Niklas Maak: "Servermanifest":Aufruf zur Beunruhigung

Niklas Maak: "Servermanifest": Aufällig unauffälig: Rechenzentrum eines Unternehmens in Frankfurt. Durch die Serverfarmen der Data Center Alley in Ashburn, Virginia, fließen Schätzungen zufolge bis zu 70 Prozent des globalen Internetvolumens.

Aufällig unauffälig: Rechenzentrum eines Unternehmens in Frankfurt. Durch die Serverfarmen der Data Center Alley in Ashburn, Virginia, fließen Schätzungen zufolge bis zu 70 Prozent des globalen Internetvolumens.

(Foto: picture alliance/dpa/KDDI Deutsc)

Für den Architekturkritiker Niklas Maak sind die riesigen Serverfarmen das, was früher die Schlösser waren: der Sitz der Macht.

Von Michael Moorstedt

An sich ist Ashburn, Virginia, ein schon wieder bemerkenswert unscheinbares Städtchen. Die knapp 50 000 Einwohner leben gerade noch so in Pendelreichweite zur amerikanischen Hauptstadt Washington. Bürokraten und Schreibtischlenker der größten Volkswirtschaft der Erde fahren jeden Abend hierher, um sich nach vollbrachtem Tagwerk auszuruhen. Ashburn ist jedoch auch Heimat der sogenannten Data Center Alley. Einer Ansammlung von Hunderten Rechenzentren und Serverfarmen auf mehr als hundert Hektar Fläche.

Zusammen haben die Anlagen einen Energiebedarf von etwa 800 Megawatt jährlich - die Leistung eines kleineren Atomkraftwerks. So gut wie alle großen Tech-Konzerne sind in Ashburn vertreten - Facebook, Amazon, Microsoft und Google -, aber auch die großen Banken verarbeiten hier ihre Daten und der Allgemeinheit eher unbekannte Unternehmen wie Equinix, laut eigener Auskunft immerhin weltweiter Marktführer in Sachen digitaler Infrastruktur. Schätzungen zufolge fließen mitunter 70 Prozent des globalen Internetvolumens durch die Data Center Alley.

Wo bleibt die architektonische Manifestation all der angesammelten Deutungshoheit?

Auf Luftbildern sieht das erstaunlich unspektakulär aus. Diese Schaltzentrale der Gegenwart ist nicht mehr als eine Ansammlung von weißen und grauen Rechtecken, die wie Pocken auf der Landschaft sitzen. In seinem neuen Buch "Servermanifest - Architektur der Aufklärung. Data Center als Politikmaschinen" geht der Journalist Niklas Maak hart mit diesen High-Tech-Trabantenstädten ins Gericht. Und das nicht nur, weil durch sie in der Peripherie der Gewerberaum knapp wird, während die Innenstädte langsam vor sich hin modern. Für Maak sind Serverfarmen "die wichtigste neue Bautypologie des 21. Jahrhunderts. Sie sind in der digitalen Welt, was früher Schlösser waren: der Sitz der Macht". Anders als in der Vergangenheit gibt es aber heutzutage keine wehrhaften Zinnen, Mauern oder wenigstens hübsch anzusehende Türmchen. Stattdessen eher Baumarkt-Charme.

Wo bleibt die architektonische Manifestation all der angesammelten Deutungshoheit? Für den Autor steckt in der Nicht-Gestaltung durchaus Kalkül, und zwar nicht nur wegen der günstigeren Grundstückspreise in der Peripherie: Die Rechenzentren "sollen das Gegenteil von Architektur sein: nichts sagen, nichts verraten, keine Angriffsflächen bieten". Die Betreiberkonzerne hätten demnach durchaus Interesse daran, dass ihr Treiben so wenig greifbar wie möglich bleibt: "Data Center sind auch Orte der Vorausberechnung, Manipulation und Steuerung der Bürger."

Niklas Maak: "Servermanifest": Die neuen Rechenzentren, so Niklas Maak, "sollen das Gegenteil von Architektur sein: nichts sagen, nichts verraten, keine Angriffsflächen bieten".

Die neuen Rechenzentren, so Niklas Maak, "sollen das Gegenteil von Architektur sein: nichts sagen, nichts verraten, keine Angriffsflächen bieten".

(Foto: imago stock&people/imago/Hoffmann)

Es ist wie überall in der Gesellschaft: Machtstrukturen müssen, bevor man sich überhaupt daran machen kann, sie zu egalisieren, erst mal sichtbar sein. Vieles hängt mit allem zusammen. Aber liegen die ungleichen Kräfteverhältnisse zwischen Anbieter und User wirklich in der Architektur? Oder haben sie nicht auch mit der selbstgewählten Unmündigkeit zu tun, gemischt mit zugegebenermaßen eher problematischem User Design? Wo auch immer Nutzerdaten verarbeitet werden, gibt es sogenannte Dark Patterns, die die Menschen dazu verführen, möglichst viele ihrer persönlichen Informationen preiszugeben. Anstatt sich beim Öffnen jeder Website erst mal fünf Minuten durch schwer verständliche Nutzerzustimmungen zu klicken, lockt jederzeit der Button mit der Aufschrift "Alles erlauben". Das gelernte Verhalten tut sein Übriges. Man könnte sich schon zur Wehr setzen, aber wer will im Zeitalter der Instant Gratification deshalb schon auf seine neue Serie warten müssen?

