Interview: Shirin Neshat:"Auch frühere Generationen haben gekämpft"

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Die iranische Künstlerin Shirin Neshat hat ihren ersten Spielfilm gedreht: Ein Gespräch über Freiheitswillen, Unterdrückung - und die besondere Rolle der Frauen in ihrer Heimat.

J. Häntzschel

Mit ihren Fotos und Videoinstallationen ist die in New York lebende Shirin Neshat in den letzten zehn Jahren zu einer der bekanntesten iranischen Künstlerinnen geworden. Nun hat die 53-Jährige mit "Women Without Men" ihren ersten Spielfilm gedreht, für den sie am 1. Juli mit dem Bernhard-Wicki-Ehrenpreis auf dem Münchner Filmfest ausgezeichnet wird.

Als die Proteste in Iran begannen, war ihr Film schon fertig - Neshat konnte nur noch eine Widmung an die Regimekritiker ergänzen. Das Bild zeigt Shirin Neshat bei den 66. Filmfestspielen von Venedig im September 2009. (Foto: ap)

SZ: Ihr Film spielt vor dem Hintergrund des Militärputschs von 1953, bei dem Großbritannien und die USA die iranische Demokratie zerstörten.

Shirin Neshat: Obwohl so viel über die Nahostproblematik und die Abhängigkeit des Westens vom Öl aus der Region gesprochen wird, ist diese Geschichte vielen immer noch nicht bekannt. Dabei ist es eine der Wurzeln des Konflikts zwischen dem Nahen Osten und den USA. Der Coup würgte die demokratische Entwicklung des Landes ab und bereitete letztlich der Islamischen Revolution von 1979 den Weg.

SZ: Angesichts der Proteste nach den Wahlen 2009 bekommt der Film eine andere Bedeutung. Die getötete Neda Agha-Soltan, die zum Symbol der Bewegung wurde, könnte eine ihrer Figuren sein.

Neshat: Wir hatten das nicht voraussehen können. Als die Proteste begannen, war der Film schon fertig. Ich konnte nur noch eine Widmung an die Regimekritiker ergänzen. Natürlich hat diese unerwartete Aktualität dem Film enorme Aufmerksamkeit gebracht und die Leute daran erinnert, dass frühere Generationen im Iran für dieselben Ziele gekämpft haben. Viele im Iran sehen den Film allerdings auch mit einem nostalgischen Blick. Es gibt kaum Filme, die die Zeit vor der Revolution zeigen.

SZ: Ihr Film ist ebenso wie das Buch im Iran verboten. Wie findet er zu den Zuschauern?

Neshat: Es ist sehr leicht, ihn auf dem schwarzen Markt zu finden. Auch meine eigene Familie hat dort die DVD gekauft.

SZ: Als Kampfappell für Revolutionäre taugt er aber nicht. Munis, eine der vier Frauen, schließt sich dem Widerstand an, doch die drei anderen sind viel ambivalenter.

Neshat: So unterschiedlich sie sind, eines haben sie gemeinsam: Sie beweisen Mut und sind bereit für einen radikalen Wandel in ihrem Leben. Dem Land ging es damals ja nicht anders: Es gab Kommunisten, Schahanhänger, Schahgegner, ganz zu schweigen von den unterschiedlichen Klassen. Aber alle wussten, dass sich etwas ändern musste. Es geht mir ja nicht darum, die Realität der Frauen im Iran damals zu beschreiben.

SZ: Sie sind in den neunziger Jahren mit ihren Fotoarbeiten bekannt geworden, dann kamen Videoinstallationen, nun ein Spielfilm. Wenige Videokünstler gehen diesen Weg.

Neshat: Ich langweile mich nun mal schnell. In den Videos konnte ich die Erfahrung von Landschaft wiedergeben, mit Performance, Choreographie, Musik arbeiten. Ich konnte alles machen, was ich mit den Fotos machte, aber nun bewegten sie sich! Aber nach fünfzehn oder zwanzig Videoinstallationen war ich ein bisschen erschöpft. Mit "Women Without Men" suchte ich eine neue Herausforderung. Nicht nur, weil es mein erster Film ist, sondern auch wegen des neuen Kontexts: Ich bewege mich von der Kunstwelt in die Filmwelt. Es tut mir gut, mich zu häuten.

SZ: Dennoch findet sich in dem Film viel von ihrem ästhetischen Vokabular wieder: Die Stilisierung, die gemäldehaft komponierten Bilder, der Gebrauch von Farbe und Schwarzweiß...

