - und in einem erstaunlichen Frieden, in dem Menschen noch von ihrer Arbeit leben können, während um sie herum die halbe Welt auf Flucht und Wanderschaft ist?

Am Mittwoch dieser Woche erscheint, was erst seit wenigen Wochen bekannt ist, in Frankreich ein Roman von Michel Houellebecq, dem berühmtesten Schriftstellers des Landes. Schon in der kommenden Woche soll bei DuMont in Köln das Werk mit dem Titel "Unterwerfung" ("Soumission") auf Deutsch veröffentlicht werden. Und tatsächlich scheint die Geschichte nach einem Skandal zu rufen: Im Jahr 2022, schreibt Houellebecq, wird Frankreich von einer Koalition aus den beiden alten Parteien, den Sozialisten und den Gaullisten (also der UMP), und einer islamistischen Partei regiert.

Freundliche Utopien

Entstanden aus dem Versuch, den Front National an der Machtübernahme zu hindern, wird diese Koalition von einem Muslimbruder geführt. Schritt für Schritt verwandelt dieser das Land in eine islamische Republik - worauf sich bald ganz Europa dem Islam ergibt, der Ideologie des Abendlands und seiner zweifelhaften Errungenschaften überdrüssig, und sich die EU nach Süden hin öffnet, um auch den Türken und den Marokkanern einen Platz in einem islamisch erneuerten römischen Reich (das Maß bildet hier Augustus, Nordeuropa bekommt er geschenkt) zu gewähren.

Solche freundlichen, auf einen mittleren zeitlichen Abstand ausgelegten Utopien hat es bei Michel Houellebecq schon mehrmals gegeben: Die Entstehung einer neuen Rasse geklonter, geschlechtsloser Menschen, mit der das Buch "Elementarteilchen" (1998) endet, gehört ebenso dazu wie die Vision eines allgemeinen biologischen Zerfalls, mit dem der Roman "Karte und Gebiet" (2010) aufhört. Und auch der Held und Ich-Erzähler stammt ganz aus Michel Houellebecqs vertrauter Welt.

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Kopftuch und Moulin Rouge, oh Gott, das heißt doch unbedingt Kampf der Kulturen. Und was, wenn nicht?

(Foto: Fred Dufour/AFP)

Houellebecq verspottet vermeintliche Retter des Abendlands

"François" heißt er dieses Mal. Von Beruf ist er Literaturwissenschaftler und lehrt an einer der minderen Pariser Universitäten, ohne pädagogischen Ehrgeiz. Er ist allein, kann innerhalb weniger Stunden zwei Flaschen Wein trinken (was er oft tut), ohne davon in seiner Denkfähigkeit beeinträchtigt zu werden, und er raucht mindestens vier Schachteln filterloser Zigaretten am Tag. Einzig der sich gelegentlich einstellende Beischlaf ist dazu angetan, einen kurzen Moment des Einverständnisses mit der Welt in sein haltloses Leben zu tragen - und vielleicht die Lektüre der Bücher Joris-Karl Huysmans', des Schriftstellers, auf den François seine kleine akademische Laufbahn gegründet hatte.

Entstünde aus "Unterwerfung" ein Skandal, dann geschähe dies, weil Michel Houellebecq gleichsam träumend die völkische Gesinnung verspottet, die gegenwärtig fast überall in Europa zur Rettung des Abendlandes vor dem Islam aufruft - auch wenn der Hass, der da auf die Straße geht, mit den Lebensbedingungen, unter denen diese Fanatiker leben, kaum etwas zu tun haben kann. Michel Houellebecq dreht die Fiktionen dieser Volksfreunde, der Islam sei eine dämonische Angelegenheit und auf die Unterwanderung des Abendlands angelegt, schlicht um: Das Abendland ist nicht zu retten, es hat sich aufgelöst in der "mörderischen Absurdität" der Nationen und des Nationalismus. Seiner selbst überdrüssig, wird es sich willig dem neuen religiösen Regime ergeben, zumal sich Michel Houellebecq den neuen Präsidenten als überaus moderaten, humanistisch gesonnenen Islamisten vorstellt.