Zwar gibt es inzwischen auch wahrhafte Prachtbauten von Rechenzentren, genau wie auch die analoge Infrastruktur des 20. Jahrhunderts mit Bombast auf sich aufmerksam machte, siehe Kraftwerke, Autobahnen, Staudämme oder Bahnhöfe. Doch rein ästhetische Satisfaktionsfähigkeit ist laut Maak bei weitem nicht genug. Die Daten und die Art wie sie verarbeitet werden, sollten nicht nur mittelbar - durch Programme und Apps auf den Endgeräten der Nutzer - erfahrbar werden, sondern auch räumlich. Es braucht, so Maak, dringend "einen physischen Ort, an dem jeder Besucher verstehen und sehen kann, was eine digitale Gesellschaft mit den gemeinsam erzeugten Daten machen könnte, wenn sie sie nicht an private Konzerne und Plattformen verschenken würde". Er wünscht sich ein Centre Pompidou für das digitale Zeitalter. Einen Ort, "an dem Bildung, Emanzipation, Gemeinschaft, Selbstbestimmung und Abenteuer die Obsession mit Komfort, Effizienz und Vorausberechenbarkeit ablösen und an dem die öffentliche Hand die zu Usern Degradierten wieder zu Akteuren machen würde".

Visionen für einen anderen, humaneren Zugang zur Dateninfrastruktur

Weil Maak nicht nur Redakteur im Feuilleton der FAZ ist, sondern zugleich auch Gastprofessor für Architektur an der Frankfurter Städelschule, ist im Anhang auch Platz für die Visionen seiner Studenten für einen anderen, humaneren Zugang zur Dateninfrastruktur. Man sieht da beinahe rührende Utopien. Etwa die vom Rechenzentrum als "Maschine zur Herstellung urbaner Energien". Die Abwärme, die bei der Datenverarbeitung entsteht, soll dafür genutzt werden, die Stadt und ihre Bewohner anzutreiben. Mächtige rote Rohre treten also aus dem dezentralen Datenzentrum in jedem Viertel hervor und heizen nicht nur Schwimmbäder und Bibliotheken, sondern auch noch Kaffee und Pizza für die Besucher. Ein weiteres Konzept sieht vor, die Rechenzentren auf dem Ozean schwimmen zu lassen. Natürlich mit von der Datenabwärme beheiztem Infinity Pool. Hach, ja.

Zumindest eine Forderung, die der Autor quer durch sein lesenswertes Manifest stellt, nämlich die, dass Datenzentren von der Peripherie der Städte wieder mehr in ihr Zentrum rücken sollten, ist übrigens gerade der heißeste Trend in der Industrie. Weil der Kapitalismus aber ja in Wahrheit eine sehr banale Angelegenheit ist, passiert die Wanderbewegung nicht ganz so, wie der Autor sich das wünscht. Im Gegenteil: Die Infrastruktur verschwindet noch weiter. Statt zu Bürgerzentren für das 21. Jahrhundert zu werden, liegen die Serverfarmen jetzt einfach in leerstehenden Büroetagen in innenstädtischen Lagen. Co-Lokalisierung heißt das dann.

Je mehr die Menschen ihr Leben ins Internet verlagern, desto mehr sinkt ihre Toleranz für Latenzen und Übertragungsverzögerungen. Die Haupttreiber der Entwicklung sind die Anwendungen, bei denen eine Verzögerung im Millisekundenbereich kritisch sein kann: Wenn man quasi-hirntot Netflix konsumiert, sind die Mini-Lags kaum zu bemerken. Ganz anders sieht es aus, wenn man online mit Aktien spekuliert oder in einem Multiplayer-Spiel konkurrenzfähig bleiben will. Auch für das von den großen Tech-Konzernen herbeifantasierte Metaverse bräuchte es eine solche Infrastruktur. Aber dann wären die Menschen ja ohnehin gänzlich drin im Netz - und müssten sich nicht mehr darum kümmern, was in ihren echten Städten passiert.

Niklas Maak: "Servermanifest": Niklas Maak: Servermanifest - Architektur der Aufklärung. Data Center als Politikmaschinen. Hatje Cantz, Hamburg 2022. 112 Seiten, 18 Euro.

Niklas Maak: Servermanifest - Architektur der Aufklärung. Data Center als Politikmaschinen. Hatje Cantz, Hamburg 2022. 112 Seiten, 18 Euro.

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