Rückkehr ins Kulturleben:Nachts im Museum?

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Die Museen sind auf ihre baldige Wiedereröffnung vorbereitet, an Ideen wie erweiterten Öffnungszeiten mangelt es nicht. Viel wird jedoch davon abhängen, ob ein nächster Lockdown kommt.

Von Catrin Lorch

Die gute Nachricht kommt mit Vorbehalt: Die Museen in Berlin dürfen von 4. Mai an öffnen. Klaus Lederer, der Kultursenator, verband seine Ankündigung am Dienstag aber mit dem deutlichen Hinweis, dass es sich bei der Maßnahme keinesfalls um eine "allgemeine Entwarnung" handele, sondern lediglich um die "erste Phase der Lockerung" in einer immer noch "fragilen Situation". Und während die Museen jetzt sogar eine Woche früher öffnen als allgemein erwartet, bleiben die Theater für die gesamte Saison geschlossen.

Doch ist die Öffnung der Museen in Berlin das Signal, auf das die Kultur in Deutschland gewartet hat, spätestens seit in Baumärkten, Autohäusern und Fahrradläden wieder Kunden bedient werden dürfen. Im Gespräch mit der SZ kurz zuvor hatte Eckart Köhne, der Präsident des Deutschen Museumsbundes, kritisiert, dass derzeit "die Kultur nicht zu den Hauptthemen" in der "Selbstdarstellung der Politik" gehöre: "Wir sprechen in Krisenzeiten über Werte, die das Zusammenleben ausmachen, da kann man nicht nur die Einkaufssituation bedenken."

"Man hat solche Einrichtungen als sogenannte dritte Orte definiert"

Dass Museen - wie auch Bibliotheken, Archive oder Galerien - in der Stadt neben den Orten, an denen man wohnt oder arbeitet, unverzichtbar sind, scheint derzeit nicht mehr selbstverständlich zu sein. Köhne: "Man hat solche Einrichtungen als sogenannte dritte Orte definiert. Sie sind von großer Bedeutung für die Gesellschaft." Vor allem die kommunalen kleineren Museen, die als "Rückgrat der Museumskultur" Geschichte, Naturkunde oder lokale Themen abbilden und weniger bekannt sind, weil sie keine Blockbuster-Ausstellungen machen, sondern Bildungsarbeit in der Fläche. "Die Öffnung der Schulen", sagt Köhne, solle man nun "mit der Diskussion über die Öffnung von solchen außerschulischen Bildungsorten" verknüpfen.

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Außerdem seien Museen auch Wirtschaftsfaktoren. Köhne kann vorrechnen, dass deutsche Museen mehr als 110 Millionen Besucher zählten und in einem Frühlingsmonat wie dem März "im Durchschnitt zehn Millionen Kunden verloren" hätten. Dabei seien die weitläufigen, klimatisierten Museen hervorragend darauf vorbereitet, die von der Politik geforderten Hygiene-Regeln umzusetzen. Auf der Website des Museumsbundes sind die erforderlichen Maßnahmen bereits seit Langem aufgeführt: von Masken, vermehrter Reinigung bis zu Desinfektionen und Abstandsregeln. Eckart Köhne, der selbst Direktor des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe ist, sagt, auf den 7000 Quadratmetern Sammlungsfläche dort könne man Besucher sehr gut vereinzeln.