Das muslimische Paris: ein kulturkonservatives Idyll

Wer will, so lauten die neuen Bedingungen, kann weiter seinem Laizismus, seinem Atheismus oder seinem katholischen Glauben anhängen. Es ist in Zukunft nur so, dass die islamischen Institutionen öffentlich gefördert werden, während alle anderen der Privatinitiative überlassen sind.

Und weil den Muslimen wenig an der Wirtschaft liegt, um so mehr aber an Bevölkerungsentwicklung und an Bildung, verwandelt sich das Land allmählich in ein kulturkonservatives Idyll: Die Arbeitslosigkeit verschwindet, weil die Frauen ins Haus und an den Herd zurückkehren, das Land floriert, weil statt der Großindustrie nun die Kleinbauern unterstützt werden, und die Islamische Universität Sorbonne, von einem Golfstaat finanziert, wird ihren Professoren, zu denen am Ende vermutlich auch François gehört, dreimal so viel zahlen, wie das in der alten Republik der Fall gewesen ist.

Dabei ist "Unterwerfung" nicht nur ein Buch über das Abendland und den Islam, sondern auch eines über Literatur: "Allein die Literatur vermittelt uns das Gefühl von Verbundenheit mit einem anderen menschlichen Geist", erklärt François, "auf direkte, umfassendere und tiefere Weise, als das selbst in einem Gespräch mit einem Freund möglich wäre".

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Mehr Träumer als Satiriker: Michel Houellebecq.

(Foto: Pedro Armestre/AFP)

Ein Roman als Nachhilfeunterricht

Tatsächlich dient Joris-Karl Huysmans dem Erzähler als Muster und Wegweiser für das eigene Leben, angefangen vom psychischen Elend eines ebenso alleinstehenden wie an seiner Existenz verzweifelnden mittleren Angestellten bis hin zur großen Konversion - denn hatte Huysmans in "À rebours" ("Gegen den Strich", 1884) noch die Dekadenz bis zum schalen Ende ausgekostet, sind die Bücher, die nach seiner offensiven Rückkehr zum Katholizismus entstehen, weitaus erbaulicher: Das gilt vor allem für den Roman "La Cathédrale" (1898), eine ebenso späte wie fromme Huldigung an die Kathedrale von Chartres, das Urbild eines gotischen Gotteshauses. Joris-Karl Huysmans dient dem Erzähler also weniger als Gegenstand der Forschung denn als spiritueller Führer. Und zumindest spielerisch will Michel Houellebecqs Erzähler auch ein Führer seines Lesers sein.

Deswegen enthält der Roman viel Nachhilfeunterricht: Wenn François hundertvierzig Jahre nach Huysmans die Heimatstadt Paris in einem von acht Zylindern getriebenen Volkswagen "Touareg" (einen anderen Namen dürfte das Auto nicht tragen) verlässt, einer vagen Furcht vor einem Bürgerkrieg wegen, beginnt für ihn eine Tour de France der Selbstfindung. Sie führt ihn nach Martel, einem Dorf im Département Lot, das Karl Martell gegründet haben soll, nachdem er die nach Norden drängenden Mauren bei Tours und Poitiers geschlagen hatte, und weiter zur Schwarzen Madonna nach Rocamadour, zu deren Füßen schon Heinrich Plantagenet gekniet haben soll. Und sie endet in der Abtei von Ligugé, einem Kloster bei Poitiers, in das Joris-Karl Huysmans im Jahr 1899 gezogen war, um Laienbruder zu werden.

Doch François' Wende zum Katholizismus scheitert. Das von strenger Metaphysik durchdrungene Mittelalter hatte dem Erzähler Eindruck gemacht. Aber den modernen Derivaten des alten Glaubens fehlt die Kraft, ihre Sympathisanten zu binden, und François vermag nicht, darin zu leben.

