"Kimi" im Kino:Angststörung im Home-Office

Lesezeit: 3 min

Kein Plädoyer der Technologiekritik, sondern ein Thriller: Zoë Kravitz in "Kimi". (Foto: AP)

Steven Soderbergh modernisiert in seinem Thriller "Kimi" den Klassiker "Das Fenster zum Hof" für die Alexa-Generation.

Von Andrian Kreye

Steven Soderberghs neuer Thriller "Kimi" ist eine gute Gelegenheit, mal kurz zu überlegen, woran sich Hollywood mit seinem winterlichen Eintauchen in die Zitatwut der Retropopkultur eher orientiert. Ist es das Geschichtsbewusstsein, wie es die Malerei und die klassische Musik seit Jahrhunderten pflegen? Ist es das Sampling des Hip-Hop? Die Manie der Coverversionen im Pop?

In der Reihenfolge schwingt ein wenig der Kulturdünkel des 20. Jahrhunderts mit, deswegen kurz der Hinweis, dass meiner Meinung nach De La Souls "3 Feet High and Rising"-Album kulturgeschichtlich sehr viel mehr Gewicht hat als Mozarts italienische Opern. In diesem Sinne hat Jon Watts' Schwelgerei in den Selbstreferenzen des Marvel-Universums in "Spiderman: No Way Home" sehr viel mehr Substanz als Lana Wachowskis philosophische Murmeltierschleifen in "The Matrix Resurrections". Irgendwo dazwischen landet nun Steven Soderbergh, der aus der Geschichte des Thrillers eine wunderbare Collage gemacht hat, die einen sehr viel größeren Start verdient hätte als die paar Nachmittagsvorstellungen in deutschen Kinos, die Streamingpremiere auf dem in Deutschland nur mit halblegalen Mitteln erreichbaren Portal HBO Max und der Aussicht, dass das demnächst mal bei Sky oder so laufen wird.

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Für diese Heldin ist der Alltag ein ständiger Kampf gegen die ganze Welt. Da helfen auch keine Pillen

Hauptfigur ist Angela Childs, eine Tech-Arbeiterin, die im Home Office für ein Start-up-Unternehmen arbeitet. Die Firma will demnächst mit ihrem Sprachgerät "Kimi" an die Börse, das sich von Amazons Alex oder Apples Siri vor allem dadurch unterscheidet, dass echte Menschen wie Angela Childs ausgewählte Aufnahmen abhören, um Beschwerden der Nutzer nachzugehen oder technische Fehler zu finden. Der Film geht davon aus, dass dies bei den Konkurrenzprodukten nicht so ist. Das könnte man nun diskutieren, nachdem die Hersteller "smarter" Geräte ja allesamt abstreiten, dass ihre Gerät mithören und diese Daten von künstlichen Intelligenzen und auch Mitarbeitern ausgewertet und benutzt werden. Aber "Kimi" ist kein Plädoyer der Technologiekritik, sondern ein Thriller. Deswegen taucht der eine oder andere Aspekt zwar auf, der zeigt, wie sinister und verdorben die digitale Industrie doch ist. Aber das dient ausschließlich dem Plot.

Überhaupt merkt man dem Film an, wie viel Spaß Steven Soderbergh mit dem klassischen Filmhandwerk bei der Arbeit hatte. "Kimi" ist sehr klar in drei Akte unterteilt, die jeweils an ein Vorbild aus der Filmgeschichte andocken.

Der erste Akt ist eine moderne Version von Alfred Hitchcocks "Fenster zum Hof". In Zeiten der Pandemie hält natürlich kein Beinbruch die Hauptfigur in ihrer Wohnung gefangen, wie einst James Stewarts' Jeff Jeffries. Angela leidet wie viele in diesen Zeiten unter einer Angststörung. Das Virus da draußen und ein Überfall in ihrer jüngeren Vergangenheit sind schuld daran, dass jeder Versuch, die Schwelle zum Gang zu überschreiten, in einem krampfartigen Zusammenbruch endet. Da nutzen auch all die Pillen nichts, die sie schluckt. Zoë Kravitz ist mit ihrer oft so abweisenden Körpersprache und Mimik die perfekte Besetzung für diese Figur, für die der Alltag ein dauernder Kampf gegen die ganze Welt ist. Mal davon abgesehen, dass die junge Tech-Arbeiterin in einem Loft in Seattle wohnt, das so groß und prächtig ist, dass dort im wahren Leben wohl eher eine Start-up-Gründerin nach der zweiten Finanzierungsrunde leben würde, inszeniert Soderbergh die Klaustrophobie dieses pandemischen Eremitendaseins mit Bravour. Alleine die Szene, in der Angela mit einem ihrer Manager per Videoschalte verhandelt, der voller Chefgewalt versucht, sie auf Firmenlinie zu halten, und dabei seine Kinder anbrüllt, die im Hintergrund laut herumtoben, verdichtet das Elend des Home-Office-Lebens auf eine grandiose Minute.

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Angela verhandelt mit ihm, weil sie auf einer der Aufnahmen eine Gewalttat gefunden hat. Da ist man dann schon im zweiten Akt. Der ist Brian De Palmas "Blow Out" nachempfunden, in dem John Travolta als Tontechniker Jack zufällig einen Mord aufnimmt. Da dreht sich das Zitatkarussell schon ein wenig schneller, weil "Blow Out" De Palmas Hommage an Hitchcock war. Zu dem Soderbergh dann im dritten Akt zurückkehrt, der die Handlungssprünge von "Der unsichtbare Dritte" in die Moderne holt. Um da weiter die Handlung zu referieren, müsste man jetzt einen "Spoiler Alert" einfügen, aber das ist gar nicht nötig. Nur eines sei verraten, weil der Trailer das eh schon zeigt. Wenn es Angela endlich schafft, ihr Loft zu verlassen, schafft es Soderbergh, der mal wieder unter dem Pseudonym Peter Andrews selbst die Kamera geführt hat, die Panik, die so eine Angstneurotikerin im Straßenverkehr erfasst, mindestens so souverän wiederzugeben, wie die Klaustrophobie des Home-Office.

Auf den einschlägigen Filmportalen bekam der Film übrigens eher mittelmäßige Bewertungen. Wobei ein Blick in die Kommentare zeigt, dass es genau die Stärke des Films ist, die vielen jüngeren Netzkritikern auf die Nerven ging. Zu langsam. Zu langweilig. Kommt zu spät in die Gänge. Genau. Weil Soderbergh auch den klassischen Rhythmus von Hitchcock beherrscht, der aus dem fast schon zu beschaulichen Alltag das Tempo der Handlung erst ganz vorsichtig und dann mit immer mehr Verve bis zur Wucht beschleunigt. Das mag altmodisch sein, aber das ist der Film bei aller moderner Thematik ja sowieso. "Kimi" will nicht überwältigen, nicht erschüttern, nicht berühren, wie die meisten Thriller der Gegenwart. Der Film will mitreißen. Und das tut er.

Kimi , USA 2022 - Regie und Kamera: Steven Soderbergh. Buch: David Koepp. Schnitt: Mary Ann Bernard. Mit: Zoë Kravitz, Rita Wilson, Byron Bowers, Robin Givens. Warner, 89 Minuten. Kinostart am 10. Februar 2022.

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