Audioguides und Touch-Screens werden nicht mehr verteilt - stattdessen gibt es Handzettel

In Berlin wird seit Wochen an solchen Berechnungen gefeilt. "Wir haben seit dem Tag der Schließung an der Wiedereröffnung gearbeitet", sagt Christina Haak, stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin. "Abstandshalter, Masken, Schutzmaterial, Desinfektionsmittel, Plexiglas sind ja die neue Währung geworden." Zudem seien die zum Berliner Museumsverbund gehörenden, insgesamt 17 einzelnen Museen und ihre Räumlichkeiten jeweils analysiert worden. Einerseits, so Haak, seien die großen Häuser auf der Museumsinsel im Vorteil, weil man beispielsweise "durch die Alte Nationalgalerie gut flanieren kann". Dort wäre ein "Rundgang mit Einbahnstraßen-Regelung " möglich. Andererseits möchte man der Bevölkerung jetzt in der Krise mit den kleineren, über die Stadt verteilten Museen ihre "Identifikationsorte" wieder zugänglich machen, während 75 Prozent der Besucher auf der Museumsinsel nur Touristen sind.

Abstandsregeln, Desinfektion, Maskenverkauf am Eingang und Ticketbuchungen im Internet - die deutschen Museen arbeiten derzeit prophylaktisch einen Katalog von Maßnahmen ab. Während man in Dresden im Zwinger oder Albertinum schon viel Erfahrung mit Schleusen und der Lenkung des Publikums hat - beispielsweise am aufwendig gesicherten und überwachten Eingang zum Grünen Gewölbe -, muss man sich dort womöglich von avancierten Formen der Kunstvermittlung verabschieden: Audioguides und Touch-Screens können nicht mehr ausgegeben werden, dafür schreiben die Kunsthistoriker gerade an Handzetteln, die man den Besuchern mitgeben kann.

Das Kindermuseum im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden, in dem sich viele Kinder auf engem Raum drängten, wird ein neues Konzept benötigen. Und überhaupt sind unkonventionelle, womöglich auf Berühren und Mitmachen angelegte Vermittlungsangebote vorrangig betroffen: In Stuttgart muss eine Museumsdirektorin wie Ulrike Groos beispielsweise eine Lösung finden für das "Mitmachlabor", das von Kunsthistorikern und Physikern gemeinsam als interaktives Angebot eingerichtet wurde. "Wir werden nun digital die Mitmach-Stationen mit Lego-Robotern automatisieren", sagt Groos. Derzeit programmiere man gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen die Stationen so um, dass sie automatisch laufen.

Warum keine nächtlichen Öffnungszeiten?

Solche - auch verspielten - Ideen, zielen vor allem darauf, Sichtbarkeit wieder herzustellen in Zeiten, in denen nichts selbstverständlich ist. Museumsdirektoren rufen derzeit nicht nur täglich bei den zuständigen Kulturreferenten oder Verwaltungen an, um eine dringend erwartete Wiedereröffnung zu diskutieren, sie entwickeln auch Ideen. Warum nicht wenigstens jeweils einen Besucher in die leeren Säle einlassen? Mit Ticket-Verlosung im Internet? Warum keine nächtlichen Öffnungszeiten? Oder die Einrichtung von provisorischen Museumscafés im Park?

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Dass nach der zurückhaltenden, schrittweisen Wiedereröffnung nicht unbedingt mit einem "Run auf die Museen" zu rechnen sei, sagt Ulrike Groos - auch wenn sie, wie viele ihrer Kollegen, regelmäßig Anrufe ihrer Besucher erhält, die fragen, wann der Betrieb wieder aufgenommen wird. Doch gerade das ist eine ideale Voraussetzung, weil man dann die Tür wenigstens einen Spaltbreit öffnen kann. Yilmaz Dziewior, Direktor des Kölner Museums Ludwig, ist froh, dass er gerade "keine überlaufenen Ausstellungen" im Programm hat. Er sagt, er brauche schon deswegen höchstens eine Woche Vorlauf, um wieder zu eröffnen. Dziewior: "Ich sehe mit der Sicherheit kein Problem, wir haben hier große und weitläufige Hallen. Und wir könnten die Besucher zudem über längere Öffnungszeiten verteilen." Wenn im Herbst die große Ausstellung zu Andy Warhol ansteht, werde man am Museum Ludwig wohl ein Vorbuchungssystem etablieren.

