Er glaubt nicht, was er von anderen hört, er will die Dinge selbst sehen, berühren, zu fassen bekommen. Autoritäten haben es nicht leicht mit Leonardo, und man kann sich vorstellen, dass schon der Bildhauer Andrea del Verrocchio seinem Lehrjungen mit Argumenten statt mit Anweisungen kommen musste, um ihn zu beeindrucken. Vielleicht begegnete der Jüngling dem Meister so wie der ungläubige Thomas Christus: Ein Heiligenschein genügt ihm nicht, der Gottessohn muss seine Wunden offenbaren, um den ungläubigen Thomas von der Auferstehung zu überzeugen.
So zeigt es Verrocchio in einer großen Bronze, die von Florenz nach Paris gereist ist und nun die große Leonardo-Ausstellung im Pariser Louvre eröffnet. Christus steht gestikulierend, beinahe dozierend auf einem kleinen Sockel, den jüngeren Thomas aber interessiert das wenig. Er konzentriert sich auf die Seitenwunde als empirischem Beweis der Auferstehung.
Nicht alle Gemälde Leonardos sind versammelt. Viele sind zu fragil, um zu reisen
Ein besseres Sinnbild hätten die Kuratoren Vincent Delieuvin und Louis Frank für ihr Unterfangen nicht finden können. Thomas glaubt nicht blind, Leonardo tut dies nicht, und sie auch nicht.
Das ist wohl der Grund, warum das teuerste je verauktionierte Gemälde der Welt nicht anreisen durfte. Die Kuratoren behielten sich vor, die Frage der Autorenschaft dieses "Salvator Mundi" selbst zu entscheiden, und zwar erst, wenn sie das Werk in Händen haben. Die Prüfung wäre vermutlich weniger positiv ausgefallen als die des Thomas: Der Katalog vermeidet zwar eine klare Aussage, türmt aber Zweifel auf Zweifel, was Provenienz, Zustand, Ausführung, Quellenlage angeht. Und das Fachblatt Art Newspaper berichtet, der Louvre sei sehr nah dran gewesen an einer Ausleihe, doch in den Versicherungsdokumenten und offiziellen Papieren, die schon vorbereitet waren, sei nur von einer "Zuschreibung" an Leonardo die Rede, nicht von einem eigenhändigen Original. Demnach hätte also wohl nicht mehr, wie noch in der Ausstellung der Londoner National Gallery im Jahr 2011, einfach nur "Leonardo da Vinci" ohne Fragezeichen auf der Bildtafel gestanden.
"Salvator Mundi" ist trotzdem zu sehen - in einer anderen Fassung, es gibt ja mehr als zwei Dutzend aus dem Leonardo-Umkreis und aus dessen Nachfolge. Das hat einen gewissen Witz, wie nun also der ernste Christus der penibel ausgeführten Version Ganay die Betrachter segnet, gerahmt von den beiden kleinen Gewandstudien Leonardos, die sich vage mit dem Motiv assoziieren lassen. Sie belegen wenig; ob Leonardo jemals selbst einen "Salvator Mundi" malte, bleibt ungewiss.
Ohnehin behelfen sich die Kuratoren auf kreative Weise. Natürlich sind nicht alle der etwa 15 Gemälde Leonardos hier versammelt, die Münchner "Madonna mit der Nelke" etwa ist zu fragil, "Cecilia Gallerani" aus Krakau war für ihr Alter in den vergangenen Jahren schon viel zu viel unterwegs und auch "Ginevra de' Benci" bleibt zu Hause in Washington. Holztafeln aus der Renaissance sind empfindlich, es ist richtig, sie nicht unnötigen Strapazen auszusetzen. Trotzdem sind alle Gemälde Leonardos in der Schau vertreten - als Infrarotabbildungen in originaler Größe.
Akzente statt Pomp
Die erste echte Malerei des Meisters ist erst Nummer 39, die wunderbare "Madonna Benois" aus Sankt Petersburg, ein wacher Teenager im Spiel mit seinem groß geratenen, hoch konzentrierten, aber noch patschhändigen Baby. Gerade weil die Schau sich bis dahin in Zeichnungen, Infrarotbildern, Vergleichswerken immer weiter steigert, hat die kleine Tafel den Auftritt, den sie verdient.
Manche Ausstellungen im Louvre sind überbordend, diese aber setzt Akzente. Zielsicher werden die Gäste zu Leonardos Berg- und Talstudie aus den Uffizien geführt, mit der die frühmoderne Landschaftskunst begann. Das selten präsentierte Stück ist für die Schau wichtiger als Leonardos nach einigem politischen und juristischen Hickhack entliehener "Vitruvmann" aus Venedig, denn die großen Frauen des Louvre, Leonardos Maria mit ihrer Mutter Anna sowie die "Mona Lisa", sitzen vor vielschichtigen Landschaftshintergründen. Leonardo liebte es, Mensch und Natur aufeinander zu beziehen.