Rückkehr ins Kulturleben:Abstand lässt den Klang zersplittern

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Da war noch alles gut und "Corona" ein Fremdwort: Andris Nelsons und die Wiener Philharmoniker beim diesjährigen Neujahrskonzert. (Foto: Hans Punz/dpa)

Orchester-Vorstände in Wien und Berlin denken über die allmähliche Wiederaufnahme des Betriebs nach - je nach Bühnensituation dürfte das jedoch unterschiedlich schwierig werden.

Von Reinhard J. Brembeck

Solistenauftritte, Liederabende, Streichquartett-Recitals: Obwohl immer noch keine öffentlichen Konzertaufführungen möglich sind, wird all das derzeit wieder denkbar. Wenn auch mit wenig Publikum und unter Einhaltung der gängigen Sicherheitsvorschriften. Aber Auftritte von Sinfonieorchestern mit bis zu 120 Musikern auf einer Bühne erscheinen immer noch völlig utopisch. Wie soll ein Orchester die Abstandsregel einhalten auf gängigen Bühnen, die sie schon unter Normalbedingungen oft bis in den letzten Winkel ausfüllen? Die Berliner und die Wiener Philharmoniker sind die berühmtesten Orchester der Welt. Zwei ihrer Vorstände, der Berliner Cellist Olaf Maninger und der Wiener Geiger Daniel Froschauer, erklären dennoch, wie sie sich eine Wiederaufnahme des Konzertbetriebs vorstellen.

Sowohl Maninger als auch Froschauer warten vor allem auf politische Entscheidungen. Eine zeitliche Prognose für einen symphonischen Neubeginn wagt keiner von beiden, derzeit ist selbst der Probenbetrieb untersagt. In Österreich sind Aufführungen bis Ende Juni ausgesetzt, in Berlin müssen Theater bis zum 31. Juli geschlossen bleiben.

Die Berliner haben sich in 35 Klein-Ensemble aufgespalten, vom Duett bis zur Zwölfer-Cellisten-Combo. Deren Konzerte werden für die hauseigene Digital Concert Hall aufgezeichnet. Wann aber wird das ganze Orchester wieder spielen? Maninger kann das gar nicht einschätzen. Seine große Hoffnung ist, dass das Orchester zumindest die Ende August beginnende nächste Spielzeit regulär eröffnen kann. Wenn das denn dann zu verantworten ist. Maninger wie Froschauer hoffen auf Impfung und Medikamente. Doch die gibt es nicht. Also wird die Wiederaufnahme in Berlin wohl nicht mit einer groß besetzten Mahler-Sinfonie erfolgen, sondern mit kleinbesetzen Programmen, immerhin mit Dirigenten.

Wenn im Fußball wieder gespielt wird, wird das auch für die Orchester möglich sein müssen

Die Philharmoniker spielen alle möglichen Szenarien durch, um auf die Ansagen der Politik sofort reagieren zu können. Maninger verweist auf den Fußball: Wenn dort wieder gespielt wird, dann wird das auch für die Orchester möglich sein müssen. Dann singt er ein Loblied auf die von Hans Scharoun gebaute riesengroße Berliner Philharmonie. Weil die über viele Eingänge verfügt, großzügig mit Probenräumen, Stimmzimmern, Tonstudios und Garderoben ausgestattet ist. Das macht sie zu einem Sonderfall. Die Bühne ist so groß, dass die Musiker dort im 1,50-Meter-Abstand sitzen können. Das wurde visuell schon ausprobiert, ohne Musiker. Ein solcher Abstand allerdings dürfte den Klang zersplittern lassen und das Zusammenspiel erschweren.

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Die Situation in Wien ist schwieriger. Die Wiener Philharmoniker sind ein privater Verein ohne Chefdirigenten, sie haben anders als die Berliner keinen eigenen Saal, veranstalten ihre Abo-Konzerte im Musikvereinssaal, gehen auf Tournee und sind das tragende Ensemble der (noch nicht abgesagten) Salzburger Festspiele. Ihre Mitglieder arbeiten im Orchester der Wiener Staatsoper, die ebenfalls zwangspausiert, dort ist Kurzarbeit angesagt.

Daniel Froschauer hat die Ruhigstellung anfangs sehr genossen, hat wie viele Kollegen mehr geübt, an der Technik gefeilt, viel Musik im Radio gehört. Aber mittlerweile ist er kribbelig, möchte unbedingt wieder im Orchester spielen. Sein kühnster Traum ist es, wenigstens ein Konzert bei den Salzburger Festspielen zu spielen, vielleicht erst Ende August, vielleicht als gestreamtes Geisterkonzert. Oder in kleinerer Besetzung mit nur einem Spieler pro Pult, ohne Bläser, aber vor Publikum. Allerdings mit großem Abstand auf einer Bühne zu sitzen, das sei für ein Orchester nicht nur aus klanglichen Gründen sehr schwer. Denn das Intime gehört zum Ensemblespiel einfach mit dazu: die Nähe, dass man sich hört und spürt.

Froschauer ersehnt die schnelle Wiederaufnahme des normalen Konzertbetriebs, nennt aber die Bedingungen: eine Impfung oder die Ansage, dass bedenkenlos wieder gespielt werden kann. Ihn erschreckt die Möglichkeit, dass sich bei einem Konzert der Wiener Philharmoniker 100 Menschen anstecken. Und wenn es einen Impfstoff oder ein Medikament erst Ende nächsten Jahres geben sollte? Froschauer lässt den Gedanken einfach im Raum stehen. Sollten die Wiener allerdings das Gefühl haben, dass die Politik allzu zögerlich bei der Öffnung ist, dann wäre es schon möglich, dass er, Froschauer, direkt mit dem Bundeskanzler spricht. Bis dahin wird er vorsichtig die Situation beobachten. Aber eines ist für Froschauer, der immer zwischen Ungläubigkeit, Hoffnung und Frust schwankt, ausgemacht: "Wir fangen sicher als Allerletzte wieder an."

© SZ vom 23.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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