Digitale Sammlungen? Die Menschen wollen wieder die Originale sehen

Nicht nur Yilmaz Dziewior hofft auch deswegen auf eine baldmögliche Wiedereröffnung, weil das Jahresprogramm, der Leihverkehr und die wissenschaftliche Arbeit mit jedem Monat der Schließung komplizierter werden. Nach Einschätzung der Direktoren wird die Situation im föderalen Deutschland langsam unüberschaubar - viele Häuser verschieben ihre Ausstellungen und müssen Leihgaben entsprechend verlängern. Dass die einzelnen Bundesländer in Bezug auf die kulturellen Einrichtungen unterschiedlich vorgehen, trägt zur Unübersichtlichkeit bei.

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In den Staatlichen Museen in Berlin - wo neben 55 weiteren Ausstellungen in diesem Jahr im Herbst eine Großausstellung zur Gotik vorbereitet wird - prüft das Team fortlaufend, ob das Programm überhaupt noch realisierbar ist. "Kompliziert ist auch die Frage unserer eigenen Leihgaben", sagt Christine Haaks, "derzeit sind mehr als 1 000 Werke aus unseren Sammlungen in der Welt unterwegs. Doch jetzt sind die Grenzen zu, Lkw dürfen nicht fahren, die Werke nicht reisen. Umgekehrt haben wir auch zahlreiche Leihgaben anderer Museen hier in Berlin."

Doch die schlimmsten Auswirkungen hat die Krise jetzt schon auf die Finanzen der Museen: Betroffen sind vor allem private Häuser oder Stiftungen, denen während der Schließung alle wirtschaftlichen Grundlagen entzogen sind. In Zeiten, in denen eine so gewaltige Institution wie das New Yorker Metropolitan Museum seinen 150. Geburtstag in der Sorge feiert, von Sommer an überhaupt nicht mehr öffnen zu können, fürchten auch die öffentlichen Häuser in Deutschland die Auswirkungen der Schließung. "Derzeit haben die Staatlichen Museen zu Berlin monatliche Mindereinnahmen von bis zu zwei Millionen Euro", sagt Christina Haaks, die darauf hinweist, dass die Kosten mit der Eröffnung sofort wieder steigen, auch wenn nur fünf statt fünfhundert Besuchern eingelassen werden.

War das nun ein erster Schritt in die Normalität oder nur eine kurze Unterbrechung des Lockdowns?

Die meisten Museen, auch kommunale oder staatliche, finanzieren sich zudem zu einem Teil über die Einnahmen aus der Verpachtung von Buchläden, Restaurants oder Cafés, die jetzt komplett wegfallen. Dass es in Zeiten der wirtschaftlichen Krise eher schwieriger wird, Sponsoren oder Mäzene zu akquirieren, ist zu erwarten. Schon deswegen, so Ulrike Groos, sollte die Öffentlichkeit den Museen jetzt nach der Wiedereröffnung nicht sofort die Mittel kürzen: "Sonst können wir unsere Defizite überhaupt nicht mehr ausgleichen."

Die Politik, die so lange zurückhaltend war, hat mit der viel beachteten Berliner Entscheidung zur Öffnung der Museen jetzt das dringend erwartete Signal ausgesandt, dass auch kulturelle Einrichtungen wertgeschätzt werden. Viel wird davon abhängen, ob es ein erster Schritt in die Normalität war - oder nur eine kurze Unterbrechung des Lockdowns. Während der Prado in Madrid gerade verlauten lässt, dass er die Zukunft der Weltmuseen in der Virtualität sehe, formuliert Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden, nach den Erfahrung der coronabedingten Schließung genau das Gegenteil: "Die Menschen spüren jetzt, was für eine Kostbarkeit die Museen mit ihren Originalen sind. Gerade in großen Städten sind Menschen, ist das gesellschaftliche Leben über Kultur verbunden. Museen sind systemrelevant."

© SZ vom 23.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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