Kindliche Freude an literarischer Willkür

Ließe sich der Roman "Unterwerfung" allein als Satire betrachten, besäße er eine starke Pointe: Was soll das Gerede, man müsse das Abendland gegen den Islam verteidigen, wenn der Islam doch längst abendländischer als das Abendland ist? Wozu einen solchen Widerstand aufbieten, wenn doch die Zivilisation, die man zu verteidigen behauptet, hauptsächlich in Unbildung, Opportunismus, Hoffnungslosigkeit, Drogen und Gewalt besteht - während der Islam seiner Kultur viel gewisser ist, und zudem Ordnung auf den Straßen herrscht?

Satiren jedoch lassen sich nur über etwas Gegenwärtiges schreiben. Etwas Zukünftiges, nur Ausgedachtes kann man schlecht zur Deutlichkeit verzerren. In diesem Widerspruch liegt der konstruktive Mangel dieses Romans: Er ist ein Zwitter zwischen Satire und Utopie, mit der Folge, dass sich der Satiriker Michel Houellebecq nicht darauf festlegen lässt, eine Provokation im Sinn gehabt zu haben, während sich der Träumer Michel Houellebecq nicht darauf festlegen lässt, dass seine Erfindungen noch erfundener seien als etwa die Insel Liliput bei Jonathan Swift.

Etwas Kindliches also waltet in diesem Buch, wie bei allen Romanen Michel Houellebecqs, eine sehr jugendliche Freude am Spiel mit der literarischen Willkür. Kindlich ist die Freude daran, grobe Wahrheiten in aller Schlichtheit aussprechen zu dürfen: zum Beispiel, dass es keinen Grund gebe, Literaturwissenschaften zu studieren, weil das Fach ohnehin kein anderes Ziel habe, als sich selber zu erhalten. Kindlich ist auch die auktoriale Herrlichkeit, mit der sich der Held am Ende alles herbeiwünscht, was er für begehrenswert hält: eine schöne Wohnung, ein hohes Gehalt, drei möglichst junge Ehefrauen, ohne Rücksicht auf die Spielregeln fortgeschrittener Demokratien.

Zauber gegen Gegenwartsprobleme

Kindlich ist ferner der Einfall, man könne allen ungelösten Problemen der Gegenwart mit einem Zauber entgegentreten: Ein guter Islam wird es schon richten. Eine kindliche Träumerei ist schließlich auch die Religion, von der Michel Houellebecq in diesem Buch erzählt, ein Islam, in dem sich Bilder von Tausendundeiner Nacht mit den Lehren Fethullah Gülens verbinden. Und die Sprache? "In einem Fall wie dem seinen war eine arrangierte Hochzeit offenkundig die einzig mögliche Vorgehensweise." Sie ist ihrem Zweck angemessen: inmitten eines phantastischen Universums für einen milden Grad von Plausibilität zu sorgen.

Für das Buch "Unterwerfung" gibt es ein Vorbild, wenn nicht gar ein Muster: den Roman "Heerlager der Heiligen" des katholischen Schriftstellers Jean Raspail, veröffentlicht im Jahr 1973. Er erzählt die Geschichte einer Armada aus der Dritten Welt, die in Frankreich einfällt und sich mühelos ein moralisch wie intellektuell heruntergekommenes Abendland unterwirft. Das "Heerlager der Heiligen" ist ein Albtraum. Michel Houellebecqs "Unterwerfung" hingegen ist, mehr als dass es ein Werk der Provokation wäre, ein Buch des Trostes. Es handelt von dem Traum, alle großen Konflikte der Gegenwart könnten gleichsam verdunsten. Aber es will den pädagogischen Ernst, der in jeder Utopie steckt, nicht gelten lassen. So gesehen ist das Werk eine große Ermäßigung. Die Welt wird Michel Houellebecq nicht den Gefallen tun, sich ermäßigen zu lassen.

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