KI-Serie "Wahnsinn und Methode":Digitale Vollbremsung

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Die Chips, die man für künstliche Intelligenz benötigt, sind das Resultat der komplexesten Wertschöpfungsverbünde der Geschichte. (Foto: Fotos: imago images, Collage: Stefan Dimitrov)

Die KI-Transformation braucht Unmengen an Rohstoffen - aus China und Russland. Geopolitische Konflikte stellen die Zukunft der digitalen Welt infrage.

Gastbeitrag von Sarah Spiekermann

Künstliche Intelligenz krempelt unser Leben in den verschiedensten Bereichen um. Wie, das zeigt unsere Serie "Wahnsinn und Methode" im SZ-Feuilleton.

Der Zenit der digitalen Transformation scheint ins Haus zu stehen. Massives Umrüsten von IT-Architekturen auf rechenintensive Cloud-Systeme soll die neue Wunderintelligenz GPT zum Leben erwecken. Gleichzeitig werden komplexe Militärtechnologien geplant, der Umstieg auf bargeldloses Zahlen per Smartphone, die Energiewende und mehr. Experten auf der Nutzungsseite der Digitaltechnik scheinen die Verfügbarkeit der enormen Rechenleistungen als so selbstverständlich anzunehmen wie die Verfügbarkeit von Strom. So lange man eine Steckdose hat, fließt er. Dem ist jedoch nicht so, denn Rechenleistung, ob nun für die einfache Elektronik in unseren Waschmaschinen bis hin zu KI-Cloud-Systemen, hängt ab von der Verfügbarkeit unterschiedlicher Typen und Leistungsklassen von Chips. Diese Chips sind das Resultat der komplexesten Wertschöpfungsverbünde der Geschichte. Und die drohen nun von den geopolitischen Konflikten der USA zunichte gemacht zu werden.

Die Chip-Verfügbarkeit ist zunächst einmal von Zehntausenden nahtlos miteinander handelnden und wissenschaftlich miteinander kooperierenden, jeweils hoch spezialisierten Wertschöpfungspartnern abhängig. Außerdem von einer Vielzahl ebenso spezialisierter, oft nicht ersetzbarer Rohstoffe, die zum größten Teil aus China und Russland kommen. Um unsere westlichen Gesellschaften in ihrer immer tiefer verstrickten Abhängigkeit von Digitaltechnik aufrechtzuerhalten, muss der Rest der Welt uns liefern. Bricht diese Lieferbereitschaft im Zuge der verschärften geopolitischen Polarisierung zusammen, können wir froh sein, wenn bei uns nicht buchstäblich das Licht ausgeht.

Die komplexeste Wertschöpfung der Menschheitsgeschichte

In seinem 2022 erschienenen Buch "Chip War" beschreibt der Historiker Chris Miller eindrucksvoll und minutiös, was die Chip-Welt ausmacht: global verteilte Spezialisierung. Seit den Achtzigerjahren werden Chips aus Kosten- und Qualitätsgründen immer seltener in den USA gefertigt. Stattdessen erstellen hoch spezialisierte "Fabs" in Taiwan und Südkorea, China und Japan die Halbleiterplatten, von denen dann über 60 Prozent in China und Taiwan zu Chips zusammengebaut und getestet werden. Das ist zunächst mal keine ungewöhnliche Aufteilung in einer friedlichen globalen Welt. Allerdings täuscht dieser erste Eindruck über die wahren Komplexitäten und Abhängigkeiten hinweg, denn wenn es um die Logikchips geht, die man etwa für Smartphones, KI oder Militär braucht, dann schrumpft die Abhängigkeit auf ein einziges Land: Taiwan, wo immer noch 92 Prozent der hochleistungsfähigen Logikchips gefertigt werden.

