Kritik an "Precious":Wohlmeinende Sklavenhalter

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Die Einwände gegen "Precious", die inzwischen sogar schon auf der Kommentarseite der New York Times erhoben wurden, sind erheblich schwererwiegender. Zumal sie sich nicht, wie bei "Fela!", gegen eine kleine Truppe von Künstlern richten, sondern gegen die beiden mächtigsten schwarzen Figuren des amerikanischen Showbiz, die den Film mitproduziert und promotet haben: Den Produzenten, Schauspieler und Regisseur Tyler Perry und Amerikas Gallionsfigur des guten Zwecks, Oprah Winfrey.

Das Problem des Films liegt in dem simplen Umstand, dass er wenig unternimmt, um den Zuschauer daran zu erinnern, dass er nicht heute, sondern 1987 spielt, auf dem Höhepunkt der Crack-Epidemie.

Die prominenten Unterstützter des Films haben ein Übriges getan: Eine von ihnen ist die Ex-Präsidentengattin Barbara Bush, die in Newsweek schrieb: "Kinder wie Precious gibt es überall. Jeden Tag laufen wir an ihnen vorbei." Für den Times-Kommentator Charles Blow missachten derlei gutgemeinte Kommentare, wie auch der Film selbst, wie viel sich in den letzten 20 Jahren an den katastrophalen Zuständen in Amerikas schwarzen Vierteln gebessert hat.

Laut Statistik konsumieren Schwarze zwischen 18 und 25 Jahren tatsächlich weniger Drogen als der Durchschnitt ihrer Altersgenossen. Inzest und Missbrauch komme unter Schwarzen nicht häufiger vor als unter anderen Bevölkerungsgruppen. "Precious" hingegen perpetuiere den "modernen Mythos" schwarzer familiärer Verwahrlosung, mit dem Vater als Sexmonster, der verkommenen "Crackmutter" und Kindern, deren Existenzen schon bei der Geburt für gescheitert erklärt werden.

Und schlimmer noch: Er tue dies ohne den geringsten Hinweis darauf, dass dieses sich angeblich ewig wiederholende Desaster seine Ursachen in Amerikas Geschichte und seinem Rassismus habe. Der Film verkaufe dem weißen Publikum das gute Gefühl aufrichtiger Anteilnahme, ohne dass sich dieses Gedanken um die eigene Verstricktheit machen müsse.

"Die Probleme der schwarzen Unterklasse werden als Resultat ihrer Kultur, ihrem Mangel an persönlicher Verantwortung dargestellt." Und es ist ihm und andern auch nicht entgangen, dass die drei Menschen, die Precious den Weg aus ihrem Elend weisen - die spröde Sozialarbeiterin Miss Weiss (grandios gespielt von Mariah Carey), der Krankenpfleger John McFadden (Lenny Kravitz) und die Lehrerin (Paula Patton) - die hellhäutigsten Figuren des ganzen Films sind: Er schmeichle dem weißen Publikum "mit dem Stereotyp des wohlmeinenden Sklavenhalters".

"Hör auf damit!", ruft Blow Tyler Perry zu, der sein ganzes Medienimperium auf die komödiantische Darstellung dysfunktionaler schwarzer Familien und ihrer bedröhnten Matriarchinnen aufgebaut hat. Das lässt an die Ermahnungen der letzten Jahre denken, die Rapper sollten sich endlich von der Glorifizierung von Gewalt, Sex und Konsum verabschieden.

In einigen Bereichen hat sich für die Schwarzen tatsächlich viel gebessert, anderswo, bei ihren Chancen auf dem Arbeitsmarkt etwa, steht es heute schlechter denn je. Doch die Vehemenz, mit der diese Debatte geführt wird, lässt ahnen, wie prekär Amerikas schwarze Minderheit ihren Status nach wie vor empfindet.

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