Neshat: Ich wollte weder eine sehr lange Videoinstallation machen noch einen konventionellen Film, der ästhetisch nichts mit meinen früheren Arbeiten zu tun hat - so wie Julian Schnabel. Deshalb habe ich auch so lange gebraucht. Ich wollte dem Kino auf halbem Wege entgegenkommen.

SZ: Die choreographierten Bewegungen, die Menschen, die als Block auftreten: Hat diese Stilisierung rein ästhetische Funktion oder spiegelt sie das Leben in einem Regime wieder, das selbst harmlose Formen individuellen Ausdrucks reglementiert?

Neshat: Ich habe immer mit Allegorien und Symbolik gearbeitet. Mein Werk lässt sich nicht in der Kategorien des Realismus lesen. Allerdings ist diese poetische Sprache tief in der iranischen Kultur verwurzelt. Für uns scheint sie einfach die vertrauteste Ausdrucksform zu sein, ob wir im Iran leben oder im Exil. Es liegt wohl daran, dass wir so lange von Diktatoren kontrolliert wurden und immer mit der Zensur kämpfen mussten. Wir waren nie frei. Künstler und Schriftsteller mussten deshalb immer auf Allegorien zurückgreifen. Für Westler ist das manchmal schwer nachvollziehbar. Andererseits transzendieren viele Werke auf diese Weise ihren spezifisch iranischen Kontext und nehmen eine Art universale Bedeutung an.

SZ: Wie viel entgeht westlichen Betrachtern, die mit den kulturellen und ästhetischen Codes nicht vertraut sind?

Neshat: Natürlich haben iranische Betrachter einen anderen Zugang: Sie kennen die Texte, die rezitiert werden, die Musik und den historischen Kontext. Andererseits sehen Menschen im Westen Dinge, die den Iranern entgehen. Die Iraner sind weniger vertraut mit konzeptueller Kunst oder mit den Filmemachern, die mich beeinflusst haben. Eine perfekte Dolmetscherin kann ich nicht sein.

SZ: Inwieweit steht Ihre Bildsprache in der Kunsttradition Ihres Landes?

Neshat: Das reicht weit zurück. Denken Sie an die persische Miniaturmalerei und an die Verbindung von Bild und Text, die auch mein Werk durchzieht. Es gibt Motive wie den Garten, der sehr wichtig in Literatur und Kunst ist und in "Women Without Men" eine große Rolle spielt. Und natürlich die Bedeutung von Schönheit, Harmonie, Symmetrie in der islamischen Kunst. Diese Ideale beeinflussen meine Arbeit sehr.

SZ: Ihnen wird oft vorgeworfen, Sie glorifizierten durch ihre Bilder eine Kultur der Unterdrückung. Zwanzig Frauen in Jeans und T-Shirt auf dem Times Square ergeben natürlich kein so düster-berückendes Bild wie die Frauengruppen im Tschador.

Neshat: Das Konzept von Schönheit ist sehr wichtig für mich, aber Schönheit ist bei mir immer gepaart mit Horror und Gewalt. Das gilt auch für meinen Film: Denken Sie an die Szene im Hamam. Es ist ein wunderschönes, sorgfältig konstruiertes Bild, aber im Mittelpunkt steht die anorexische Prostituierte, die sich so lange wäscht, bis sie blutet. Ich sehe die Welt nie nur schön oder nur schrecklich, sondern als Paradox. Alles, was ich mache, folgt dieser dualistischen Struktur: der Garten und die Stadt, das Individuum und die Nation, Gewalt und Spiritualität.

SZ: Sie gingen in Teheran auf eine katholische Schule, wurden mit Siebzehn gegen ihren Willen nach Kalifornien geschickt, kehrten später in den Iran zurück, wo Sie Ihre künstlerische Position fanden. Seitdem sind Sie im Westen erfolgreich, seit 1996 waren Sie nicht mehr in Iran. Wo ist Ihr Ort zwischen beiden Welten?

Neshat: Es gibt ja viele Iraner, die im Exil leben. Wir sind im Westen zur Schule gegangen und leben dort, aber wollen unsere Herkunft nicht aufgeben. Emotional bin ich Iranerin, meine Vernunft ist westlich. Wir können weder wirklich für die eine noch für die andere Seite sprechen. Dafür können wir Brücken bauen. Was uns fehlt, ist natürlich ein Zentrum - diese Erfahrung steht im Mittelpunkt meiner Arbeit. Andererseits muss man sich heute auch nicht mehr unbedingt physisch in einem Land aufhalten, um an der kulturellen Debatte teilzunehmen.

© SZ vom 30.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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