Diese Konzentration hat Gründe. Über drei Jahrzehnte hat der kleine Inselstaat in das Prozess-Know-how investiert, das erforderlich ist, um Chips dieser Qualität zu fertigen. Befindet sich auch nur ein einziges Staubkorn in der Luft solcher Fertigungsanlagen, ist die ganze Produktion dahin. Zu hohe Ausschussraten waren es vor allem, die neben Löhnen für eine Aufgabe der Chipfertigung in vielen Teilen der Welt geführt haben. Ungeheure Disziplin und Wissen hoch spezialisierter Mitarbeiter sind erforderlich für das wertvollste Unternehmen Asiens, TSMC, um die Chips in dieser Güte effizient zu fertigen; eine nur in Jahrzehnten kopierbare Produktionssituation, auch wenn TSMC jetzt in Dresden investiert hat.

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Einen Trumpf glaubt die westliche Welt zu besitzen: Das ist die niederländische Firma ASML, die als einzige in der Welt in der Lage ist, die Litografiesysteme zu liefern, welche wiederum als einzige die aktuellen Hochleistungschips mit sogenannter Extreme-Ultra-Violet-Technologie fertigen kann. Jedoch hängt wiederum ASML selbst von Wertschöpfungspartnern ab: Allein für die Herstellung der Lasertechnik, die in ASML-Maschinen eingebaut ist, sind Chris Miller zufolge 457 329 Komponenten erforderlich. Auch anderweitig kursierende Zahlen, wie 2 500 Tier-1-Zulieferer und 10 000 Tier-2-Zulieferer für Taiwans TSMC, sind eindrucksvoll.

Um den Grad an Innovation zu schaffen, den wir heute in Form von GPT bestaunen, muss die ganze Welt kooperieren. Aber diese Kooperation könnte enden, wenn China im Innovationswettbewerb aufschließt, auch militärisch. Eine Angst, die für unsere eigene Innovationsfähigkeit und die Aufrechterhaltung unserer Gesellschaften brandgefährlich ist, denn unsere Maschinen, unser geistiges Eigentum und neuerdings sogar unsere mit Milliardenbeträgen geförderten Chip-Fertigungsanlagen nützen nichts, wenn wir nicht die Rohstoffe dafür haben.

Die Rohstoffe lassen sich kaum ersetzen

Um moderne Logikchips zu fertigen, braucht man über 300 Materialien, über 100 Gase und über 500 Spezialchemikalien. Der Materialauswahlzyklus in der Halbleiterindustrie beträgt in der Regel zwei bis fünfzehn Jahre vor der ersten Produktion. Mit anderen Worten: Wenn auch nur ein Rohstoff nicht verfügbar ist, kann man kaum auf Alternativen ausweichen. Die Produktion steht still.

Die häufigsten Stoffe für die Chipfertigung sind Silizium und Galliumarsenid. Ersteres ist seit jeher das Halbleitermineral, aber Galliumarsenid hat das Potenzial, Silizium zunehmend zu ersetzen, da es bessere Betriebseigenschaften aufweist. Ohne Gallium sind 5G, Quantenrechner und viele Smartphone-Eigenschaften nicht denkbar. Aber seit August beschränkt China, das heute noch 94 Prozent des weltweiten Galliums liefert, dessen Export. Abgesehen vom Ärger des Landes über die Nichtlieferung von ASML-Maschinerie argumentiert die chinesische Regierung, dass die Nachfrage nach Gallium allein zwischen 2021 und 2022 um 40 Prozent gestiegen ist. Man müsse sich nun um die Verfügbarkeit des Metalls für die eigene Produktion sorgen.

Sarah Spiekermann, geboren 1973 in Düsseldorf, ist Professorin am Institut für Wirtschaftsinformatik und Gesellschaft an der WU Wien. Zuletzt erschien von ihr das Buch "Digitale Ethik: Ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert" bei Droemer. (Foto: Creative Commons)

