Rückkehr ins Kulturleben:"Man schneidet an der Seele unseres Schaffens herum"

Leere Kammerspiele

Großer Auftritt für die Stille: die Münchner Kammerspiele am Nachmittag des 18. März.

(Foto: Alex Rühle)

Wann der Theaterbetrieb wieder aufgenommen werden kann, ist fraglich. Die Intendanten sind ratlos. Und Dieter Hallervorden macht verzweifelte Vorschläge.

Von Peter Laudenbach

Während völlig unabsehbar ist, wann und wie die Theater wieder geöffnet werden können, arbeiten die Intendanten an Szenarien eines Spielbetriebs unter Corona-Bedingungen. Ulrich Khuon, der Intendant des Deutschen Theaters Berlin, kann sich vor dem Ende der Sommerpause kleine Open-Air-Vorstellungen unter Einhaltung der notwendigen Abstandsregeln vorstellen. Mehr als ein Notbehelf ist das nicht. Der Regisseur und Intendant des Berliner Ensembles, Oliver Reese, versucht sich im Balanceakt, sowohl der Ästhetik wie der Gesundheit der Schauspieler gerecht zu werden: "Wir lassen im Moment sämtliche Inszenierungen von unseren Regieassistenten auf problematische Stellen prüfen."

Problematisch ist in Corona-Zeiten nicht nur jede Form körperlicher Nähe, sondern schon leidenschaftliche, laute, also unter Umständen auch feuchte Aussprache ohne einige Meter Sicherheitsabstand, von Kussszenen ganz zu schweigen. Ein Großteil des Repertoires bekommt so den im Routinebetrieb oft vermissten Reiz des Gewagten, ist aber trotzdem unspielbar.

Natürlich gibt es unter den Großintendanten auch solche, die die Realität nur eingeschränkt zur Kenntnis nehmen. So lässt Martin Kušej, der Prinzipal des Wiener Burgtheaters, wissen, dass für ihn im Zweifel die Kunstfreiheit vorgehe: "In einem freien, kreativen Prozess kann es keine Limits geben - man schneidet an der Seele unseres Schaffens herum, wenn man auf der Bühne ,Sicherheitsabstand' verordnet. Das ist für mich wirklich irritierend und frustrierend." Ein Leiter einer öffentlich finanzierten Institution, der das Wort "Sicherheitsabstand" in Anführungszeichen setzt, hat offenbar noch nicht ganz verstanden, in welcher Situation sich die Gesellschaft, und mit ihr das Theater, befindet.

Ein "Spezialteam", das das Theater desinfizieren soll?

Pragmatische, fast schon etwas verzweifelt wirkende Vorschläge kommen von Dieter Hallervorden. Nicht in seiner Funktion als Komiker, sondern als Intendant und Gesellschafter des von ihm betriebenen Berliner Schlosspark-Theaters, schlägt er in einem offenen Brief an Staatsministerin Grütters mögliche Öffnungsszenarien vor: "Im Zuschauerraum bleibt jede zweite Reihe frei. In den Reihen bleiben zwischen zwei Besuchern jeweils zwei Plätze frei. Das Theater wird vor jeder Vorstellung von einem Spezialteam desinfiziert. Der Einlass erfolgt einzeln mit aufgestocktem Vorderhauspersonal. Es werden dabei Mundschutzmasken verteilt. Die Theaterstücke werden ohne Pause gespielt. Inszenierungen werden unter Beachtung der Abstandsregelung abgeändert." Das sind Minimalvoraussetzungen, aber auch sie werden nicht genügen. So sind nicht in allen Theatern die Klimaanlagen in der Lage, den Saal hinreichend zu entlüften. Bei stehender Luft bieten auch großzügige Sicherheitsabstände im Parkett keinen ausreichenden Virenschutz.

Die nüchterne, also hilfreiche Analyse kommt vom Deutschen Bühnenverein. "Im Augenblick sind alle Ideen für mögliche Theateröffnungen rein hypothetisch. Ob und wann und in welcher Weise wieder Theater gespielt werden kann, hängt nicht von unseren Wünschen, sondern von der Entwicklung der Pandemie, von medizinischen Fakten, von politischen Entscheidungen und gebäudetechnischen Voraussetzungen ab", sagt Bühnenverein-Pressesprecherin Vera Scory-Engels.

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