Große Autofahrten der Filmgeschichte:Sind wir schon da?

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Nach Deauville geht eine der berühmtesten Autofahrten der Filmgeschichte: in Claude Lelouches Film "Ein Mann und eine Frau" mit Jean-Louis Trintignant und Anouk Aimée. Hier die Strecke gesehen von der Künstlerin Leanne Shapton. (Foto: (C) Leanne Shapton/Hanser)

Niklas Maak und Leanne Shapton spielen schreibend und malend eine berühmte Filmeinstellung nach: Zwei Leute fahren Auto und blicken in dieselbe Richtung. Wir Zuschauer gucken zurück.

Von Susan Vahabzadeh

Die wunderbare Idee, die "Eine Frau und ein Mann" zugrunde liegt, ist folgende: Zwei Menschen fahren an Orte aus ihren alten Lieblingsfilmen. Diese Orte halten nie, was die Filme versprochen haben, schon der Zeit wegen, die an ihnen vorbeigegangen ist. Sie erzählen ganz andere Geschichten - und die finden in dieses Buch. Leanne Shapton malt, und Niklas Maak erzählt.

Mann und Frau nebeneinander im Auto, das ist der Spiegel eines Kinobesuchs, heißt es im Vorwort: Sie sitzen nebeneinander und sehen dasselbe, das schafft, findet Maak, Komplizenschaft. In ähnlicher Mission haben die beiden schon einmal Manhattan durchquert, allerdings zu Fuß. Diesmal wird gefahren, auf den Spuren von Filmszenen, in denen ebenfalls gefahren wird.

Eins der Aquarelle zu Shaptons und Maaks Reise auf den Spuren von "Viaggio in Italia" von Roberto Rossellini. (Foto: (C) Leanne Shapton/Hanser)

Leanne Shapton beschreibt in Aquarellen, Niklas Maak in Worten, wie sich die Strecken, die sie ausgesucht haben, in der Wirklichkeit verändert haben, während sie im Film für immer so bleiben, wie sie sind: jene, die Ingrid Bergman und George Sanders in Roberto Rossellinis "Viaggio in Italia" unternehmen; die Fahrt im Käfer von Diane Keaton mit Woody Allen neben ihr quer durch Manhattan in "Der Stadtneurotiker"; die Anreise von Jack Nicholson und seiner gefährdeten Kleinfamilie zum Hotel in "The Shining", in dem er den Verstand verlieren wird. Wenn man das Kino mit der Wirklichkeit abgleicht, ist die Wirklichkeit immer der Verlierer, weil das Kino alles weglässt, was nicht in seine Geschichte passt. Was man aber aus dem Autofenster sieht, kann man sich nicht aussuchen.

Dieses Buch ist, trotz der Bilder, am Ende ein wortlastiges Unternehmen, weil Malerei, zumal wenn auf dem Beifahrersitz eines Autos vollfertigt, sich schwertut, kleine Exkursionen in die Designgeschichte zu unternehmen, so wie es Niklas Maak es tut, der Architekturkritiker der FAZ ist. Shapton malt, was sie sieht, und Maak schreibt, was er denkt - man muss sich die einzelnen Kapitel als Assoziationsketten vorstellen, in die nicht nur die Filmszene hineinfindet, die dahinter liegt. Bei "Viaggio in Italia" ist Maak nah am Film, im "Shining"-Kapitel bleibt er an dem Gedanken hängen, dass das Overlook Hotel auf einem Friedhof der Ureinwohner steht, und bewegt sich von dort aus weiter.

Niklas Maak, Leanne Shapton: Eine Frau und ein Mann. Hanser, München 2023. 224 Seiten, 26 Euro. (Foto: Hanser)

So gesehen ist "Eine Frau und ein Mann" kein Buch über Filme, sondern eher ein Buch über fast alles am Wegesrand, oder zumindest am Wegesrand der Gedanken - die verunglückten Liebesgeschichten von Freunden, Alberto Moravia und die Retortenstadt Sabaudia, das Gemälde eines Büffels in der Prärie von Albert Bierstadt. Das haben Filme und Geschichten und Malerei gemeinsam: Sie hindern Momente an der Flucht. In den besten Momenten fangen Leanne Shaptons Bilder das Gefühl einer Filmszene ein, das man nicht in Worte fassen kann - die nasse Straße, auf der Jean-Louis Trintignant und Anouk Aimée nach Deauville fahren in Claude Lelouchs "Ein Mann und eine Frau", beispielsweise. Die ist irgendwie da, obwohl man auf dem Gemälde gar keinen Regen sieht.

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