Ähnliches trifft auf Germanium zu. 70 bis 84 Prozent des weltweiten Germaniums kommt aus China, obgleich sehr große Vorkommen auch in den USA zur Verfügung stünden. Gerne wird daher argumentiert, dass die USA und ihre militärischen Verbündeten ja selbst die Mineralien abbauen können, die sie für ihre Digitalisierung und Militarisierung brauchen. Aber auch der Abbau von Mineralien erfordert langfristige Prozessinnovation und Know-how, das derzeit vor allem die Chinesen besitzen. Durchschnittlich dauert das Erschließen einer Mine zehn bis fünfzehn Jahre. Und die Umweltkosten völlig zerstörter Landschaften, die durch den Rohstoffabbau entstehen, sind so enorm, dass man sich im Westen wohl erst noch daran gewöhnen muss. Beim Abbau einer Tonne Seltener Erden entstehen zum Beispiel 75 000 Liter verseuchtes Wasser.

Hinzu kommen die Gase. C₄F₆ etwa ist ein nicht ersetzbares Gas für Logikchips, für das bisher mit die wichtigste Lieferquelle Russland war. Ähnliches gilt für Helium. Die Ukraine hat 90 Prozent des hochreinen Neons für die amerikanische Halbleiterproduktion geliefert und Produktionsausfälle haben die Neonpreise allein von Dezember 2021 bis März 2022 um 500 Prozent erhöht.

Die Digitalisierung steht vor dem ökonomischen Abgrund

Das Resultat der beschriebenen Rohstoffabhängigkeiten und politisch induzierten Verknappungen ist vielfältig. Ganz sicher kommt es schon jetzt zu einer Preisexplosion, und zwar sowohl bei Endgeräten wie Telefonen als auch bei Netzinfrastruktur und Cloud-Systemen. Ist es daher politisch weise, die digitale Transformation zu forcieren? Jeden Haushalt von bargeldlosem Handyzahlen und Chat-GPT abhängig zu machen, wenn ein Smartphone in fünf Jahren vielleicht über 3000 Euro kostet oder gar nicht mehr lieferbar ist?

Im Falle eines Krieges um Taiwan würden viele Branchen womöglich erst einmal stillstehen, die von den dort produzierten Chips abhängen. Auch eine Nichtverfügbarkeit bestimmter Rohstoffe, zum Beispiel aufgrund einer harten geopolitischen Trennung zwischen den G-7-Staaten einerseits und den China/Russland-Unterstützern andererseits, könnte für ein bis zwei Jahrzehnte zu einer harten Bremse der globalen Chip-Produktion führen und damit zu Liefer- und Reparaturengpässen in fast allen Produktbereichen, wo Digitaltechnik oder auch nur einfache Elektronik zum Einsatz kommt. Zwar wird gemunkelt, dass zum Beispiel rund 40 Prozent der Seltenen Erden über sanktionsumschiffende Schwarzmärkte gehandelt werden, aber die Geschichte des Rohstoffhandels seit dem Zweiten Weltkrieg zeigt, wie ganze Volkswirtschaften gelähmt wurden, wenn sie sich von solchen Handelsstrukturen abhängig machten.

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Ebenso könnte man hoffen, dass China und Russland vom Lager der G-7-Nationen genauso abhängen wie wir von ihnen. Selbst im Kalten Krieg hat man sich gegenseitig beliefert, zum Beispiel mit Öl und Gas. Aber die derzeitige Zerstörung von Infrastruktur trübt solche Aussichten. Außerdem sollte die tatsächliche gegenseitige Abhängigkeitsbilanz erst mal militärstrategisch analysiert werden, denn es wäre nicht verwunderlich, wenn die globale Abhängigkeit von Chinas Rohstoffen und Abbau-Know-how seit Langem geplant ist.

Wie der größte Militärstratege Chinas, Sun Tzu, in seinem Werk "Die Kunst des Krieges" schon um 500 vor Christus schrieb: "Der General, der eine Schlacht gewinnt, stellt vor dem Kampf viele Berechnungen an. Der General der verliert, stellt vorher kaum Berechnungen an. So führen viele Berechnungen zum Sieg und wenige zur Niederlage." Eine kritische Berechnung der tatsächlichen Wertschöpfungsabhängigkeiten für alle großen Bereiche der Chipfertigung ist in Europa mehr als überfällig.

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